EU-Gesetz gegen gefährliche Ackergifte: Giftkrimi in Brüssel
Die Industrie hat ein Gesetz gegen Chemikalien jahrelang verschleppt – nun soll es kommen. Die Umweltverbände bleiben unzufrieden.
Die Einflussnahme der Industrie auf den Gesetzgebungsprozess ist legendär: Auch auf Druck des deutschen Chemiekonzerns Bayer CropScience wurde der Gesetzgebungsprozess jahrelang verschleppt. Beteiligte EU-Behörden waren industrienah besetzt, die kritische Generaldirektion Umwelt verlor die Führungsrolle in dem Prozess.
Jetzt kommen die Verhandlungen zum Ende, am Dienstag könnte der zuständige EU-Ausschuss den Anhang der Verordnung 1107/2009 verabschieden. Der spröde Text definiert, welche Chemikalie als „endokriner Disruptor“ (EDC) eingeordnet – und damit perspektivisch verboten wird.
Diese Definition ist nicht so einfach, denn endokrine Disruptoren sind keine Gruppe bestimmter Substanzen, sondern bezeichnen ganz unterschiedliche Chemikalien. Sie haben nur eines gemeinsam: Sie greifen in das Hormonsystem von Menschen und Tieren ein, können diverse Krebsarten auslösen sowie Verhaltensauffälligkeiten und Fortpflanzungsstörungen.
Auch Glyphosat steht im Verdacht
Unter den Disruptoren sind alte Bekannte: etwa die in Europa weitgehend verbotenen Stoffe Nonylphenol und Bisphenol A, die in Waschmitteln oder als Weichmacher eingesetzt oder in importierten Textilien gefunden werden. Auch der Unkrautvernichter Glyphosat steht im Verdacht, als eine dieser gefährlichen Substanzen in den Hormonhaushalt einzugreifen.
Die Kriterien, nach denen die EU die Stoffe künftig identifizieren will, sind Verbraucher- und Umweltverbänden nicht gut genug. „Die Beweislast, dass ein Pestizid ein EDC ist, ist zu groß“, sagt Angeliki Lysimachou, die für das „Pestizid Aktions Netzwerk“ PAN Europe seit Jahren den Prozess verfolgt. Menschen und die Umwelt würden weiterhin gefährlichen Chemikalien ausgesetzt, weil ihre Wirkungsweise nicht bekannt sei.
So werde das Vorsorgeprinzip ausgehebelt, moniert Alexandra Caterbow von der Umweltorganisation HEJSupport. „Es ist nahezu unmöglich, anhand dieser Kriterien endokrine Disruptoren zu identifizieren“, sagt Caterbow, „außerdem ist das Verfahren langwierig.“
Doch auch die Industrie ist keineswegs begeistert. „Die Kriterien für endokrine Disruptoren werden dazu führen, dass Landwirten deutlich weniger Pflanzenschutzwirkstoffe zur Verfügung stehen werden“, sagt Martin May, Geschäftsführer des Industrieverbandes Agrar. Die meisten Verluste werde es bei den Fungiziden, also Giften gegen Pilze, geben. Im jüngsten Kommissionsvorschlag seien sinnvolle Ausnahmen für Insekten-Wachstumsregulatoren wieder gestrichen worden, kritisiert May.
Welche Studien sind nötig, wer zahlt?
Das sieht der grüne Europa-Parlamentarier Martin Häusling anders: „Am Anfang gab es den glasklaren Willen, diese gefährlichen Chemikalien wirklich einzudämmen“ sagt Häusling, „jetzt werden die Kriterien der Verordnung wohl nur fünf der vielen, vielen vorliegenden Stoffe betreffen.“ Das Parlament hatte im Herbst noch einmal Zähne gezeigt und das Gesetz der Kommission abgelehnt. „Jetzt ist unser Spielraum ausgeschöpft, Nachbesserungen von der EU-Kommission einzufordern“, sagt Häusling.
Nun kommt es auf die Regierungen der Mitgliedstaaten an. Denn ist das Gesetz verabschiedet, handeln sie mit der Kommission aus, wie das Gesetz konkret umgesetzt wird. „Darauf muss jetzt auch unser Fokus liegen“, sagt Lysimachou von der Umweltorganisation PAN Europe. Welche Studien sind nötig, um die Gefährlichkeit eines endokrinen Disruptors nachzuweisen? Wer muss sie bezahlen? Darum geht es.
Das Parlament darf hier nicht mehr mitreden. Genug Stoff also für die nächste Staffel im Krimi über die Regulierung der endokrinen Disruptoren.
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