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Ehemalige deutsch-deutsche GrenzeIm Randgebiet

Die ehemalige innerdeutsche Grenze war von beiden Seiten aus betrachtet das Ende der Welt: Auf normalem Wege kam man nicht durch.

Die innerdeutsche Grenze bei Travemünde-Priwall, 1985 Foto: Imagebroker/Carsten Milbret/Imago

Hamburg taz | Den Begriff Zonenrandgebiet kannte ich nicht, als ich selbst noch in der Zone lebte. Ich wusste ja nicht einmal, dass ich in der Zone wohnte, weil ich auch den Begriff Zone nicht kannte. Hätten wir in unserer Familie Verwandte in der BRD gehabt, hätten die mir das vielleicht sagen können, dass ich in einer Zone lebe. Und nicht in einem Land. Damals hätte mich das übrigens empört, denn ich war ziemlich überzeugt davon, in einem Land zu leben, ich habe dieses Land durchaus für voll genommen.

Das Zonenrandgebiet gab es ausschließlich westlich der Grenze, zwischen dem Osten und dem Westen. Auf östlicher Seite hieß es gar nicht, beziehungsweise es gab ein Sperrgebiet, das man nur mit Passierschein betreten durfte, aber es hieß eben nicht.

Unsere Familie wohnte in der Nähe einer Grenze zu einem sozialistischen Bruderland, der Volksrepublik Polen. Diese Grenze war in vielerlei Hinsicht eine natürlichere Grenze als die zur BRD. Sie war zu einem anderen Land, sie ließ sich von uns, als DDR-BürgerInnen, überqueren, sie war ein Fluss. Ein Fluss ist auf eine sehr natürliche Weise eine Grenze. Man kann nicht einfach so über einen Fluss gehen. Die meisten Menschen akzeptieren Flüsse als Grenzen.

Die Grenze zwischen der DDR und der BRD bedeutete, dass es einen Weg gab, und der Weg war abgeschnitten. Man konnte einen Weg zwischen zwei Orten nicht mehr begehen. Man konnte einfach nicht mehr in den Nachbarort gehen, zu seinen Nachbarn, zu seinen Verwandten. Man konnte es nicht. Das ist für Menschen, egal welche politischen Notwendigkeiten man ihnen auftischt, schwer zu begreifen, denn es ist, in jeder Hinsicht, unnatürlich.

Menschen stören beim Überwachen

Im Westen hat man dann, mittels Gesetz, versucht, die Zonenrandgebiete ein wenig zu unterstützen, denn die Zonenrandgebiete litten offenbar unter dem Abbruch der Beziehungen zu einer Seite auch wirtschaftlich. Im Osten tat man nichts dergleichen. Es lag irgendwie auch im Interesse des Ostens, denke ich, dass die Dörfer entlang der Grenze schrumpften, so ließ sich diese Grenze leichter überwachen. Menschen stören beim Überwachen, am besten lässt sich ein leeres Nichts überwachen, und auf dieses NICHTS komme ich noch zurück.

Dreißig Jahre später sind die Grenzen weg und wie ein Geist doch immer noch da. Die Grenzstreifen sind in einigen Teilen zu Naturschutzgebieten geworden. Wenn man dem Ganzen etwas Gutes abgewinnen möchte, dann vielleicht das.

Und dann sind die Grenzen auf andere Art noch da.

Vor drei oder vier Jahren wollten wir um den Ratzeburger See wandern, an dessen Ostufer die Grenze entlangging. Freunde hatten das getan, und wir wollten es ihnen nachtun. An der nördlichen Stelle, in Rothenhusen, an der Schiffsanlegestelle, kamen wir mit einem älteren Wanderpaar ins Gespräch.

Wo der Weg denn weiterginge, fragten wir sie. „Hier is’ Schluss“, sagte der Mann. „Aber wir wollten auf der anderen Seite wieder zurücklaufen“, sagte ich. „Warum denn das?“, sagte der Mann „Da ist doch nichts“, sagte die Frau (das NICHTS entpuppte sich dann als Naturschutzgebiet im ehemaligen Grenzgebiet, während das Gegenteil, das nicht das NICHTS sein muss, die Ruderklubs, Gartenanlagen und Wohnhäuser auf der Westseite des Sees sein müssen). „Waren sie denn noch nie drüben auf der anderen Seite?“, fragte ich die beiden. Sie schüttelten den Kopf. „Nie?“

Wenn es ein Problem gibt, dann ist es die Grenze

Ich konnte es nicht glauben. Seit so vielen Jahren wanderten sie genau bis hierhin, bis an die Grenze, um dann stets von diesem Punkt aus wieder nach Hause zu gehen. Wenn es ein Problem gibt zwischen diesen beiden Ländern, die schon so lange wieder eines sind, dann ist es diese Grenze. Sie hat auf eine nachhaltige Art die Menschen voneinander getrennt. Wo man wohnt, wer man ist.

Es ist so merkwürdig, dass ich jetzt, da ich fünfundzwanzig Jahre auf dieser Seite der Grenze wohne, dies tatsächlich auch noch so empfinde, auf dieser Seite der Grenze. Welcher Grenze? Wie können sie – dort drüben – so wählen? Frage ich mich nach den letzten Landtagswahlen. Als wären sie, immer noch, auf der anderen Seite der Grenze, nur dass ich jetzt nicht mehr wir bin sondern die, oder nicht mehr die, sondern wir.

Das Ratzeburger Paar wird vielleicht den Osten niemals betreten, weil dort nichts ist. Weil sie es ganz sicher wissen, dass dort NICHTS ist. Für sie, die im Zonenrandgebiet gelebt haben, hat sich sicherlich einiges geändert, aber sie wohnen immer noch im Zonenrandgebiet, weil die Zone noch da ist. Allen anderen sei gesagt, dass man sehr wohl um den ganzen Ratzeburger See wandern kann, und dass da mehr als ein NICHTS ist. Zum Beispiel das Grenzhus Schlagsdorf. Falls man ein Interesse an diesen Dingen hat.

Mehr über das ehemalige Grenzgebiet im Norden lesen Sie in der Wochenendausgabe der taz nord oder am E-Kiosk.

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10 Kommentare

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  • Ich habe mit dem Ratzeburger Paar keine Probleme.

    Ihre Meinung, stehengebliebenes Denken ist meiner Erfahrung nach in der großen Minderheit verankert.

    Gibt es eine Statistik wie viele Ostdeutsche sagen, nee, in Westen fahre ich nicht interessiert mich nicht und natürlich das Ganze umgekehrt?



    Ich sage noch mal Minderheit. Daraus folgt- egal!

    Das ganze Thema ist vielschichtig.

    Ich kenne Dörfer und Menschen, die im Osten nicht nur im Sperrgebiet sondern im Schutzstreifen gelebt haben. Also Zaun vorn- Zaun hinten. Jedesmal Kontrolle beim Verlassen. Da gibt es auch welche, die sagen, wir waren so sicher. Nichts mußte abgeschlossen werden. Kriminalität gleich Null.



    Im Unterschied zur Ist- Zeit.



    Die Hardcorvariannte sagt auch, die Signalraketen, drei Stern gelb, rot, grün waren in einer kalten Winternacht schön anzusehen.

    Ich "kenne" zum Beispiel Juristen aus den alten BL die mit dem Motorrad den Osten gerockt haben. Dabei auch auf Scheintote gestoßen sind aber ungeachtet dieser Widrigkeiten großes Interesse an Ostelbien gezeigt haben.

    Das ist doch Hoffnung für alle.



    .... Falls man ein Interesse an diesen Dingen hat.....

    • @Ringelnatz1:

      Sorry - aber wat höbt wi lacht.

      Rothenhusen issen feines Stichwort.



      Wenn wir von Lübeck - in den 60ern mein Doppelzweierkumpel mal auf Wanderfahrt im Herbst - von Lübeck die Wakenenitz & den “langen Jammer“ bis dorthin: auf Backbord die Zonengrenze.



      Ja dann - pliirten wir - Luft rein & flott das Ufer geentert & Obst geschlaucht für die lange Fahrt über den Ratzeburger See - zum Zelten auf der Römnitz.



      &



      Im Winter - selten Schlittschuh von Rothenhusen - nicht ungefährlich.



      Ein Ehepaar zu Fuß gen Ratzeburg - fand nur noch das Fahrrad ihres vorausgefahrenen Sohnes.

      & Grenze & kein Interesse.



      Na wie mans nimmt.



      Als meine Kammer in Westfälisch Sibirien über eine - Dreck gegen Devisen- Transportgenehmigung zur DDR-Deponie Schönberg zu entscheiden hatte (alle Unterlagen sonst gefälscht!)



      Schaute ich mir die Karten an!



      “Die Deponie kann nicht dicht sein! Wissen Sie - was Sandplinsen sind und bedeuten in einer Endmoränenlandschaft? Und hier! Sehen Sie das. Das ist IWK in Lübeck-Weslohe! Hab als Junge darauf gespielt.



      Das war so gut getarnt - daß die Alliierten Bomber das nicht gefunden haben! Und! Sehen Sie dies hier?! Das sind Rohrleitungen mit Endhaus - bis in unmittelbare Nähe der Deponie. Und das war eine Wassergewinnungsanlage - für IWK!“

      kurz - Lassenmers mal dabei für das Kaffeesatzlesen mags reichen.



      (Daß ich ausgerechnet 9/11 NY - mit meinen Söhnen von nem Kaderdatschen



      Waldgebiet auf Rügen aus - Peenemünde mir zu Gemüte geführt habe - hat viel Ironie - is aber ne andere Geschichte! Wie meine Klimmzüge am Schlagbaum 1951 in Helmstedt via Familienzusammenführung (ein fake mit VoPo-Hilfe!)

      • @Lowandorder:

        Kann man sich da freuen?



        ;-);-)(lieber, einen noch;-))

        Das die Jugdjes Foristen*(fällt definitiv aus)bekanntschaft da och, noch mitmischt, ja, det, glob ick ja nich.

        Ich war zwar berufsbedingt wech vom Thema aber die handelnden Personen sagen mir was.

        Wie die DDR-Staatsmacht die Giftmüll-Deponie durchdrückte

        www.ostsee-zeitung...onie-durchdrueckte

        Man, Richter, wir haben eine ganz, schöne Zeitreise erfolgreich bestritten.(Duolektiv..)



        Halle, Saale(Liedgut), Thüringen,Inselsberg(Die Bretter), Brotteroder KnH, Anal! Turinabol,Helmstedt durch Lehrerinn W-Verw.kennengel.,Rudern,Römnitz da kann ick prima in Earth nachschauen und es hört nich auf .

        Am Kaderdatschen Waldgebiet auf Rügen arbeite ich gerade.

        ..Oh, es gibt keine Ergebnisse für diese Suche...

        Dit, macht mich nicht fertig!

        Ick könnte den Pirol...nee, nich abnutzen!

        • @Ringelnatz1:

          “ “Dat is von Fritz“ - der Alte immer!

          Na und ich dachte irgend son Onkel - wa



          Bis der Vorarbeiter als der LKW beladen war - noch was drauf packte & sagte: Da fährste denn an das Tor da janz außen & der da wartet - sachste “Dat is von Fritz“ dann weiß der schon Bescheid!“



          Da dämmerte mir was auf VEB Friedrich-Engels - Dädalon!“



          (btw hark dir doch schon mal gefragt - ob den! Micha kennst?!)



          Wo genau dieses KaderGhetto - keenne Ahnung! 9/11 am Telefon - meine Frau - macht bloß den Fernie an(jabs nich) “oh Gott! Jetzt nochn ✈️ in den Tower!“



          &! Däh!



          Gespenstisch - am Morgen mit der Fähre gen Peenemünde - allet Ureinwohner:



          Nicht einer! sagte was dazu! Schrill.

          • @Lowandorder:

            Det wird ja noch gruseliger.

            .... Doch im Oktober 1993 behauptete der deutsche Fernsehjournalist und Physiker Ekkehard Sieker, dass der Reaktorinhalt nicht verbrannt, sondern in der Deponie Schönberg in Mecklenburg-Vorpommern endgelagert worden sei. ..

            Diese Seveso Scheiße ist auch irgendwie versandet.(zynisches Wortspiel)

            9/11- Frau mit Schulklasse in JH Liepnitzsee.



            Wüßte telefoniererei.



            Rausgefahren, besser gejagt!



            Sonn paar Elternfuzzis(Begleitpersonal) helle Aufregung! Beruhigt, wieder zurück.



            Geheime Haltestelle.!



            Kleiner Schluck, weiter.

            Nein, Micha kenn ick nich! Er mich och nich. Hoff ick!;-)

            Mittlerweile, ejal.

            • @Ringelnatz1:

              Na der Micha - nich der 🐺 - Michendorf



              www.filmuniversita...son/michael-schenk

              • @Lowandorder:

                Ach so!

                Dreiheisig Jahare und kein bischehen Waheiße!

                • @Ringelnatz1:

                  Ditt petz ick - 🤫 - 2x Peitz fürn halben Preis - Geblobelt - 😂 -

            • @Ringelnatz1:

              OFTOPPIC!

              00:38 "Knuffelcontact" ist Wort des Jahres in Flandern +++

              und so hauen wir uns auf'en Sack!

  • Das ist der Vorteil, den man als Grenzgänger hat: Man weiß ganz sicher, dass es auf der anderen Seite der Grenze nicht nichts gibt, denn man ist ja nicht aus einem Nichts gekommen. In einem Nichts hätte man ja auch gar nicht überleben können als Mensch. Und daran, dass man auch auf der anderen Seite der Grenze mal gelebt hat, kann man sich meist noch ziemlich genau erinnern.

    Wenn aber auf der Seite der Grenze, auf der man früher mal gelebt hat, etwas gewesen ist (zumindest damals noch), dann ist womöglich auf der anderen Seite anderer Grenzen auch etwas und nicht einfach nur ein Nichts. Das könnte immerhin neugierig machen auf das Andere, das da womöglich ist. Es sei denn, man lässt sich zu viel Angst machen davor.

    Zum Beispiel von den Überwachern, denen es immer schon lieber gewesen ist, wenn keine Menschen rumgelaufen sind in ihrem Verantwortungsbereich. Denn neugierigen Menschen ist ja schließlich fast alles zuzutrauen. Denen darf man also nie so ganz trauen als hauptamtlicher Überwacher, richtig?