EU-Außengrenze zu Belarus: Geflüchtete als „hybride Bedrohung“
Die EU-Außenminister verschärfen ihre Sanktionen gegen Lukaschenko. Diese zeigen erste Wirkung: So wurden bereits einige Flüge nach Minsk gestrichen.
Unter dem neuen „Sanktionsregime“ sollen dann in einem zweiten Schritt Einzelpersonen und Unternehmen bestraft werden, die dem Lukaschenko-Regime helfen, Menschen nach Polen oder in das Baltikum zu schleusen. Im Visier hat die EU derzeit vor allem die belarussische Airline Belavia und Reisebüros, die Migranten aus dem Irak, Syrien und vielen anderen Ländern nach Belarus verfrachtet haben.
Der neue Rechtsrahmen geht auf einen Vorstoß von Außenminister Heiko Maas zurück. Der SPD-Politiker kündigte an, dass der Kurs gegen Belarus noch weiter verschärft werden solle. „Wir sind noch lange nicht am Ende der Sanktionsspirale angelangt.“ Maas forderte Fluggesellschaften dazu auf, Flüge nach Minsk einzuschränken, um Sanktionen zu vermeiden.
Die Aufforderung hat bereits erste Wirkung gezeigt. So hat Turkish Airlines die Ausreise nach Belarus für Menschen aus Syrien, Irak und Jemen verboten. Die türkische Fluggesellschaft und der Flughafen Istanbul waren oft für Flüge nach Minsk genutzt worden, nachdem Lukaschenko die Grenze zur EU für offen erklärt hatte. Auch die private syrische Fluggesellschaft Cham Wings will ihre Flüge einstellen.
Die Drohung mit Sanktionen scheint auch Lukaschenko zu beeindrucken. Noch am Wochenende hatte er damit gedroht, die Gaslieferungen nach Europa zu kappen, wenn die EU neue Sanktionen beschließen sollte. Am Montag war davon keine Rede mehr. Stattdessen erklärte der belarussische Präsident, er wolle sich um die Rückführung der Flüchtlinge bemühen, die an der Grenze zu Polen ausharren.
Präsident Lukaschenko
Allerdings betonte er sogleich, dass die meisten Migranten nicht zu einer Rückkehr in ihre Heimat bereit seien. „Diese Leute sind sehr stur, muss ich sagen. Keiner will zurückkehren. Und das ist auch verständlich: Sie haben nichts, wohin sie zurück können.“ Die staatliche Airline Belavia kündigte an, dass sie künftig keine Passagiere mehr befördern wolle, die über Dubai nach Minsk kommen.
In Brüssel wurde dies als Zeichen gewertet, dass die Sanktionen wirken. Allerdings war beim Außenminister-Treffen noch keine Rede von Entspannung. So hat Polen seine Gangart verschärft und rund 20.000 Soldaten an der Grenze zu Belarus stationiert, um die unerwünschten Flüchtlinge „abzuwehren“. Die Regierung in Warschau erwägt auch, eine Sondersitzung der Nato einzuberufen.
Maas stärkte der nationalistischen PiS-Regierung in Warschau demonstrativ den Rücken. Belarussische Soldaten versuchten, „den Flüchtlingen und Migranten den Weg frei zu schlagen sozusagen“, sagte er. Auf polnischer Seite gebe es aber genug Besonnenheit, „sich nicht in eine gewaltsame Auseinandersetzung hineinziehen zu lassen“.
Polen verdiene „unsere ganze Solidarität“. Schmerzlich vermissen lässt die EU dagegen die Solidarität mit den Migranten, die seit Tagen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt an der Grenze ausharren. Die EU-Außenminister sprechen von einer „hybriden Bedrohung“, die von diesen Menschen ausgehe, nachdem sie sich von Lukaschenko „in die Falle“ hätten locken lassen. Dies kommt auch in einer neuen EU-Strategie zum Ausdruck.
Im sogenannten „Strategischen Kompass“, der die Grundlage für die künftige EU-Außenpolitik sein soll, ist mehrfach von „hybriden Bedrohungen“ die Rede. Neben Flüchtlingen sind damit laut dem Dokument auch „Desinformation und Cyberattacken“ gemeint. Dagegen wolle man sich besser wappnen, hieß es beim Treffen der Außenminister in Brüssel. Mit Beschlüssen wird aber erst im März gerechnet. Sechs Jahre nach der großen Flüchtlingsbewegung 2015 macht Europa die Schotten dicht – mit Soldaten und Sanktionen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott