Ebow Album „FC Chaya“: Ein Club für die Chayas
Ebru Düzgün alias Ebow ist HipHop-Musikerin und ein Role-Model ihrer Generation. Nun erscheint ihr bislang persönlichstes Album.
„Als ich frisch angefangen hatte mit Musikmachen, 2005, war mein erstes Ziel, mal auf einem Plakat draufzustehen. Ich kannte damals gleichaltrige Rapper, und die waren schon auf Plakaten drauf. Ich glaube, ich habe immer noch den ersten Flyer, auf dem mein Name stand. Da nannte ich mich ich noch nicht Ebow, da hieß ich Queen Styles, aber mein Name steht drauf!“
Ebows erster Flyer hing in München, dort ist sie auch geboren und aufgewachsen. Es ist die Stadt, in deren Bahnhofsviertel sie ihre ersten Auftritte bei HipHop-Jams hatte, ihr Debütalbum beim Indielabel Disko B veröffentlichte. Und die Stadt, in der sich Ebow auch während des Zoom-Interviews befindet. Sie ist in der alten Heimat, um ihre Familie zu besuchen. „Ich gebe ein Interview. Nur, dass du Bescheid weißt, okay?“, ruft sie ihrem Onkel vom Sofa aus zu, der gerade die Treppe hinuntergeht. Ganz beiläufig.
Mit „FC Chaya“ ist nun Ebows fünftes Soloalbum erschienen, ihr Debüt veröffentlichte sie vor elf Jahren. Die 33-jährige Künstlerin ist außerdem Teil des Trios Gadaffi Gals und seit Kurzem auch als Schauspielerin tätig. Es läuft für Ebow. Sie dürfte also bereits das eine oder andere Interview geführt und diesem Vorgang eine gewisse Alltäglichkeit abgerungen haben.
Trotzdem ist sie weit davon entfernt, ihre Künstlerinnenexistenz als Promotion abzuspulen. Denkt sie über Fragen nach, verlangsamen sich ihre Worte. Manchmal holt sie aus, lacht kurz und entschuldigt sich dafür. Dabei klingt kein Satz, den sie sagt, irrelevant oder wirkt eingeübt. Es gibt Dinge, über die will sie reden und das dauert manchmal eben länger.
Ebow: „FC Chaya“ (Garip Werkstätten). Live: 12. 10. 24 Hannover Musikzentrum, 13. 10. 24 Frankfurt/M. Mousonturm
Lebensgeschichte in fünf Minuten
So, wie auf dem dritten Track ihres Albums. „Ebru’s Story“ heißt der und ist so etwas wie der eigentliche Titel des Albums. Wie bereits „FC Chaya“ vermuten lässt, erzählt Ebow, die bürgerlich Ebru Düzgün heißt, darin nicht weniger als ihre Lebensgeschichte – in fünf Minuten und 15 Sekunden. „Auf jedem Album von mir sind gesellschaftskritische Songs drauf. Ich bin eine kurdische Frau und Alevitin, mein ganzes Leben gab es jedes Jahr irgendeine Krise, die meine Identität betrifft“, sagt sie im Gespräch.
Dabei bringt sie diese Krisen und das Verhandeln ihrer Identität mit so viel erzählerischem Geschick rüber, dass es sich anfühlt, als habe man gerade ihre Autobiografie gelesen. Der Moment, als der Song zu Ende ist, gleicht dem Schluss eines guten Buchs, dessen letzte Seite man soeben beglückt gelesen hat.
Als Ebows persönlichstes Album wurde „FC Chaya“ im Vorfeld angekündigt. Die Zuschreibungen „persönlich“ und auch „emotional“ werden gemeinhin eingesetzt, um massenwirksam Musik zu vermarkten. Aber wie man es von Ebow erhofft, arbeitet sie dabei nicht mit leeren Versprechen. Der dritte Vers von „Ebru’s Story“ setzt sich mit dem Ereignis auseinander, das zentral für die Entstehung des Songs war und erst im vergangenen Jahr stattfand.
Keiner kann dir sagen wie du zu leben hast
Zu ihren Tanten hat sie ein enges Verhältnis. In einem Berliner Café erzählt sie ihnen damals, dass sie lesbisch ist. „Egal auf wen du stehst / Ebru du bleibst du / Und weil du nur dieses eine Leben hast / Kann keiner dir sagen wie du zu leben hast / Und mach dich bitte niemals klein vor Verwandten und Bekannten / Und mach dich bitte frei von all den negativen Gedanken / Und sei dir bitte sicher wir sind immer an deiner Seite / Manche Dinge brauchen Zeit doch warte nicht zu lange.“ So fasst Ebow die Reaktion in „Ebru’s Story“ zusammen.
Das Verhandeln von Queerness bildet in der HipHop-Szene, in der deutschen Musiklandschaft immer noch einen blinden Fleck. In der migrantischen Community ist es auch nicht gerade alltäglich. Ebow ist hier wie bei anderen Themen Vorreiterin und damit auch Vorbild. Und genau die braucht es. Generell und gerade jetzt.
„Ich hoffe, dass den Song viele junge, queere Leute hören und das Gefühl bekommen, dass das Leben viel schöner wird, als sie sich das jemals vorstellen können. Ich bin gestern Abend in die Gegend gefahren, wo ich aufgewachsen bin, wo ich meine Kindheit verbracht habe. Und ich musste so sehr an die kleine Ebru denken und was für Konflikte ich hatte. Ich bin mir so sicher, wenn ich irgendwie ein Role-Model gehabt hätte oder eine Musikerin, die diesen Song macht oder generell solche Musik macht, das hätte mir viel Mut gegeben, zu mir zu stehen“, sagt sie. Ebru wirkt dabei, als würde sie sich genau in diesem Augenblick vorstellen, was das für sie persönlich bedeutet
Liebeserklärung an Frauen und Freundinnen
Die Vermutung liegt nahe, dass „Ebru’s Story“ den Grundstein für „FC Chaya“ gelegt hat. Dabei entstand der Song als vorletzter. Vielmehr ist es so, dass „die anderen Songs diesen erst ermöglicht haben“, wie Ebow sagt. Und das ist im Umkehrschluss dann auch naheliegend. Denn Songs wie „Chayas Worldwide“, „Juicy“ oder „Bodies“ sind eine Liebeserklärung. An Frauen und an die Freundinnen. Eingebettet sind sie in einen R&B-lastigeren Sound, mit viel smoothen Grooves und eingängigen Melodien, wie es sich schon auf dem Vorgängeralbum „Canê“ angekündigt hatte und nun noch einmal deutlich verfeinert wurde.
Häufiger nutzt Ebow ihre Singstimme, an der sie, wie sie sagt, lange gezweifelt hat, und legt sie auf Beats, die unter anderem von Produzentin Sirin, die man vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit der Berliner Rapperin Wa22ermann kennt, sowie von Ebows langjährigem Freund und Kollaborateur Walter p99 arke$tra stammen. „Ich glaube, ich bin mehr mit R&B als mit Rap groß geworden, bin eigentlich schon immer so ein R&B-Kid gewesen. Ich liebe R&B, und es ist so, ich höre die gleichen R&B-Songs seit zehn Jahren rauf und runter“, stellt Ebow fest und schließt damit einen Kreis.
Denn auf „FC Chaya“ geht sie nicht nur textlich in ihre Jugend, sondern auch musikalisch. Sie legt all ihre Leidenschaften in dieses Album, dessen Titel so einfach und treffend daherkommt, dass man sich gar nicht vorstellen kann, es hätte anders heißen können. „Ich hatte das Konzept schon im Kopf und fand: Okay, das ist der Titel und ich finde es ganz geil, weil es sich so eine Männerdomäne nimmt – Fußball – und dann Chaya dahinter packt und ich finde, das ist ein geiles Wort, das sieht geil aus, es beschreibt die Grundstimmung des Albums. Es könnte Fußballclub Chaya bedeuten, aber es könnte auch Fanclub Chaya sein“, begründet Ebow ihre Entscheidung.
„Forever“ heißt der Auftaktsong des neuen Albums. Er begrüßt Hörer:Innen mit den Worten „Hey, was geht, das ist der Anrufbeantworter von FC Chaya / Falls du nen Crush hast, drück die 1 / Falls du Herzschmerz hast, drück die 2 / Falls du Gästeliste brauchst, drück die 3 / Ihr wisst, wir sind immer da für unsere Chayas.“
Taste 4 ist noch nicht belegt. Vielleicht kann man das bald ändern: Drück die 4, wenn du Mitglied beim FC Chaya werden willst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl