EU-Parlament lehnt Vorstoß ab: Kein Antibiotikaverbot für Tiere
Selbst die für Menschen wichtigsten Antibiotika dürfen weiter Tieren gegeben werden, entscheidet das EU-Parlament. Ärzte warnen vor Resistenzen.
Auch der Einsatz von Antibiotika bei Tieren trägt Behörden zufolge dazu bei, dass krank machende Bakterien unempfindlich gegen die Medikamente werden. Beispielsweise über Lebensmittel können die Erreger auf Menschen übertragen werden. In Deutschland sterben laut einer von der EU finanzierten Studie jährlich etwa 2.400 Personen, weil sie sich mit einem resistenten Keim infiziert haben. Deshalb hat die EU beschlossen, dass Reserveantibiotika Menschen vorbehalten sein sollen. Der nun vom EU-Parlament durchgewunkene Erlass legt Kriterien für die Auswahl der zu verbietenden Medikamente fest.
„Das ist in der Tat ein ganz schlechter Tag für die Humanmedizin. Es ist vielleicht ein guter Tag für die niedersächsische Geflügelindustrie“, sagte Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen. Er hatte in seiner Funktion als Verhandlungsführer des Parlaments für das Thema den Einspruch gegen den Kommissionserlass formuliert.
Der Erlass enthalte so viele Ausnahmen, dass weiter Hühner, Puten und Schweine „massenhaft“ mit Reserveantibiotika behandelt würden, selbst wenn sie nicht krank sind. Masthühner beispielsweise werden zu Zehntausenden in einem Stall gehalten und erhalten die Medikamente im Wasser, auch wenn sich nur einzelne Tiere infiziert haben.
Häusling beklagte, der Bundesverband praktizierender Tierärzte habe eine sehr emotionale „Kampagne mit Fake News“ gegen seinen Einspruch initiiert. Die Organisation hatte in einer Petition behauptet, der Vorschlag des Abgeordneten bedrohe das Leben von Haustieren wie Hunden oder Katzen, weil sie nicht mehr mit Reserveantibiotika behandelt werden dürften. Tatsächlich hatte Häusling aber Ausnahmen für eine „Einzeltierbehandlung“ vorgesehen.
Arzt Montgomery: Mehr Tierwohl wäre möglich gewesen
Solche Ausnahmen wird es nun laut Kommission nicht geben für die Antibiotika, die die Behörde bis 28. Januar auf Grundlage ihrer Kriterien auswählen muss. „Das, was die Tierärzte eigentlich wollten – Fiffi schützen –, haben sie mit ihrem Einspruch gegen unser Veto tatsächlich selbst verhindert. Sie haben sich ein Stück weit selber ins Knie geschossen“, so Häusling. Er warf dem Tierärzteverband vor, die ökonomischen Interessen der Praxen geschützt zu haben, die bis zu 80 Prozent ihres Umsatzes mit dem Verkauf von Medikamenten wie Antibiotika etwa an Putenmäster machten.
„Die EU hat die Chance verpasst, etwas für die menschliche Gesundheit und indirekt das Tierwohl zu tun“, sagte der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, der taz. Tödliche Antibiotikaresistenzen gingen „zu einem erheblichen Teil“ auf den übermäßigen Gebrauch dieser Präparate in der Veterinärmedizin zurück. Hätte die EU die Medikamente in der Tiermast verboten, hätte sie Antibiotika „als Ersatz für gute Haltungsbedingungen ausgeschlossen“. Auch die Bundesärztekammer, die Deutsche Umwelthilfe und Germanwatch kritisierten die Parlamentsentscheidung.
Der Tierärzteverband dagegen freute sich, dass alle Tiere weiterhin „mit einer ausreichenden Anzahl“ von Antibiotika behandelt werden könnten. Die Bundestierärztekammer lobte, der Beschluss basiere auf Erkenntnissen „aus Human- und Tiermedizin“. Häuslings Einspruch dagegen basiere nur auf den „Empfehlungen der (Weltgesundheitsorganisation) WHO, welche ausschließlich die menschliche Gesundheit berücksichtigen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül