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EU beschließt neuen Brexit-Zeitplan22. Mai ist Ausstieg – vielleicht

Nach stundenlangen Verhandlungen einigt sich der EU-Gipfel in Brüssel auf einen neuen Zeitplan zum Brexit. Ob der aber so kommt, ist ungewiss.

Na, klappt der Ausstieg? Foto: ap

Brüssel taz | Erleichterung in der Politik, Verunsicherung in der Wirtschaft: Der neue Zeitplan für den Brexit, den der EU-Gipfel am Donnerstag überraschend beschlossen hat, stößt auf ein gemischtes Echo. Denn die Zitterpartie geht nun bis zur Europawahl weiter. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scheint nicht restlos überzeugt.

„Es war ein sehr intensiver, aber auch sehr erfolgreicher Abend“, erklärte sie nach den achtstündigen Beratungen in Brüssel, bei denen immer neue Termine diskutiert wurden. Allerdings bestehe weiter das Risiko, dass es zu einem ungeordneten Austritt kommen könnte – mit einer neuen, harten Grenze zwischen Irland und Nordirland.

Die EU-27 hatten sich kurz vor Mitternacht auf eine Verschiebung des britischen EU-Austritts geeinigt und dabei einen völlig neuen, gestaffelten Zeitplan vorgelegt. Demnach wird der EU-Austritt bis zum 22. Mai verschoben – und nicht bis zum 30. Juni, wie dies Premierministerin Theresa May beantragt hatte.

Die neue Deadline gilt aber nur, wenn das britische Unterhaus in der kommenden Woche dem bereits zweimal abgelehnten EU-Austrittsvertrag doch noch zustimmt. Gelingt dies nicht, gilt die Verlängerung nur bis 12. April. Vorher könnte Großbritannien noch neue Vorschläge machen – oder doch noch ohne Vertrag aus der EU austreten.

Mit Vertrag, ohne Vertrag oder ewige Vertagung?

In der Praxis läuft dies auf drei Möglichkeiten hinaus: Geordneter Austritt mit Vertrag, chaotischer Brexit ohne Deal – und eine Vertagung auf unbestimmte Zeit. In Brüssel hoffen manche auch darauf, dass Großbritannien den Austrittsantrag letztlich doch noch zurückziehen könnte. Das wäre dann der „Exit vom Brexit“.

Der neue Zeitplan erhöht den Druck auf May und das britische Parlament, sich doch noch auf den umstrittenen Brexit-Deal zu einigen. Gleichzeitig nimmt er Rücksicht auf die Europawahl, die am 23. Mai beginnt. Die EU-27 wollen vor Beginn der Wahl reinen Tisch machen – und nicht das Risiko eingehen, dass die Abstimmung nachträglich angefochten werden könnte.

Frau May hat endgültig die Kontrolle über das Verfahren verloren, so Bütikofer weiter. „Dass sie im Mai noch Premierministerin sein wird, ist höchst unwahrscheinlich.“

Allerdings gibt es auch hier wieder eine Einschränkung: Großbritannien könnte doch noch an der Europawahl teilnehmen. Dafür müsste die Regierung in London allerdings bis zum 12. April einen weiteren, dann wohl mehrere Monate dauernden Aufschub beantragen.

Im Europaparlament sorgt dies für Stirnrunzeln, aber auch für Zustimmung. Es seien weiter alle Optionen auf dem Tisch, erklärte der Chef der Europa-Grünen, Reinhard Bütikofer. „Frau May hat endgültig die Kontrolle über das Verfahren verloren“, so Bütikofer weiter. „Dass sie im Mai noch Premierministerin sein wird, ist höchst unwahrscheinlich.“

Die Grünen könnten sich mit einer britischen Teilnahme an der Europawahl anfreunden – denn sie erwarten einen deutlichen Stimmenzuwachs auf der Insel. Viele britische Pro-Europäer würden grün wählen, sagte der belgische Europaabgeordnete Philippe Lamberts. Sozialdemokraten und Konservative seien hingegen in „Remainers“ und Brexiters gespalten.

Ablehnend bis feindlich fällt die Reaktion im britischen Unterhaus aus. Es sei nahezu ausgeschlossen, dass May im Londoner Unterhaus kommende Woche doch noch eine Zustimmung zum Austrittsvertrag bekommen wird, sagte der konservative britische Abgeordnete Craig MacKinlay. „So wie das parlamentarische Chaos derzeit aussieht, würde ich sage, es ist sehr, sehr unwahrscheinlich.“

Skeptisch zeigt sich auch die deutsche Wirtschaft. „Die Hängepartie geht weiter“, erklärte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Mit der Fristverlängerung setze sich die quälende Unsicherheit für die Unternehmen fort. Unsere Unternehmen brauchen Klarheit. Deshalb müsse die britische Politik den Brexit-Prozess schnellstmöglich abschließen.

Danach sieht es allerdings nicht aus. Am Samstag wollen in London erst einmal die EU-Anhänger und die Befürworter eines zweiten Referendums auf die Straße gehen. Auch Europaabgeordnete wollen sich an der Demo beteiligen. Danach ist das Unterhaus am Zug – es muss entscheiden, ob es eine dritte Abstimmung über den Brexit-Deal zulässt. Die EU sitzt weiter auf der Zuschauerbank, auch wenn sie nun die Regie übernommen hat.

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1 Kommentar

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  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Schön zu sehen, wenn die englische Politikerkaste überhaupt nicht mehr merkt, dass sie ihre Inselbewohner und die „Kontinentalen“ nur noch nerven.



    Es ist auch schön zu sehen, dass unsere vom Inselleben nachhaltig hart geprägten Mit-Europäer so generell gar nicht richtig wissen, ob sie nun drin oder drausen sein wollen. Leider machen sie das dann von möglichen Folgen abhängig; sind die Draussen-Folgen eher blöd - dann lieber auf Abstand drinnen, sind die Drinnen-Folgen wie unerträgliche ständig schmerzende Fesseln der Freiheit, dann lieber sofort draussen. Aber mit etwas drinnen - wegen Nordirland und den Schotten, die ja schnell die Schotten dicht machen.



    Auf mich wirkt das zunehmend wie eine seltsame kollektive psychische Erkrankung. Eine Art von Neurose, wo sich immer gekratzt wird, wenn‘s juckt - und wenn‘s mal nicht juckt über den fehlenden Juckreiz gejammert wird. Gut, das ich keiner von der Insel bin.