EU-Flüchtlingsabkommen mit Libanon: Die Verzweiflung dürfte bleiben
Der Flüchtlingsdeal mit Libanon wirft viele Fragen auf. Die EU setzt auf ein dysfunktionales und autokratisch regiertes Land.
D er EU-Flüchtlingsdeal mit dem Libanon, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Beirut verkündet hat, wirft Fragen auf. Wie kann man die versprochene 1 Milliarde Euro ausgeben, in einem völlig dysfunktionalen Staat, der sich seit Jahren im freien ökonomischen Fall befindet? Und wie kann man das Minenfeld umschiffen, nämlich dass die militant-schiitische Hisbollah seit Jahren in Beirut an der Regierung sitzt?
Alle drei EU-Flüchtlingsabkommen, die die EU am südlichen und östlichen Mittelmeer geschlossen hat – vergangenes Jahr mit Tunesien, vor sechs Wochen mit Ägypten und jetzt mit dem Libanon –, müssen sich auch eine andere Kritik gefallen lassen: Egal ob den arabischen Autokraten in Ägypten oder Tunesien oder den libanesischen Polit-Clans – sollte die EU überhaupt an Orten Geld ausgeben, in denen die Menschenrechtslage mehr als zweifelhaft ist? Die EU-Vertreter haben hier stets das gleiche Bekenntnis auf den Lippen: Man befinde sich in dieser Frage mit den jeweiligen Seiten im Dialog. Der Rest ist Realpolitik.
Doch die Zweifel zur Seite geschoben: Lassen sich die Erfolge oder Misserfolge der EU-Migrationsdeals überhaupt messen? Nehmen wir den Fall des 7,4 Milliarden Euro schweren Migrationsabkommens mit Ägypten, dessen größter Teil Wirtschaftshilfen umfasst und wo „nur“ 200 Millionen Euro für direkte Maßnahmen bestimmt sind, die Migration zu stoppen. Was würde passieren, wenn ein Ägypten mit über 100 Millionen Einwohnern, mit einem Friedensvertrag mit Israel und mit dem Suezkanal als einer der wichtigsten Handelstrassen der Welt, wirtschaftlich kollabieren würde?
Höchste Flüchtlingsrate der Welt
Die Folgen wären unabsehbar für die EU. Der Fall des Libanons ist ungleich kleiner und doch dramatisch. Mit 5 Millionen Einwohnern und 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen hat das Land die größte Pro-Kopf-Flüchtlingsrate der Welt. Will man die Sonntagsreden von der „Hilfe vor Ort“ zur Verhinderung von Flucht und Migration ernst nehmen, kommt die EU nicht am Libanon vorbei.
Es bleibt kompliziert, und es gibt keine einfachen Antworten auf die offenen Fragen und Klagen. Bleibt zu hoffen, dass auch im Libanon nicht der größte Teil der versprochenen 1 Milliarde Euro bei der libanesischen Küstenwache landet. Denn das wäre zu kurz gegriffen und würde das Hauptproblem ignorieren: den Grad der Verzweiflung. Als ich vor zwei Jahren selbst am Kai von Tripoli stand, dort, wo die Fischerboote mit den Flüchtlingen nach Zypern ablegen, fasst einer von ihnen seine Optionen mit einem Satz zusammen. „Vor mir“, sagte er, „liegt das Meer und hinter mir die Armut.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland