EU-Navisystem Galileo in Gefahr: Rätseln über Soyus Flight VS09
Zwei Satelliten des EU-Ortungssystems Galileo sind verloren. Was aus dem Projekt wird, hängt offenbar auch vom Ukraine-Konflikt ab.
BERLIN taz | Es sollte ein ganz großes europäisches Ding werden. Um nicht vom GPS der US-Amerikaner abhängig zu sein, wollte Europa ein eigenes Satelliten-Ortungssystem aufbauen. Viel besser und genauer sollte Galileo werden – und vor allem nicht Gefahr laufen, wie GPS aus sicherheitspolitischen Gründen manipuliert oder gar abgeschaltet werden zu können. Doch derzeit gleicht die Zukunft von Galileo – 30 Satelliten im All und jede Menge Software auf der Erde für einen locker zweistelligen Milliardenbetrag – in etwa einem schwarzen Loch: Drinnen steht die Zeit still.
Zunächst ist das Schicksal der zwei am Freitag auf eine falsche Umlaufbahn gebrachten Galileo-Satelliten völlig unklar. Da zu wenig Treibstoff an Bord ist, würden die beiden Hightech-Geräte nie den Zielorbit erreichen, zitiert der Branchendienst insidegnss.com ungenannte Quellen in Brüssel. Aus dem Kontrollzentrum der Europäischen Raumfahrtorganisation (ESA) in Darmstadt hieß es am Montag, Genaueres wisse man erst in einigen Tagen.
Vier Satelliten einer Galileo-Vorserie sind bereits im All. Nummer 5 und 6, gebaut für je 40 Millionen Euro bei OHB in Bremen, hätten vom EU-Raumfahrtbahnhof in Französisch-Guayana auf eine kreisförmige Umlaufbahn in 23.500 Kilometern Höhe gebracht werden sollen – mit einer russischen Trägerrakete. Die Satelliten landeten aber aus bislang ungeklärten Gründen auf einer elliptischen Umlaufbahn mit falscher Neigung – hier schwankt ihre Höhe zwischen 13.800 und 25.800 Kilometern. Ein Fiasko.
Brüssel verlangte am Montag Aufklärung. EU-Kommission und ESA würden eine Kommission bilden, um „die Ursachen für den Vorfall zu verstehen und zu klären“, sagte der zuständige Industriekommissar Ferdinando Nelli Feroci. Laut Insidern wird sich das Programm, das eigentlich bereits 2008 funktionsfähig sein sollte, durch die Ursachenforschung erneut um mindestens sechs Monate verzögern. Der nächste Start ist bislang im Dezember geplant.
Die russischen Trägerraketen gelten als zuverlässig
Was aus dem Projekt wird, hängt vielleicht auch vom Ukraine-Konflikt ab. Es verwundert viele Experten, dass Soyus Flight VS09 im Desaster endete. Die russische Trägerrakete gilt als zuverlässig. Nun hat sie das erste europäische Satellitendebakel seit zwölf Jahren verursacht. Das fördert Verschwörungstheorien – zumal Russland mit Glonass über ein eigenes „GPS“ mit 24 Satelliten verfügt.
Viele mutmaßen über einen üblen Schachzug als Zeichen einer neuen Eiszeit zwischen Russland und dem Westen: Russlands Vizeministerpräsident Dmitri Rogozin hatte unlängst erklärt, die Zusammenarbeit mit den USA beim Betrieb der Internationalen Raumstation schon 2020 einstellen zu wollen – geplant war eigentlich 2024. Rogozin hatte auch angekündigt, die Nutzung von GPS auf russischem Territorium nicht weiter unterstützen zu wollen. Rogozin ist von den USA und der EU wegen „Beteiligung an der Destabilisierung der Ostukraine“ mit Sanktionen belegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“