EU-Freihandelsabkommen mit Kanada: Unnötig hastig
Der Bundestag ratifiziert in erster Lesung das Handelsabkommen Ceta. Der Vertrag bleibt aber umstritten, auch weil er Konzernen Privilegien einräumt.
W arum die Eile? Sechs Jahre ist wenig vorangegangen beim bislang nur vorläufig gültigen Freihandelsabkommen der EU mit Kanada. Nun wurde die Ratifizierung in erster Lesung durch den Bundestag gejagt, Die Verbände hatten gerade einen Tag Zeit, sich dazu zu äußern. Der Eindruck bleibt, dass der Ceta-Galopp allein einem Zweck dient: Der Bundeskanzler soll bei seinem für August geplanten Kanada-Besuch nicht mit leeren Händen dastehen.
Olaf Scholz – war das nicht der einzige Spitzenpolitiker weltweit, der nicht für hübsche Fototermine um den Globus jettet? Dabei ist das Urteil vieler NGOs und ExpertInnen einhellig: Das Unverständnis über die novellierten Ceta-Regeln ist harsch. Für viele in der Nähe von Grünen, SPD und Linken ist der Handelsdeal nach Rüstungsmilliarden, Gas- und Kohlerenaissance, Spritpreisrabatt und Taxonomie eine erneute Zumutung. Ist das nötig?
Nein. Das Wutpotenzial und der Verdacht, für ein paar Euro mehr in der Handelsbilanz die Werte der Demokratie zu verkaufen, sind groß. Nicht umsonst sind 2015/16 Hunderttausende gegen Ceta und TTIP, das längst beerdigte Schwesterabkommen mit den USA, auf die Straße gegangen. Für das Anti-Ceta-Lager ist vor allem der noch im Abkommen vorhandene Investitionsschutz ein Unding. Mit ihm können Konzerne Staaten verklagen, wenn ihnen infolge von Gesetzen zum Beispiel für den Klimaschutz Profite verloren gehen.
Dass die Ampel Ceta nun um „Interpretationserklärungen“ ergänzen will, die den Investitionsschutz entschärfen, reicht vielen KritikerInnen nicht aus. Sie fragen sich völlig zu Recht, was die Paralleljustiz für Firmen und Investoren soll, obwohl in Kanada und der EU doch eindeutig rechtsstaatliche Prinzipien herrschen. Da droht noch viel Krach. Dabei ist die Neuaufstellung der Handelspolitik des einstigen Exportweltmeisters Deutschland und der EU zwingend nötig.
Spätestens seit der Coronapandemie wissen wir, dass die weltweiten Lieferketten im Zweifel zu leeren Regalen führt. Der Ukrainekrieg zeigt jetzt, dass Handel mit Despoten zu Inflation und Krise führt. Immerhin ist die Koalition auf dem richtigen Weg, wenn sie künftige Abkommen mit Neuseeland oder dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur mit sozialen und ökologischen Leitplanken versieht.
Auch Brüssel, wo Europas Handelspolitik eigentlich gemacht wird, hat verstanden – und zieht beim Mercosur-Pakt ganz ähnlich wie bei Ceta jetzt Zusatzerklärungen ein, die den Klimaschutz sichern und Abholzung am Amazonas stoppen sollen. Die Globalisierung krempelt sich gerade um – nicht zum Vorteil der Europäer. Das heißt: Diversifizierung der Handelswege – und ihre Ausrichtung auf demokratische Spielregeln.
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