EU-Reaktionen auf die Merz-Wahl: Und dann passiert – nichts
In Brüssel sorgt die Wahl des neuen Kanzlers kaum für Aufregung. Nur seine Parteifreundin von der Leyen jubelt. Die Wunschliste der EU an Merz aber ist lang.

Freudige Gesichter sind erst am Freitag zu erwarten, wenn Merz zu seinem Antrittsbesuch in Brüssel erwartet wird. Bis dahin herrscht vor allem eins: Unverständnis. Wie konnte es passieren, dass Merz, den man in Brüssel noch aus seiner Zeit als Europaabgeordneter kennt, so einen chaotischen Start hinlegt? Und was sagt das Berliner Beinahedebakel über seine Führungsqualitäten?
Der neue Kanzler sei ein „ausgewiesener Freund und Kenner Europas“, versuchte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu beruhigen. Die CDU-Politikerin schätzt Merz; sie hat ihm ihre zweite Amtszeit in Brüssel zu verdanken. Er hatte sie bei der Europawahl zur Spitzenkandidatin nominiert, nun sind beide zum Erfolg verdammt. „Ich freue mich auf eine enge Zusammenarbeit“, frohlockt von der Leyen.
Doch jenseits des christdemokratischen Clubs hält sich die Vorfreude in Grenzen. „Wer so lange gespalten hat, kann anscheinend kein Land einen“, schrieb der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss auf „X“. Im EU-Parlament gebe es „Zweifel, ob Deutschland mit Friedrich Merz als Kanzler tatsächlich Stabilität und Führung in Europa bringen würde“, so die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn.
Lange Wunschliste der EU-Politiker
Die Wunschliste der EU-Politiker ist lang. Ganz oben steht das Ende des „German vote“ – also der deutschen Blockade von EU-Entscheidungen, weil man sich in Berlin nicht einig war. Dafür will Merz persönlich sorgen, die Europapolitik hat er zur Chefsache erklärt. Mit dem bisherigen EU-Botschafter Michael Clauß hat er sich einen versierten Fachmann ins Kanzleramt geholt.
Doch ob das reicht, ist fraglich. Schon beim zweiten großen Thema auf der europäischen Wunschliste – dem Geld – steht Merz genau wie sein Amtsvorgänger Olaf Scholz auf der Bremse. Deutsche Führung heißt auch deutsches Geld – doch Berlin will weder das Brüsseler Budget aufstocken noch neue EU-Schulden für die Aufrüstung bewilligen. Hier könnte Merz sogar mit von der Leyen aneinandergeraten.
Die neue Bundesregierung hat zwar keine Probleme mehr mit der Verteidigung und mit Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Lockerung der deutschen Schuldenbremse macht fast alles möglich. Allerdings hat Merz übersehen, dass deutsche Schulden auch in Brüssel notifiziert werden müssen – und dass sie gegen die EU-Schuldenregeln verstoßen. Berlin hat nun eine Ausnahme beantragt, der Ausgang ist offen.
Streit droht auch beim dritten großen EU-Thema – Asyl und Migration. Die angekündigten deutschen Grenzkontrollen werden vor allem die europäischen Nachbarn treffen. Polen und Luxemburg haben schon Protest angemeldet und die EU-Kommission aufgefordert, den freien Personenverkehr im Schengenraum zu schützen. Doch von der Leyen duckt sich weg; sie will sich nicht gleich zu Beginn mit Merz anlegen.
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