Duma-Wahl in Russland: Die Angst des Kreml vor dem Wähler

Parlamentswahl in Russland: 225 Direktkandidaten könnten Farbe in die Duma bringen. Ansonsten sind Überraschungen ausgeschlossen.

Menschen vor einem Wahlplakat

Sind das etwa lebendige Menschen? Vor ihnen hat der Kreml Angst. Wahlkampf in Moskau Foto: dpa

MOSKAU taz | Die jungen Kommunisten legen letzte Hand an. Am Klettergerüst fixieren sie ein rotes Banner der Partei, daneben ein Porträt des Kandidaten. Die Wahlveranstaltung mit ihrem Mann, Denis Parfenow, findet auf dem Kinderspielplatz eines Wohngebietes in Moskaus Stadtteil Bibirewo statt. An die zwanzig Zuhörer sind gekommen. Durchschnittsalter über 60 Jahre. Doppelt so alt wie der Kandidat.

Denis ist als Sozialarbeiter, nicht als Querdenker gefragt. Die älteren Menschen wollen wissen, wie sie Zuschüsse zur Rente beantragen, Gesundheitshilfen erhalten oder wohin sie sich mit Mietklagen wenden können. Anträge können die Hilfesuchenden unter Anleitung noch an Ort und Stelle ausfüllen. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) schlüpft für die Kremlpartei Einiges Russland (ER) in die Rolle eines sozialen Reparaturbetriebs.

Die KPRF ist Russlands größte Oppositionspartei. Bei den Dumawahlen 2011 erhielt sie 19 Prozent. In schwieriger Wirtschaftslage könnte sie sicher noch zulegen. Als „systemkonforme“ Oppositionspartei, die der Kreml in der Duma duldet, verzichtet sie jedoch auf harsche Töne. Auch die anderen gleichgeschalteten Systemparteien, die chauvinistischen Liberaldemokraten (LDPR) und das Gerechte Russland (GR) haben Kreide gefressen.

Nichts erinnert daher an eine politische Auseinandersetzung. Die Parteien empfehlen eher „Rezepte zum Gurkeneinlegen“, spöttelt ein Beobachter. Das ist auch im Sinne des ER. Nach Wahlbetrug und Massenprotesten 2011/12 ist der Kreml noch empfindlicher geworden. Je weniger Bürger an der Wahl teilnehmen, desto sicherer fühlt sich Moskaus Führung.

Wahlbeobachtungs-NGO als „ausländischer Agent“

Bereits die Vorverlegung des Wahlgangs von Dezember auf September diente dem Zweck, Bürger von den Urnen fernzuhalten. Viele kommen gerade erst aus dem Urlaub zurück und sind mit anderen Dingen beschäftigt. Andere verbringen auch im Spätsommer das Wochenende noch auf der Datscha. Durch die Verlegung fiel die heiße Wahlkampfphase in die Urlaubszeit.

Die NGO Golos befasst sich mit Wahlbeobachtung. Als kremlkritische NGO erhielt auch sie den Stempel „ausländischer Agent“. In einer Studie belegt Golos, dass die Medien schon am Anfang des Wahlkampfes der Kremlpartei dreimal mehr Platz einräumten als der KPRF, viermal mehr als der LDPR oder dem Gerechten Russland. Weit abgeschlagen landete die Oppositionspartei Parnas, die mit einem Fünfzigstel der Medienaufmerksamkeit der Kremlpartei vorlieb nehmen musste.

Nikolai Rybakow

„Die US-Wahlen werden im Fernsehen ausführlicher behandelt als unsere“

Parnas und die linksliberale Partei Jabloko werden den Sprung in die Duma als Partei kaum schaffen. Auch nicht nachdem die Hürde von sieben auf fünf Prozent herabgesetzt wurde, wie es die Demonstranten 2011 gefordert hatten. Sie können jedoch über Direktmandate in die Duma gelangen. Auch deren Wiedereinführung gestand der Kreml zähneknirschend zu. Von den 450 Sitzen sind 225 Direktkandidaten vorbehalten. Dies könnte etwas Farbe in die neue Duma bringen. Der Kreml wird dennoch als Sieger hervorgehen.

„Manipulation ja – Falsifikation nein“

48 Prozent der Wähler gaben in einer Umfrage an, sie seien entschlossen, zur Wahl zu gehen. Die Hälfte wollte der ER die Stimme geben. Da auch die anderen systemkonformen Parteien die ER unterstützen, muss diese auch bei einem Wahlergebnis unter 50 Prozent noch nicht zittern. In derselben Umfrage sank die gesamtgesellschaftliche Zustimmung zur Partei des Kreml jedoch von 39 auf 31 Prozent.

Der Kreml hat vor dem Wähler Angst. Daher wurde vorher die Maxime ausgegeben „Manipulation ja – Falsifikation nein“, meint Nikolai Petrow von der Hochschule für Ökonomie. Manipuliert wurde kräftig, schon bei der Zulassung der Kandidaten, der Medienpräsenz und dem Versammlungsrecht. Nachträgliches „Korrigieren“ der Stimmzettel gilt jedoch als Tabu. Mit der Berufung der früheren Menschenrechtsbeauftragten Ella Pamfilowa zur Leiterin der Zentralen Wahlkommission wollte der Kreml überdies auch noch einmal Läuterung unter Beweis stellen.

Der russische Wähler ist nicht nur müde, auch das ohnehin mäßige Interesse an Politik scheint er noch zu verlieren. Viele Russen verfolgen fasziniert den US Wahlkampf, meist mit größerer Leidenschaft als den eigenen: „Die US-Wahlen werden in unserem staatlichen Fernsehen ausführlicher behandelt als unsere Wahlen “, meint der Oppositionelle Nikolai Rybakow von Jabloko.

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