Egotronic-Sänger über die Natur: „Plötzlich ist man kaputtbar“
Torsun hat die neue Egotronic-Platte „Die Natur ist dein Feind“ genannt – ein Verweis auf seine Rheumaerkrankung. Und er ist besorgt über die Pogromstimmung im Land.
taz: Herr Burkhardt, Sie haben keine Lust mehr, mit Ihrer Band Egotronic Partymusik zu machen. Warum?
Torsun Burkhardt: Zum einen ist für mich diese Party-Elektropunk-Geschichte ein wenig ausgelutscht, und es wurde langweilig. Deshalb habe ich wieder mehr „normale“ Instrumente benutzt, das neue Album ist mehr ein Indie- und Punkrockalbum. Es ist aber auch textlich düsterer als die Vorgänger, weil für mich auch die Stimmung im Moment eher so ist.
Inwiefern?
Ich meine die politische Stimmung. Für mich waren die Ereignisse in Berlin-Hellersdorf im vergangenen Sommer prägend. Ich glaube, zurzeit sieht es wieder vielerorts so aus: Sobald irgendwo ein Flüchtlingsheim hin soll, hast du ’ne Bürgerinitiative dagegen. Das hat für mich Déjà-vu-Momente, da denke ich sofort an die Zeit Anfang der 1990er, an Rostock-Lichtenhagen und Mölln.
Hat sich in dieser Hinsicht nichts gebessert?
Nein, ich denke, die Situation ist vergleichbar. Es ist nur ’ne Frage der Zeit, bis es wieder Tote nach Anschlägen durch Nazis gibt. Die Stimmung ist jetzt schon zum Teil pogromartig, da muss man sich nur mal die Kommentare auf den Facebook-Seiten der Bürgerinitiativen anschauen.
bürgerlich Thorsten Burkhardt, geboren in Lindenfels, „Odenwaldhölle“– wie er selbst sagt. 2001 gründete Burkhardt Egotronic, fünf Jahre später kam das Debüt der Band raus. Das sechste Album „Die Natur ist dein Feind“ erscheint am 14. März auf Audiolith Records. Tourtermine: egotronic.net.
Wie haben Sie die Ereignisse in Berlin-Hellersdorf erlebt?
Da bin ich zu den Demos häufiger rausgefahren. Es ist furchtbar, dass es notwendig ist, da rauszufahren und sich schützend vor die Leute zu stellen.
Seit dem 1. Januar ist die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Bulgaren und Rumänen in Kraft. Nimmt seither die Zahl der Hetzer zu?
Manche Politiker reden schon wieder von Armutseinwanderung, und bei den Bürgern ist es mal wieder so, dass sie ja nichts gegen Ausländer haben, solange sie nicht in der Nachbarschaft wohnen – ähnlich wie damals. Das macht mir schlicht und ergreifend Angst. Auf dem Album macht sich das bemerkbar.
Haben Sie mit Ihrer Band eigentlich irgendwann mal den Anspruch gehabt zu agitieren?
Nein, mit einer früheren Band hatte ich den mal, da haben wir Politpunk gemacht. Bei Egotronic war das nie Programm. Ich habe nur über Sachen gesungen, die mich persönlich beschäftigen – und diese Dinge beschäftigen mich eben. Ich selbst bin zwar politisiert worden, als ich anfing, in die AZs oder auf Punkkonzerte zu gehen, aber mit dem Zeigefinger sollte Musik sowieso nie kommen. Musik kann ja kein Buch ersetzen oder so. Und auch keine Partei, um Einfluss zu nehmen. Aber von Parteien würde ich mich auch nie vereinnahmen lassen. Ich habe mich immer außerhalb von Parteienpolitik bewegt. Das heißt, mit 14 war ich einmal ganz kurz in einer Parteijugendgruppe. Da wollte einer ’ne Grünen-Gruppe gründen. Hat er aber schnell wieder aufgelöst, weil wir Kids zu radikal waren. Die einen gingen zu den radikalen Tierschützern, andere landeten so wie ich bei den Autonomen.
Wäre in Deutschland Platz für eine neue linke Partei?
Es gäbe wahrscheinlich keine, die die Leute bündeln könnte. Es gab ja mal einen kurzen Run auf die „Linke“, aber ich bezweifle auch, dass es eine linke Partei gäbe, die vernünftige Inhalte durchsetzen würde, wenn sie in der Verantwortung wäre. Wenn du eine tiefgreifende Veränderung willst, geht das nicht über Parteienpolitik. Die SPD ist das Paradebeispiel, gerade wenn die an der Macht sind, drücken sie die schlimmsten Dinge durch. Ich finde, Rot-Grün hat das gezeigt.
Hat sich das Land in der Zeit unter Rot-Grün nicht trotzdem liberalisiert?
Nein, ich glaube es nicht wirklich. Und Rot und Grün sind auch immer weiter nach rechts gewandert, deshalb kommt einem die CDU jetzt auch so links vor. Andererseits sagt die Kanzlerin heute noch zum Thema Gleichstellung von Schwulen und Lesben in Sachen Adoptionsrecht sinngemäß: „Ich bin nicht homophob, aber ich bin homophob.“
Sind Sie selbst heute – mit fast 40 – weniger radikal als früher?
Ich bin vielleicht nicht mehr ganz so aufbrausend wie früher, aber ich bin noch genauso radikal. Das Hass-Level ist noch ähnlich hoch wie als Teenager.
Auf Ihrem Blog sieht man Sie mit einem T-Shirt posieren: „Still loving linke Gewalt“.
Ach, das war nur diese Steilvorlage der Hamburger SPD, die ja eine Demo gegen linke Gewalt ansetzen wollte. Da musste man reagieren.
Wann ist Gewalt denn als politisches Instrument sinnvoll und wann legitim?
Grundsätzlich bin ich kein gewalttätiger Mensch. Wenn Dinge anders zu lösen sind, dann ist das positiv. Aber wenn irgendwo Faschos patrouillieren, dann muss man auch schlagkräftig sein. So gibt es ja mittlerweile auch Viertel, wo die sich nicht reintrauen. Da ist die Lebensqualität doch gleich besser. Bei Demos sehe ich es so: Wenn die Cops anfangen, wehre ich mich. Meinen ersten Stein habe ich geworfen, weil ein Polizist damals – wir waren 16 Jahre alt – meiner Freundin einen Knüppel von hinten über den Kopf gezogen hat.
Wie sehen Sie die Auseinandersetzungen am 1. Mai?
Das ist affig. Man trifft sich, um Krieg zu machen. Das find’ ich Quatsch, genauso wie Hooligantum oder so. Anders war es etwa 1993 nach der Asylgesetzänderung, da sind wir damals nach Bonn gefahren mit dem ganz klaren Ziel: Hier muss es krachen.
Ihr neues Album handelt auch vom Älterwerden. Woran merken Sie, dass Sie älter werden?
Zum Beispiel daran, dass ich nicht mehr andauernd Feiern gehe oder mich nicht so oft mit Drogen abschieße.
Hatten Sie mal einen richtigen Drogen-K.o.?
Süchtig war ich nie. Das war mir auch wichtig. Das waren bei mir immer Phasen. Ich bin Quartalsdrogist, aber im Alltag nehme ich keine Drogen und trinke nicht mal.
Welches ist die beste Droge?
Das hat für mich immer gewechselt. Eine Zeit lang war’s Ketamin, jetzt ist es lustigerweise Tilidin, ein Opiat. Man wird da ganz entspannt, ist eher eine downende Droge.
Welche persönlichen Dinge waren für Sie bei der Entstehung des neuen Albums wichtig?
Mein Leben hat sich dadurch verändert, dass ich eine Autoimmunerkrankung bekommen habe, rheumatische Arthritis. Mein Körper führt Krieg gegen mich. Ich bin auf Medikamente angewiesen. Das hat mich bestärkt, die Platte „Die Natur ist dein Feind“ zu nennen.
Welches sind die Symptome der Krankheit?
Man hat starke Schmerzen und die Gelenke versteifen sich. Zwischendurch gab es mehrere Monate, in denen ich keine Gitarre spielen und gar nicht an der Platte arbeiten konnte. Im schlimmsten Fall könnte ich nicht mehr laufen. Mit Medikamenten kann ich aber nun relativ normal leben. Es schränkt mich trotzdem ein, ich habe kleine Schübe.
Wie hat Sie die Krankheit verändert?
Man merkt plötzlich, man ist kaputtbar. Als junger Mensch denkt man ja immer, es kann einem gar nichts passieren.
Hat die Musik Ihnen dann geholfen, als sie wieder spielen konnten?
Musik hat für mich immer was Therapeutisches. Auch Konzerte zu spielen ist ein Kick. Das war ja immer mein Ding, mich über Musik auszudrücken.
Können Sie in so einer Krankheit irgendetwas Positives sehen?
Oh nee. Positiv ist daran nichts. Da bin ich nicht der Typ für, der jetzt was von „Krankheit als Chance“ erzählt. Nee. Ist einfach scheiße.
Aber den Titel und das Lied „Die Natur ist dein Feind“ kann man ja auch so verstehen, dass die Natur sich mit Gewalt an der Menschheit rächt.
Es lässt viel Interpretationsspielraum, das finde ich gut. Natürlich habe ich zu Naturgewalten auch so meine Feindschaft, wenn da ein Tsunami mal eben 10.000 Menschen wegfegt oder so. Das ist ja ein ganz klarer kriegerischer Akt.
Vielleicht haben wir’s nach den letzten 200 Jahren ja verdient.
Nee, das seh’ ich anders. Die Natur regeneriert sich von allem wieder.
Glauben Sie?
Spätestens, wenn der Mensch plattgemacht ist. Dann dauert’s halt ’ne Million Jahre. Sie ist wesentlich besser bewaffnet als wir.
Ein ganz schön klarer Antagonismus, der Mensch hat nichts mehr zu tun mit der Natur.
Nein, ganz so fatalistisch bin ich nicht. Ich bin trotzdem immer noch nicht der Typ, der sagt, ich fahr jetzt gern ins Grüne oder so.
Zu natürlichen Feinden haben Sie auch noch einen Song geschrieben: Zu „Frei.Wild.“
Ja, obwohl es mich derzeit fast schon nervt, wie sie zum Konsensfeind werden. Ich fand es zum Beispiel absurd, dass die Band Mia. die Ausladung Frei.Wilds vom Echo gefordert hat. Gerade die standen ja auch mal für einen Schlussstrich-Patriotismus, den ich mindestens genauso scheiße finde. Trotzdem finde ich den Song wichtig, weil Frei.Wild Blut-und-Boden-Ideologien vertreten und dann sagen, sie sind nicht rechts. Schwachsinn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen