EMtaz: Russland ist ausgeschieden: Jugend statt Nation
Das wohl schlechteste Team verabschiedet sich von der EM. Russische Medien sprechen von „Schande“ und Landesverrat. Nur einer hat Recht.

Da hilft kein Traditionalismus – im Gegenteil Foto: ap
Die EM in Frankreich ist ein seltsames Turnier. Es gibt Teams wie Spanien und Deutschland, die ihr modernes Ballbesitz- und Passpiel zelebrieren und dabei nicht immer gut aussehen. Es gibt Teams wie Belgien und England, deren Fußball höchsten ästhetischen Ansprüchen genügt, die aber vor dem Tor manchmal Probleme haben.
Es gibt Teams wie Island und Nordirland, die „authentisch“ spielen, das meint nichts anderes als spielerisch in den Mitteln beschränkt, aber aufopferungsvoll in der Defensive, und die Sympathie fliegt ihnen zu, weil viele von der Spielästhetik Spaniens, Deutschlands, Belgiens und Englands genervt sind.
Es gibt Teams wie Wales und Ungarn, die als Kollektiv funktionieren und ihre Spiele mit Kampf bestreiten, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Es gibt Teams wie Frankreich oder Italien, die unberechenbar und schwer einzuordnen sind, die mal so und mal anders spielen.
Und dann gibt es Russland.
Kein Spielsystem. Kein Ballbesitz. Miserables Passpiel. Keine Authentizität, weil kaum Verteidigung. Kein Kollektiv. Kein Kampf. Und immer berechenbar. Russland scheidet zu Recht mit nur einem Punkt als Tabellenletzter der Gruppe B aus.
Das Spiel gegen Wales hat in aller Deutlichkeit gezeigt, dass es, nicht wie zuvor oft behauptet, einzelne Mängel sind – ein überalterter Kader, zu langsame Innen- und Außenverteidiger, Probleme im Spielaufbau –, die zur Niederlage führten. Die Mannschaft ist schlicht in allen Belangen nicht wettbewerbsfähig.
„In Schande geendet“
Das wissen auch die russischen Medien. „Die Europameisterschaft in Frankreich ist für die russische Sbornaja in Schande geendet“, kommentiert Kommersant. Sport-Express schreibt: „Im entscheidenden Spiel hat unsere Mannschaft weder Willen noch Kampf gezeigt und konnte sich nicht einmal entscheiden, wer nach der Auswechselung von Roman Schirokow ihr Kapitän sein sollte.“
Iswestija meint: „Die Mannschaft von (Trainer Leonid) Sluzki hat eine Parodie auf den Fußball zum Besten gegeben. Unsere Millionäre haben sich nicht ein Zehntel ihrer Verträge erarbeitet. Schauen Sie sich (den Waliser Gareth) Bale an. Er ist der teuerste Spieler der Welt, und wie er kämpft für sein Land, für seine Flagge!“
Da steht der Vorwurf des Landesverrats im Raum, gekoppelt mit völkischem Antikapitalismus. Was für ein aufgepumpter, widerlicher Nationalismus.
„Unsere Millionäre haben sich nicht ein Zehntel ihrer Verträge erarbeitet.“
Wie sympathisch dagegen wirkt Russlands Trainer Leonid Sluzki, der sagt: „Es ist hart, darüber zu sprechen, aber wir waren schlecht in jedem Bereich.“ Er übernimmt die Verantwortung und bietet seinen Rücktritt an. Zahlreiche Spieler über 30 werden folgen.
Russland hat schlecht gespielt. Der russische Fußball ist nicht auf der Höhe der Zeit. Russland ist aus einem Sportwettbewerb ausgeschieden wie andere Mannschaften bei anderen Europa- und Weltmeisterschaften zuvor.
Nun bleiben zwei Jahre, um zu zeigen, dass Russland, dem sein ehemaliger Trainer Fabio Capello eine hervorragende Jugendarbeit nachsagt, bei der WM im eigenen Land wieder wettbewerbsfähig ist. Viel Arbeit kommt auf den Verband zu. Eine Analyse der eigenen (Nicht-)Spielweise und Unzulänglichkeiten ist nötig. Eine neue Generation will behutsam ans Team rangeführt und integriert werden. Das alles und noch mehr kann weiterhelfen – im Gegensatz zum Nationalismus, der noch nie geholfen hat – weder auf dem Platz noch sonstwo.
Leser*innenkommentare
MontNimba
Schade, dass mein Kommentar nicht veröffentlicht wurde. Beleidigungen enthielt er nicht.
Wie abwegig die Einlassungen des Autors sind, der in alltäglichen Äußerungen bezüglich nationaler Auswahlteams "aufgepumpte(n), widerliche(n) Nationalismus" zu erkennen glaubt (den es woanders nicht gebe, so unterstellt er damit), zeigt dieses Zitat von heute Morgen:
"9.46 Uhr: Bei seiner Rücktritts-Ankündigung beteuerte David Cameron, er liebe sein Land: "Es ist mir eine Ehre, dass ich ihm gedient habe", sagte er vor seinem Amtssitz." http://www.merkur.de
Ist das jetzt immer, nie oder nur dann widerlicher Nationalismus, wenn es ein Russe sagt?
Bernd Lind
Was für eine aufgepumpte widerliche Russophobie, Maik! Im Gegensatz dazu lesen sich die Zitate der Russen (ihr Beweis für widerlichen Nationalismus) als launige Kritik am Fussballkader. Weshalb muss immer wieder dieser widerliche Anti-Russen-Reflex bemüht werden? Hat etwas mit tiefsitzendem Rassismus zu tun, vermute ich...
mowgli
Der letzte Satz klingt fast, als könnte sich Maik Söhler einen Ort vorstellen, an dem "Nationalismus hilft". Auf Fußballplätzen kenne ich mich nicht aus, muss also glauben, was Maik Söhler schreibt. Dass Nationalismus allerdings woanders "hilft", halte ich für ausgesprochen unwahrscheinlich.