Porträt Indie Label „Audiolith“: Füße des Merchandising-Mitarbeiters
„Kein Zutritt für Hinterwäldler.“ Das Hamburger Label Audiolith gewinnt Fans mit Guerilla-Marketing, fetzigem Sound und feiner Ironie.
Wer sich in letzter Zeit auf den Hamburger Straßen herumgetrieben hat, dem ist das Logo garantiert aufgefallen. Es prangt auf schwarzen T-Shirts in großen, gelben Lettern und auf schwarz-gelben Stickern an Laternenmasten: Das Format ist beliebig, der Markenname immer der Gleiche: Audiolith.
So nennt sich ein unprätentiöses Indielabel, das hierzulande gerade durch seine aggressive Ranschmeiße viele Fans gefunden hat. Der Labelname ist ein Fantasiewort, angelehnt an Monolith. Neben dem Hamburger Firmensitz gibt es eine Dependance in Berlin.
Bekannt wurde Audiolith zunächst mit der Ravepunk-Band Egotronic. Ihre Mischung aus Techno, Schepper-Punk und linken Agitprop-Texten hat einen Nerv getroffen. Egotronic prangern Alltagsrassismen und Sexismen an, aber sie heben nicht den moralischen Zeigefinger, sie feiern lieber: „Raven gegen Deutschland“, heißt es da, oder „es regiert das Lustprinzip.“ Politik und Nonsens, Partyparolen und Herzschmerz. Dasselbe Rezept verfolgen auch andere Audiolith-Künstler wie Bratze oder Frittenbude.
Musikalisch hat Audiolith vor allem HipHop, Pop und Techno zu bieten. Alle Genres vergnügen sich in abenteuerlichsten Hybridformen. Oftmals kollaborieren die Bands miteinander und geben gemeinsam Konzerte. Das Label als Patchworkfamilie. „Ich bin der Papa, Arthur ist der Stief-Papa, Chrissie ist die Mama, Sven ist der Onkel fürs Grobe und Hendrik ist der Koch“, erzählt Lars Lewerenz mit einem müden Lächeln.
Lewerenz leitet das Label, sucht die Veröffentlichungen aus. Seine Berliner Kollegen Artur Schock und Hendrik Menzl buchen Konzerte. Chrissie Klass erledigt die Public-Relations-Arbeit, den Überblick in Sachen Merchandise hat Sven Naumann.
Raffinierte Hommagen an die Firma
Audiolith ist wahrscheinlich das einzige Label, dessen Angestellte von den Künstlern sogar Oden serviert bekommen: Kevin Hamann besingt in „Mit Naumanns Füßen“ tatsächlich die Füße des Merchandising-Mitarbeiters. Texte von Audiolith-Bands stecken voller Anspielungen, es sind raffinierte Hommagen an die Firma und die Stadt Hamburg, in der alles begann. Unverblümtes Guerilla-Marketing.
Selbstverständlich ist Hamburg auch Schauplatz der meisten Audiolith-Musikvideos, unter anderem drehten Frittenbude dort ihr Video zu „Bilder mit Katze“. Mit seiner Vintage-Ästhetik hat es den Geschmack der Instagram-Generation getroffen. Und die HipHop-Crew Neonschwarz erklärt in „On a Journey“ auf einer Reise durch Sankt Pauli bis hin zum Elbstrand: „Es ist wie auf Hawaii, nur dass es hier Bier gibt.“ Captain Gips rappt dies aus seinem Einkaufswagen heraus in die Kamera.
Linke Texte, subtiler Lokalpatriotismus und Subversion, daraus haben Audiolith tatsächlich Kapital geschlagen. Sie wenden die Kommerzialisierung sozusagen gegen sich selbst. Trotzdem ist Audiolith mehr als nur ein Marketinggang. Jeder von einem Slogan verzierte Laternenpfahl ist ein kleiner Teil vom großen Ganzen. Es ist täuschend echtes Branding, nur dass die Werbung in Zirkeln mit alternativem Anspruch stattfindet. „Ganz Audiolith hasst die Polizei“, „Still loving Audiolith“, „Fuck Audiolith“: Offensichtlicher könnte die Aneignung von Antifa-Parolen nicht sein.
Das Label-Profil gewinnt dadurch nicht nur Bezug zur Szene, sondern gibt selbiger gleich eine Portion Selbstironie mit dazu. Denn als offen politisch will sich Audiolith eben nicht bezeichnen lassen. So oft und so sarkastisch wie der Labelname in den Songs der hauseigenen Bands fällt, scheint es fast, als würde werbepsychologische Gehirnwäsche angewendet. „Du kaufst der Frau, die du liebst, ein Shirt von Audiolith / Weil es da draußen nichts gibt“, singen Frittenbude.
Bei Egotronic heißt es „Die einen werfen Pillen, die anderen nicht / Aber alle sind sie süchtig nach Audiolith“. Zum zehnjährigen Geburtstag des Labels erscheint nun eine neue Ausgabe des Labelsamplers „Doin’ Our Thing“. 18 Bands unterschiedlicher Couleur begehen das Jubiläum. Das queere Elektropop-Duo Tubbe entgegnet der Fundamentalkritik am Plattenlabel: „Äh, nee / Wir sind doch bei Audiolith!“ und Okma & Relups rufen auf ihrer trashigen Hommage: „Audiolith, Audiolith / Ich hab dich so lieb!“
Lars Lewerenz empfindet solche Zeilen als Bestätigung für gute Kommunikation. „Wir geben den Künstlern den Freiraum, den sie brauchen. Alles entsteht aus freien Stücken. Nennen wir es Liebe, sie erzählt unsere Geschichte. Das sind halt wir, mit all unseren Ecken und Kanten.“
Cash from Chaos
Audiolith bewahrt sich Street-Credibility. Und wird gerade deshalb akzeptiert. Anscheinend rechtfertigt sich das Branding als Satire, denn Label, Bands und Fans kommunizieren auf Augenhöhe, wenn sie in Videoclips, auf Konzerten oder Festivals gemeinsam tanzen. Wem die Musik als Zeugnis der Chaosmentalität nicht reicht, kann sich nun auch literarisch von der Kreativität eines Audiolith-Künstlers überzeugen.
Trübe Wortwitze, pointierte Anekdoten und Selbstironie – mit diesen Werkzeugen rüstet sich der Hamburger Schlagzeuger Jonnie Schulz, wenn er über die Geschichte seiner Butch Meier Band schreibt. Raus aus dem Punk und rein in die Welt von Country & Western, das nahmen sich Schulz und seine drei Bandkollegen im Jahr 2000 vor.
Schulz gelingt das Kunststück, den hanseatischen Zungenschlag ohne Reibungsverluste in Schriftsprache umzumünzen. Es ist schwer, ein Kapitel zu lesen, ohne grinsen zu müssen. So bleibt man den Bandmitgliedern stets dicht auf den Fersen, nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch auf dem Weg dorthin begleitet das Buch die Band.
Das Erfolgsrezept der Beatles sollte auch für sie gelten: Von St. Pauli aus wird die Welt erobert. Na ja, auf dem Kiez hatten die Musiker der Butch Meier Band wenigstens den Status von Lokalhelden: Der charismatische Frontmann Butch Meier arbeitet als Türsteher, „Digger [Barnes] hat hier sein Frisörstudio, Jonnie ist mal bei ’nem Tischtennisturnier Zweiter geworden und ich geh halt gerne in Kneipen“, klärt Ted Memphis über die Szene auf.
So ehrlich und so schäbig scheint die Story, wenn vom Dreh eines Werbeclips für den Hamburger Rummelplatz Dom erzählt wird. „Dom ohne Butch Meier ist wie Omelett ohne Eier!!!!!“ steht auf der Rückseite der Selfmade-DVD, die während der Aufbauarbeiten entstand. Mit ihrem selbsternannten Smashhit „Skymarshall“ will die Butch Meier Band den Rummelplatz-Chef für sich gewinnen.
Als dieser sich allerdings doch für Truck Stop entschied, ist die Enttäuschung der Band immens. „Da saß er in seinem schicken Büro, mit seinen schicken Schuhen und hielt sich für den Geilsten, weil er uns einfach abservieren konnte.“ Dass er sich mit den Falschen angelegt hat, macht die Band mit dem Aufruf „Don’t beat the Lukas, beat the Domboss!“ auf ihrer Homepage klar. Lange blieb der Slogan allerdings nicht dort stehen, es drohten rechtliche Konsequenzen.
Das Album: Various Artists: „Ten Years From Now (Still Doin’ Our Thing #3)“ (Audiolith/Indigo)
Das Buch: Jonnie Schulz: „Kein Zutritt für Hinterwäldler. Die Geschichte der Butch Meier Band“. Ventil Verlag, Mainz 2013, 240 S., 17,90 Euro
Die Lesetour: 15.11. Flensburg, Volksbad, 16.11. Rostock, Warmbad, 17.11. Bremen, Friesenstraße, 18.11. Gießen, AK 44, 19.11. Mainz, Hafeneck, 20. 11. Münster, Baracke, 21.11. Berlin, Monarch, 22.11. Potsdam, Black Fleck, 23.11. Leipzig, UT Connewitz
Ein besetztes Haus in Friedrichshain soll zur Kulisse des ersten richtigen Auftritts werden. Aber die Besetzer hegen Vorurteile. Sie glauben, dass Countrymusik per se reaktionär sei, deshalb distanzieren sie sich wie viele andere Veranstalter von der Musik.
Dass die Butch Meier Band lediglich Songs aus unterschiedlichen Musikepochen von Pop bis Punk in Countryversionen spielt und die Redneck-Attitüde satirisch überhöht, verstehen sie nicht. Um dem Publikum die Zweifel an der Einstellung der Band zu nehmen, hängt fortan an der Konzertkasse jeweils ein Schild, das zum Titel des Buches werden sollte: „Kein Zutritt für Hinterwäldler.“