Drogenkonsum in Berlin: Mies vercracktes Berlin
Berlin erreichte 2024 einen Höchststand drogenbedingter Todesfälle. Die Inszenierung der Stadt als Drogenmetropole verschärft das Problem.
Die Verherrlichung und Ästhetisierung von chemischen Drogen hat in der Berliner Popkultur Hochkonjunktur. Wer nicht ballert, gehört nicht dazu. In der Feierszene sind Koks, Keta und andere Substanzen Teil der Szene-Codes: Das Kokstaxi wird schon beim Abendessen bestellt, auf Dating-Apps inszenieren sich Menschen mit Nasendusche, sich Pferdebetäubungsmittel (Ketamin) reinzuknallen, ist Kult. Du warst noch nie im Berghain und hast dir drei Nächte lang die Nasenscheidewand aus’m Leib geballert? Wie provinziell.
Die Kehrseite: Während die Zahl der drogenbedingten Todesfälle bundesweit abnimmt, steigt sie in Berlin an. Die Berliner Polizei verzeichnete mit 294 Opfern 2024 einen Höchststand – zehn Prozent mehr als 2023. In diesen Schritten wächst die Zahl seit Jahren.
Besonders makaber: dass selbst Unternehmen sich der Codes bedienen. Audi wirbt am RAW-Gelände in Friedrichshain für sein E-Auto mit „Typisch Berlin: Elektro und Speed“. Der Fahrdienst-Anbieter Clevershuttle wirbt mit Slogans wie: „Wie Koks-Taxi. Nur ohne Koks“. Auch in Serien wie „4 Blocks“ oder „Dogs of Berlin“ wird der exzessive Drogenkonsum als Teil des coolen Stadtimages inszeniert – Produktionen, die vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert werden.
Drogen und Techno eng verzahnt
Chemische Drogen gehören seit jeher zur Berliner Techno-Kultur. Dass sie in der Popkultur besungen und stilisiert werden, ist nicht neu. Neu ist ihre massenhafte Verbreitung, vor allem in den sozialen Medien. Auf Tiktok erreicht die Drogenszene Millionen: Unter Hashtags wie #RaveTok stolpern Berliner Raver mit riesigen Pupillen nach Tagen aus dem Berghain, Jugendliche filmen Slow-Motion-Clips von weißen Lines auf Spiegeln, bunten Pillen in der Handfläche und Rauchwolken, die mit Musik hinterlegt werden. Untertitelt wird das Ganze mit Sprüchen wie: „Große Teller = kleinere Probleme.“
Unter den Videos tauschen sich Nutzer*innen über Dealerkontakte aus und darüber, wie alt sie beim ersten Konsum waren: 15, 13, 11 Jahre alt – die meisten minderjährig. Eine von ihnen schreibt: „War seit drei Jahren nicht ein einziges Mal mehr in der Schule, bin ein Junkie geworden, kann nicht mehr ohne Drogen und weiß, dass ich nicht älter als 20 werde.“
Die Sorge ist nicht unberechtigt. Drogentote werden in der Hauptstadt immer jünger. Im vergangenen Jahr starben 40 Personen unter 26 Jahren – darunter auch fünf Minderjährige.
Ikkimel hat recht: Die Gen Z ist mies vercrackt. Aber ihre Tracks, mit denen sie Millionen von Menschen erreicht, sind nicht unbedingt hilfreich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Russland und Ukraine
Ukrainische Gebietsabtretungen im Tausch für Frieden?
Ökonom über ungerechtes Rentensystem
„Es geht um Umverteilung“
Krieg in der Ukraine
Lieber Aufstand als Deal
Badeverbote und Hitzewellen
Gefangen in der Betonwüste
E-Autos versus Verbrenner
Der gefühlte Freiheitsverlust
Proteste gegen Hunger in Gaza
Viel Krach gegen „Gila & Nancy“