EMtaz: Russische Hools: Im permanenten Kampfmodus
Sich gegenüber der ganzen Welt behaupten, lautet Russlands Devise – auch im Sport. Dazu ist jedes Mittel recht, ob Doping oder Propaganda.
„Eigentlich war es genau umgekehrt“, korrigiert Stognijenko, und sofort fällt ihm ein Studiogast ins Wort, Maria Pogrebnjak, Frau eines Ex-Nationalspielers: „Sind Sie überhaupt für Russland? So wie Sie drauf sind, sind Sie gegen uns. So darf man unsere Mannschaft nicht unterstützen.“ Dazu gibt’s heftigen Applaus.
So wie diese Frau empfinden viele Russen. Das Land wähnt sich seit Jahren im Krieg, in dem alle eins und alle Mittel recht sind, der immer und überall geführt wird. Man greift an und fühlt sich trotzdem als Opfer.
Es ist nur natürlich, dass der Sport zu einem wichtigen Teil dieses Krieges wurde. Jeder Sieg wird wie eine gewonnene Schlacht gefeiert, jede Niederlage als Schmach und Hochverrat erlebt. Als die russische Mannschaft bei der Eishockey-WM 2015 der kanadischen unterlag, verließen die Spieler demonstrativ das Spielfeld, bevor die kanadische Hymne ertönte. Kein Fan begrüßte die Vizeweltmeister in Moskau am Flughafen.
Sport als Staatssache
Da Sport gleich Krieg ist, ist er auch Staatssache. Obwohl Russland beim Fußball weniger erfolgreich ist als beim Eishockey, fällt Fußball eine besondere Rolle zu, die seiner internationalen Bedeutung entspricht.
Doch anders als fast überall sonst auf der Welt ist Fußball in Russland kein ertragreiches Geschäft. Die Clubs werden vom Staat oder von staatsnahen Oligarchen finanziert, die Fangemeinden ebenfalls vom Staat gefördert und umworben.
So kamen viele Fans nicht auf eigene Kosten zur EM in Frankreich, sondern mit eigens dafür gecharterten Flugzeugen. Das verstärkte den Eindruck, den man bei den Hooligan-Krawallen in Marseille hatte: sie seien kein Zufall und keine gewöhnliche Fan-Randale gewesen, sondern eine womöglich vom russischen Staat organisierte Aktion. Immerhin war deutlich erkennbar, dass den Kern der Gruppe gut trainierte und koordinierte Straßenkämpfer bildeten, die planmäßig vorgingen.
Das darf nicht verwundern. Fußballfans sind in Russland ein Teil der quasistaatlichen paramilitärischen Gewaltstrukturen neben Kosakenhundertschaften, Motorradbanden, Vereinen patriotisch-militärischer Erziehung und Putin treu ergebenen Jugendbewegungen.
Überfälle auf linke Gruppen
Um die Eingliederung der Fans in dieses Netzwerk bemühen sich seit Anfang der nuller Jahre die Abteilung für Innenpolitik der Präsidialverwaltung und die Föderale Agentur für Jugendarbeit, deren berühmtester Chef Wassili Jakemenko einst selbst mutmaßlich Mitglied einer kriminellen sportnahen Gruppierung war.
Die Fans überfielen schon oft linksgerichtete oppositionelle Gruppen, tauchten bei Protestdemonstrationen auf und verprügelten deren Teilnehmer. Sie traten dabei ähnlich organisiert auf wie neulich in Frankreich.
Aber sie liefern sich natürlich auch politikfreie Schlachten mit rivalisierenden Banden (denn eigentlich geht es ihnen darum) und stehen nur bedingt unter Kontrolle. Als 2010 ein Fußballfan in einer Auseinandersetzung mit kaukasischen Kleinkriminellen starb, kam es in Moskau zu Ausschreitungen.
Sie beunruhigten die Macht so stark, dass sich sogar Wladimir Putin selbst den Fans anbiederte. Bei der Beerdigung stand er neben dem rechtsradikalen Anführer der Fans Alexandr Spryrin, der jetzt aus Frankreich neben anderen russischen Gewalttätern ausgewiesen wurde.
Nicht von langer Hand geplant
Die Rückendeckung, die die Randalierer vom russischen Außenministerium und vom Parlament erhalten, sollte man eher in diesem Zusammenhang betrachten und nicht als einen Beweis für eine von langer Hand geplante Aktion. Die ganze russische Gesellschaft lebt im permanenten Kampfmodus, die offiziellen und inoffiziellen Gewaltstrukturen erst recht.
Wahrscheinlicher ist, dass die Fans zurück gepfiffen wurden, nachdem die russische Mannschaft von der EM auf Bewährung suspendiert worden war. Die moralische und diplomatische Unterstützung der Fans ist mehr als zum Ausdruck gebrachte Sympathie. Sie ist auch der Preis, den der Staat für ihre Ruhigstellung zahlt.
Das alles gilt es bei der WM-2018 zu beachten. Beim Fußball geht es Russland weder um Sport noch ums Geschäft. Es geht darum, sich gegen die Welt zu behaupten, sei es auch mit Doping, Mobbing und Bullshitting, mit faulen Tricks und Propaganda. Die Sicherheit der Gäste hat keine Priorität. Russland will sie nicht garantieren und kann es auch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!