EU-Zollunion mit der Türkei: Gespräche zur Schadensbegrenzung
In den Beziehungen zwischen der Union und der Türkei bewegt sich derzeit nichts. Darunter leidet die Wirtschaft. Auch die Vertiefung der Zollunion stockt.
Doch in der Praxis geht fast nichts mehr zwischen Brüssel und Ankara. Das mussten Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und EU-Minister Ömer Çelik feststellen, als sie am Dienstag zu einem Minigipfel in die EU-Hauptstadt kamen. Statt um „Intensivierung des Dialogs“ geht es fast nur noch um Schadensbegrenzung.
Schon am Montag hatte Erweiterungskommissar Johannes Hahn seinen türkischen Gästen die Leviten gelesen. Auch er sei der Meinung, „dass sich das Land sozusagen von europäischen Werten entfernt“, sagte der Österreicher. Darüber werde es „sicher eine Diskussion“ geben. Hahn warnte auch vor negativen Auswirkungen des deutsch-türkischen Streits. Der Konflikt fördere sicher nicht die Bereitschaft von Touristen, ins Land zu kommen. „Dasselbe gilt für Investitionen in das Land, wenn die Situation weiter sehr wackelig, sehr unklar, sehr zerbrechlich erscheint.“
Das sind unangenehme Wahrheiten für die beiden türkischen Minister und ihren selbstherrlichen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Denn sie sind vor allem an besseren Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland und Europa interessiert.
Handelsgespräche ins Stocken geraten
Ende 2016 hat die EU-Kommission eine „Modernisierung“ der Zollunion vorgeschlagen, die den Handel mit der Türkei seit 1995 vervierfacht hat. Brüssel möchte diese Union nun auf Dienstleistungen, öffentliche Beschaffung und Landwirtschaft ausweiten, was gerade für deutsche Unternehmen lukrativ wäre.
Doch nun sind die Handelsgespräche ins Stocken geraten – genau wie die Beitrittsverhandlungen. Zwar wurden die Aufnahmegespräche noch nicht offiziell ausgesetzt, wie es das Europaparlament unter Hinweis auf die türkischen Menschenrechtsverletzungen seit Monaten fordert. Auch deutsche Rufe nach einer Kürzung der Vor-Beitritts-Hilfen für die Türkei werden skeptisch gesehen.
Doch neue Kapitel werden nicht mehr geöffnet, de facto bewegt sich seit Jahresbeginn nichts mehr. Dass „die Tür weiter offen steht“, wie Kommissionschef Juncker betont, ist nicht viel mehr als nette Rhetorik, um die ohnehin schwierigen Beziehungen nicht weiter zu belasten.
Allerdings gerät nun auch die Kommission unter Druck. Und auch das Europaparlament und die Zivilgesellschaft werden unruhig. Die EU müsse den türkischen Ministern bei ihrem Besuch in Brüssel klarmachen, „dass sie endgültig eine rote Linie überschritten haben“, sagte Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty. Die Beziehungen müssten auf eine neue Grundlage gestellt werden. Doch welche? Die Antwort kommt wohl frühestens im Herbst – nach der Wahl in Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich