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Ehemaliger Generalsekretär der FatahEinige hoffen auf Barghuti

Der ehemalige Fatah-Generalsekretär Marwan Barghuti sitzt wegen Mitwirkung an Terroranschlägen auf Israelis im Gefängnis. Er könnte jedoch freikommen.

Sitzt seit mehr als zwei Jahrzehnten in Israel in Haft: Marwan Barghouti Foto: Bernat Armangue/ap

Jerusalem taz | Ein Name sorgt in diesen Tagen bei den schleppenden Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über einen Waffenstillstand im Gazakrieg für Aufsehen: Marwan Barghuti. Er steht laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AP prominent auf der Liste jener, deren Freilassung die palästinensische Terrororganisation heraushandeln möchte. Wie kein anderer genießt der Fatah-Mann Unterstützung über alle Lager hinweg. Für viele Israelis ist eine Freilassung dennoch kaum vorstellbar: Barghuti sitzt eine lange Haftstrafe wegen Mitwirkung an Terroranschlägen auf Israelis ab.

Es gibt gute Gründe, weshalb die Freilassung des 64-Jährigen, der seit mehr als zwei Jahrzehnten hinter Gittern sitzt, zwar schon häufig zur Debatte stand, letztlich aber nie umgesetzt wurde. Ein wesentlicher: Barghuti pendelt zwischen Politik und Gewalt. Geboren 1959 nahe Ramallah, schloss er sich mit 15 Jahren der Partei Fatah von Jassir Arafat, dem späteren Palästinenserpräsidenten, an.

Mit 18 Jahren saß er zum ersten Mal im Gefängnis. Als 1987 die Erste Intifada begann, der palästinensische Volksaufstand, wurde Barghuti rasch nach Jordanien ausgewiesen, weil er Zusammenstöße mit israelischen Sicherheitskräften angezettelt haben soll.

Nach seiner Rückkehr stieg er in der Fatah zum Generalsekretär auf und übernahm die Führung der paramilitärischen Tansim-Miliz. Als der Oslo-Friedensprozess Anfang der 2000er-Jahre endgültig mit der wesentlich blutigeren Zweiten Intifada endete, wurde Barghuti erneut verhaftet und verurteilt. Diesmal bekam er als Drahtzieher mehrerer tödlicher Terroranschläge fünfmal lebenslange Haft sowie 40 Jahre zusätzlich.

„Palästinensischer Nelson Mandela“

Zu Barghutis Weg gehört aber auch, dass er sich wiederholt zum Frieden mit Israel und zur Zweistaatenlösung bekannt hat. Zudem verfügt er über Unterstützung in der palästinensischen Gesellschaft und lässt trotz seiner Inhaftierung in Umfragen regelmäßig alle anderen politischen Anführer wie Palästinenserpräsident Mahmud Abbas oder Hamas-Chef Ismail Hanijeh weit hinter sich. Vielen Palästinensern gilt er als integer, auch weil er bereits als Fatah-Generalsekretär in den 90er-Jahren Korruption anprangerte. Seine Zeit im Gefängnis hat ihm zudem bei vielen den Beinamen „palästinensischer Nelson Mandela“ eingebracht. Auch dieser habe lange Zeit im Gefängnis verbracht, bevor er als schwarzer Präsident das Ende der Apartheid in Südafrika herbeiführte.

Der frühere Chef des israelischen Inlandsgeheimdiensts Shin Bet, Ami Ajalon, sagte der Zeitung Ha’aretz im Dezember, sein Land müsse Barghuti freilassen. Nur er könne eine „geeinte und legitime palästinensische Führung auf dem Weg zu einer einvernehmlichen Trennung von Israel führen“. Doch Barghuti hat Israel auch immer wieder gewaltsam bekämpft. Seine Freilassung würde wohl bei vielen Israelis Empörung auslösen. Er selbst hat zuletzt im Dezember aus seiner Zelle heraus dazu aufgerufen, an der derzeit laufenden palästinensischen „Befreiungskampagne“ teilzunehmen.

Israels Premier Benjamin Netanjahu und seine in Teilen rechtsextreme Regierung haben sich zudem in den vergangenen Wochen alles andere als interessiert an Gesprächen über eine Zweistaatenlösung gezeigt. Stattdessen wiederholt der Regierungschef derzeit regelmäßig, dass ein Abkommen „nicht um jeden Preis“ und nicht im Austausch für „Tausende Terroristen“ stattfinden werde. Explizit ausgeschlossen hat Netanjahu die Freilassung von Barghuti und anderen bekannten Palästinenserführern aber auch nicht.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • War Nelson Mandela auch für Mord und Terror verantwortlich? Da dies nicht der Fall ist, ist ein Vergleich beider Personen abwegig. Mit Barghuti als Führungsfigur in Gaza würde sich an der Situation nichts ändern. Notwendig ist die vollständige Zerschlagung der Hamas. Je nachdem wie lange dieser Prozess dauert und wie sich die politische Haltung der arabischen Nachbarn bis dahin entwickelt, wird zu überlegen sein, ob es für Gaza, ohne vollständige israelische Kontrolle, überhaupt eine Zukunft geben kann. Mit Barghuti,, einem Mann des Terrors, wird es für keinen Palästinenser eine hoffnungsvolle Zukunft geben können. Damit scheidet er aus.

    • @Klaus Kuckuck:

      Aus Sicht des südafrikanischen Apartheid-Regimes handelte es sich bei dem späteren Fdiedensnobelpreisträger Nelson Mandela sehr wohl um einen gefährlichen Terroristen. Warum saß der wohl so lange auf Robben Island ein? Andere sehen in ihm einen Freiheitskämpfer. Und was ist übrigens mit Abdullah Öcalan? Eine Frage der Perspektive.



      Beschäftigen Sie sich mal mit der Biografie Mandelas und lesen @Francescos Antwort auf meinen Post.

      • @Abdurchdiemitte:

        Nur weil jemand staatlich verfolgt wird, macht ihn dies nicht zum Terroristen. Aber zählen Sie die Gewalttaten und Terrorakte Mandelas gerne auf. Ich bin ganz Ohr. Im Übrigen eignet sich der Vergleich S.-Afrika - Israel nicht. Es handelt sich um grundlegend unterschiedliche Sachverhalte. Zu Ihrem Hinweis auf Francesco ist zu beachten, dass Francesco hier seit dem 07. Oktober als entschiedener Terrorrelativierer und Israelgegner auf sich aufmerksam macht. Der Informations-/Faktengehalt seiner Beiträge isr marginal. Der Propagandagehalt kann sich im Gegensatz dazu sehen lassen.

        • @Klaus Kuckuck:

          Im konkreten Fall habe ich nur die Wikipedia zitiert.

    • @Klaus Kuckuck:

      Selbst wenn, war bewaffneter Kampf gegen das ultrabrutale südafrikanische Apartheidssystem nicht gerechtfertigt?

      • @EinHistoriker:

        Wenn der Vergleich Mandela Barghuti nicht standhält, ziehen Sie einfach den nächsten haltlosen Vergleich zwischen Israel und Südafrikanischen Apartheidsregime. Haben Sie noch weitere untaugliche Vorschläge auf Lager?

        • @Klaus Kuckuck:

          Ich habe nichts verglichen sondern eine Frage gestellt. Sie scheinen zu argumentieren, dass bewaffneter Kampf nie gerechtfertigt ist. Ich frage Sie ob das auch in Südafrika der Fall war. Nun?

        • @Klaus Kuckuck:

          Es geht doch gar nicht um einen Vergleich zwischen Israel und dem Apartheidsregime, sondern um einen Vergleich mit dem Friedensprozess in Südafrika. Die Frage ist, wie kommt Israel aus der verfahrenen Situation heraus. Und dazu braucht es einen akzeptablen Ansprechpartner auf der andern Seite, der dort Autorität genießt. Und Barghouti könnte dabei eine ähnliche Rolle spielen wie Mandela in Südafrika.

  • Es wäre sicher hilfreich, wenn Barghuti sich glaubhaft in einen echten Friedensprozess einbringen könnte. Allerdings wird die israelische Seite auch sehr genau überlegen, ob sie den Überfall der Hamas mit so einem Erfolg „adeln“ möchte. Ich vermute, dass eine Freilassung eher nach einer Kapitulation der Hamas möglich wäre. Dann braucht man ja verlässliche Partner für einen Neuanfang.

  • Dem früheren israelischen Inlands-Geheimdienstchef Ami Ajalon ist zuzustimmen in der Forderung, Barghuti freizulassen. Das muss auch auf internationaler Bühne unterstützt werden, insbesondere von den USA, meint man es dort mit einer politischen Lösung des Konflikts ernst.



    Sollte es einst direkte Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern geben, ist es unerlässlich, dass ein in der palästinensischen Bevölkerung anerkannter politischer Führer am Verhandlungstisch sitzt. Ob das mit oder ohne Hamas stattfinden kann - das zu prognostizieren, dafür wäre es jetzt wahrscheinlich noch zu früh.



    Barghuti als wichtiger politischer Akteur bietet natürlich auch dis Chance, dass es NICHT Hamas sein wird, welche an der Spitze einer palästinensischen Verhandlungsdelegation steht. Auch das sollte man in Israel ganz nüchtern und pragmatisch erwägen.



    Noch aber setzt Netanyahu auf eine militärische Lösung, um seine rechte Koalition nicht platzen zu lassen (denn von ihr hängt sein politisches Überleben ab).



    Die israelische Seite muss einsehen, dass sie sich ihre Verhandlungspartner schließlich nicht selbst „schnitzen“ kann - der Prozess kann nur auf Augenhöhe stattfinden, anders kann es nicht funktionieren. Sonst droht Israel weitere internationale Isolation - aber man scheint dort ja nach dem Motto zu regieren: ist der Ruf erst ruiniert … - und wird darin noch von seinen vorbehaltlosen Unterstützern ermutigt. Mit fatalen Folgen.



    Nein, Marwan Barghuti ist kein Nelson Mandela … aber er mag wenigstens ein Strohhalm sein, der letzen Endes auch Frieden und Sicherheit für Israel bringen kann. Israel muss sich nur für Frieden und Sicherheit entscheiden - oder für ein völkisch-grossisraelisches Projekt der Rechten mit entsprechenden Vertreibungsfantasien gegenüber der palästinensischen Bevölkerung. Der 7. Oktober markiert den Scheideweg.

    • @Abdurchdiemitte:

      Hat Nelson Mandela nicht Gewalt zumindest gerechtfertigt? Aus seinem Wikipedia-Artikel:

      "Im Dezember 1961 wurde Mandela Anführer des bewaffneten Flügels des ANC, des Umkhonto we Sizwe (MK, „Speer der Nation“), der zunächst beschloss, Sabotageakte durchzuführen und dabei möglichst keine Menschenleben zu gefährden. Zugleich setzten Mandela und seine Mitstreiter sich mit den internationalen Guerillakämpfen zur Befreiung vom Kolonialismus auseinander."