Lafontaine haarscharf am Tod vorbei

■ Kanzlerkandidat der West-SPD nach Attentat außer Lebensgefahr / 42jährige, geistig verwirrte Frau ist die Täterin / Vogel: Lafontaine bleibt Kanzlerkandidat

Köln (taz/ap/dpa) - Der SPD-Politiker Oskar Lafontaine ist um Haaresbreite mit dem Leben davongekommen. Nach dem Attentat einer 42jährigen Frau hat er sich aber überraschend schnell erholt. Er soll Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten für die Bundestagswahl am 2. Dezember bleiben, erklärte der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel nach einem Gespräch mit dem Verletzten.

Lafontaine konnte Stunden nach der schweren Stichverletzung am Hals und dem darauf folgenden großen Blutverlust schon wieder aufstehen. Die Täterin Adelheid Streidel nannte bei ersten Vernehmungen durch die Polizei weder Motiv noch Erklärung für den Anschlag.

Das Messer der Angreiferin verfehlte die Halsschlagader des Politikers, der mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau in Köln-Mülheim eine SPD -Veranstaltung für die Landtagswahl am 13. Mai bestritt, bei dem Anschlag um 20.45 Uhr nur um „wenige Millimeter“. Wäre die zum Gehirn führende Ader durchtrennt worden, hätte Lafontaine keine Chance gehabt. Dann gäbe es „heute Anlaß zu Trauer“, sagte Vogel.

Das Opfer des Anschlags habe mehr als drei Liter Blut verloren, was das gravierendste Problem gewesen sei. Die nächtliche Operation sei ein schwerer Eingriff gewesen. Trotzdem sei Lafontaine bei ihrem Gespräch gegen 10.30 Uhr wieder „voll präsent“ gewesen und habe sogar scherzhafte Bemerkungen gemacht. Nach einem ärzlichen Bulletin war Lafontaine bereits am frühen Morgen endgültig außer Lebensgefahr.

Aus der Bundesrepublik, der DDR und aus ganz Europa gab es Sympathiekundgebungen für Lafontaine. Selbst sein Gegenspieler beim nordrhein-westfälischen Wahlkampf, Arbeitsminister Norbert Blüm, zeigte plötzlich Anteilnahme mit dem Politiker. Bei seinem Wahlkampfauftritten hatte er sie allerdings vermissen lassen.

Laut Vogel hat Lafontaine kein Wort des Vorwurfs gegen die Täterin gerichtet, von der er wisse, das es sich um „eine geistig verwirrte Person“ handle. Adelheid Streidel wurde gestern eingehend vernommen. Sie hatte sich unter dem Vorwand, einen Blumenstrauß abgeben und ein Autogramm haben zu wollen, Zugang zur Bühne in der Köln-Mülheimer Stadthalle verschafft. Sie nannte weder ein Motiv noch eine Erklärung für die Bluttat, wie NRWs Justizminister Rolf Krumsiek berichtete.

Die Frau sei bereits im Januar 1986 wegen versuchter schwerer Brandstiftung aufgefallen. Auch damals habe sie keine Motive angeben können, sagte der Minister. Das Verfahren sei wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden, nachdem Psychiater eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert hätten. Die Täterin wurde unmittelbar nach dem Attentat von Sicherheitskräften überwältigt und festgenommen.

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