Drohender Koalitionsstreit in Bremen: Mehr Ruhe wagen
Eine mögliche Bahn-Werkstatt sorgt im Bremer Westen für Aufruhr – der Koalitionsvertrag hatte weniger Lärm versprochen. Die Pläne sind intransparent.
Noch ist nichts entschieden. Bis Jahresende läuft noch ein Bieterverfahren für diese neue Eisenbahnwerkstatt mit angeschlossener Waschanlage. „Wir befinden uns in Gesprächen“, sagt Sebastian Rösener, der Sprecher der zuständigen SPD-Senatorin für Wissenschaft und Häfen. „Aber es konzentriert sich ziemlich auf diesen Standort“, sagt die Leiterin des Ortsamtes West, Ulrike Pala. Dieser Standort, das ist eine brachliegende Gleisanlage in Oslebhausen, die derzeit noch Bremen gehört und an der Reitbrake liegt, auf Höhe des Ölhafens.
Erfahren hat Pala davon nach eigenen Worten – so wie der Rest des Stadtteilparlaments – durch anonyme Post, die zugleich an die örtliche Presse versandt wurde; auch der taz liegt sie vor. „Der Beirat ist selbst überrascht worden“, sagte Pala auf einer Sitzung des Beirates in der vergangenen Woche. „Es gab ein Gespräch zwischen Ortsbeirat, der LNVG, dem Bau- sowie dem Häfenressort, bei dem „ausführlich“ über das Thema gesprochen worden sei, sagt Rösener. Aber da kursierte die anonyme Insiderpost bereits in der Stadt.
Für die Linkspartei erklärte ihr Fraktionssprecher im Beirat, Bernd Brejla, gleich: „Wir lehnen die Pläne rundweg ab.“ Bei SPD und den Grünen hat man noch keine abschließende Meinung, aber viel Kritik: „Ich habe den Eindruck, dass man den Beirat hinterrücks ausschalten und vor vollendete Tatsachen stellen wollte“, sagte Ralf Vogelsang, zugleich Vorsitzender der Oslebshauser SPD. Er sei „überhaupt nicht glücklich“ mit den Plänen.
Ein Industriegebiet „untergeschoben“
Sein Misstrauen hat viel mit einem Bebauungsplan zu tun, der auch für die Fläche gilt, um die es hier nun geht. Bisher ist sie für die Verwaltung ein „unbeplanter Innenbereich“. Eine mögliche „schleichende Entwicklung“ zu einem Gewerbegebiet sollte aber ausdrücklich ausgeschlossen werden – so steht es in dem Beschluss der zuständigen Deputation.
„Die Ansiedlung störempfindlicher Nutzungen“ wurde „weitgehend ausgeschlossen“, heißt es da. Nun aber gebe es offensichtlich Bestrebungen, aus der Brache doch ein Industriegebiet zu machen, sagt Vogelsang. Dagegen hat der Beirat schon einmal heftig opponiert – mit Erfolg. „Uns sollte ein Industriegebiet untergeschoben werden“, kritisiert ein Vertreter der Grünen im Beirat.
Es gibt noch mehr Vorfälle, die Misstrauen wecken. Da sind „Probebohrungen“ zweier Bieter, von denen Pala ebenfalls überrascht wurde. Wie viel Lärm die machen? Darauf habe sie keine Antwort bekommen, sagte sie dem Beirat. Und da ist ein Wäldchen „An der Finkenau“, südlich von Wohlers Eichen, das noch im Herbst gerodet werden soll.
Das Bieterverfahren organisiert die LNVG, Eigentümerin des Grundstücks ist aber die Stadt Bremen. „Die Gleisanlagen liegen derzeit brach“, sagt Ressortsprecher Rösener, und dass eine neue Nutzung Arbeitsplätze schaffen und das Gebiet „beleben“ könnte.
Doch genau das wollen die AnwohnerInnen in Oslebshausen ja gar nicht. Und es war ihnen auch anderes versprochen worden – im rot-grün-roten Koalitionsvertrag. Dort heißt es, mit Blick auf die in Oslebshausen geplante, vor Ort aber umstrittene und von einer Bürgerinitiative bekämpfte Klärschlamm-Verbrennungsanlage: „Wir stellen sicher, dass es vor Ort keine zusätzliche geruchliche Belästigung für die Bevölkerung gibt und dass der Stadtteil durch Maßnahmen in den Bereichen Müll, Verkehr und Lärm entlastet wird.“ Schließlich verursachen die Stahlwerke, das Hafenkraftwerk und der Verkehr aus Hafen, Hafenrandstraße, Autobahn und Gütertransport schon heute immense Belastungen.
Bernd Brejla, Die Linke
Nun aber droht zusätzlicher Bahnlärm, entlang der Strecke zwischen dem Hauptbahnhof und der möglichen Bahn-Werkstatt in Oslebshausen. An der Stecke liegt unter anderem die Reihersiedlung, eine Schlichtbau-Siedlung, für die es keine Lärmschutzwände gibt, die Großwohnanlage Wohlers Eichen oder eine Grundschule.
„Die setzen sich kackfrech über den Koalitionsvertrag hinweg“, sagt Brejla von der Linkspartei. Auch Senihad Sator, der für die SPD im Beirat sitzt, fühlt sich „verarscht“. Und Dieter Steinfeld von den Grünen sagt: „Ich sehe keine Möglichkeit, das zu verhindern“.
Dieter Winge von der Bürgerinitiative aus Oslebshausen ist „empört“, er kritisiert die „riesige Belastung“, die droht und das intransparente Verfahren. „Das trägt nicht zum positiven Politikverständnis bei“, sagt er – „vorsichtig formuliert“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos