Drohungen vor Schleswig-Holstein-Wahl: Angstmacher mit Briefmarke
Politiker der Linken bekommen dutzendfach Drohungen per Postkarte – und eine tote Ratte. Von der Polizei fühlen sie sich nicht überall gesehen.
Artikel über Attentate und Amokläufe kleben dort zum Beispiel, neben Sprüchen wie „Jetzt gesund bleiben“ oder „Vielen Dank“. Und immer wieder taucht in Spethmanns Fall das Datum auf, der 30. 04. „Das ist dein Tag“, steht dort. Und: „Kennedy's Witwe.“
Spethmann ist Krankenpflegerin und Spitzenkandidatin der Linken in Schleswig-Holstein. Seit die Landtagswahl näher rückt, werden die Postkarten mehr. Jede Woche bekommt sie eine – nicht nur ins Büro des Kreisverbands, sondern auch an ihre Privatanschrift. „Nicht so schön“ sei es, dass offenbar jemand die Adresse kenne. Sie lacht ein wenig, während sie erzählt. Nein, einschüchtern lassen will sie sich nicht. „Man bringt natürlich trotzdem seinen Törn durch“, sagt sie. „Aber als es auf den 30. 04. zuging, war mir schon mulmig zumute.“
Sie ist nicht die einzige Adressatin, beileibe nicht: Fast alle linken Direktkandidat*innen für die Wahl in Schleswig-Holstein hätten schon solche selbstgebastelten Postkarten bekommen, heißt es in einer Pressemitteilung der Linken-Geschäftsstelle.
Wirre Karten und eine tote Ratte
Wie ernst soll man die Karten nehmen? Landesgeschäftsführer Daniel Hofmann zögert. Wirr wirken sie allemal. „Aber auf jeden Fall hat sich auch jemand Mühe gegeben beim Basteln“, meint er. Man könne eine Art Muster erkennen – auf vielen Karten sei neben dem Empfänger noch ein zweiter Name angegeben, oft der oder die nächste Adressat*in. Am Donnerstag ist wieder mal eine Karte in der Geschäftsstelle angekommen: Darauf ein Artikel über das Attentat auf Lafontaine, beklebt mit dem Spruch „Laß Blumen sprechen“ (sic).
Thomas Palm, Kreisvorsitzender der Linken Dithmarschen, hat weniger blumige Post bekommen: Mitte Februar wurde eine totgetrampelte Ratte in den Postkasten der Geschäftsstelle Dithmarschen gesteckt – dazu ein Papierstreifen mit den Worten „euer Vorsitzender“. „Dieser Vorsitzende bin ich – und mich hat diese Drohung entsetzt“, so Palm.
Die Polizei hat auf die Drohungen gegen die Landtagskandidat*innen der Linken unterschiedlich reagiert. „Die Kripo hat uns zurückgemeldet, dass wir die Drohungen ernst nehmen sollen“, sagt Hofmann. „Als kleinen Gag in den Müll werfen sollen wir sie jedenfalls nicht.“ Die Kripo in Kiel sammelt jetzt Karten – die Chance, dass die Urheber*innen ermittelt werden, sei aber gering.
Nicht in allen Polizeistellen im Land wurden die Fälle so ernst genommen. In Ostholstein, wo Spethmann als Direktkandidatin antritt, weiß das für politische Vorfälle zuständige Kommissariat K5 nichts von Drohungen gegen linke Politiker*innen. Eigentlich hätte die aufnehmende Polizeiwache den Fall hierhin weitergeben müssen. „Aber vielleicht haben sie dort den politischen Hintergrund gar nicht gesehen“, vermutet ein Sprecher der Polizei Lübeck.
Von der Polizei enttäuscht
„Es hat mich enttäuscht, dass es bei der Polizei so wenig Aufmerksamkeit gegeben hat“, sagt Spethmann. „Die haben sich die Postkarten zeigen lassen, aber dann kam nichts mehr“. Statt einer Anzeige gegen Unbekannt folgte nur ein Vermerk; Es habe, so Spethmann, keine Nachfrage gegeben, wie es ihr gehe, keine Nachfrage, ob weiter Karten bei ihr ankämen. „Ich glaube, es ist ein bisschen typisch, dass in Deutschland gewartet wird, bis was passiert“, sagt sie.
Auch Palm zeigt sich enttäuscht von den Ermittlungen in Heide nach dem Fund der toten Ratte. Die zuständige Staatsanwaltschaft Dithmarschen hat das Verfahren bereits eingestellt, „da der Tatverantwortliche im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen nicht ermittelt werden konnte“, schreibt Dithmarschens Oberstaatsanwalt Peter Müller-Rakow. „Aus meiner Sicht macht die Staatsanwaltschaft sich das arg leicht mit den Ermittlungen“, meint Kreisvorsitzender Palm.
Postkarte an Linke im ganzen Land
Spethmann hat auf eigene Faust ein wenig ermittelt: Abgestempelt werden alle Karten in Berlin oder in Frankfurt (Oder). Manchmal tauchen auf den Postkarten noch weitere Adressen auf – nicht nur von den Parteikolleg*innen aus einem anderen Wahlkreis, die dann wenige Tage später ähnliche Post bekommen. Sondern auch Adressen von weiter her, von Menschen, deren Namen Spethmann noch nie gehört hat.
Von einem dieser Namen hat die Krankenpflegerin eine Telefonnummer herausbekommen. Sie gehört einer Frau aus Bayern – beim Anruf zeigte sich, so Spethmann: Die Frau hatte vor Jahren ebenfalls für die Linke kandidiert und ähnliche Post bekommen; irgendwann nach der Wahl hörte das auf. Jetzt taucht ihr Name 700 Kilometer weiter nördlich auf seltsamen Karten auf. „Ich finde es gruselig, dass das Ausmaß so extrem ist: selbstgebastelte Postkarten von Bayern bis nach Schleswig-Holstein“, sagt Spethmann. „Hier bleibt sich jemand offenbar sehr treu.“
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