Drogen und Obdachlosigkeit in Hannover: Beachfeeling in der Problemzone

Hannover versucht das Elend auf den Plätzen hinterm Hauptbahnhof in den Griff zu kriegen – aber das ist zäh. Hängen bleiben am Ende eher die Events.

Ein schläft sitzend auf einer Treppe, daneben Bierflaschen

Treffpunkt von Obdachlosen und Suchtkranken: Raschplatz am Hauptbahnhof Hannover Foto: Henning Scheffen/dpa

HANNOVER taz | Am Ende reden wieder alle nur über Beachvolleyball – und die Frage, wer da wohl die ganzen Spritzen und Glasscherben aus dem Sand fischen muss. Mit einem Sportevent soll der Raschplatz – das fürchterliche Loch hinter Hannovers Hauptbahnhof – in diesem Sommer belebt werden.

Dabei soll es auch eine Sandfläche und Liegestühle geben, vor allem aber Sportgeräte und Spielfelder für Vereine und alle, die mitmachen wollen. Die ansässigen Gastronomen sind nicht abgeneigt, in der lokalen Politik und Medienlandschaft wird aber schon mal geunkt und gespottet.

Dabei ist das doch nur ein kleiner Mosaikstein in einem viel größeren Plan, versucht Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) klar zu machen. Mit dem Plan versucht die Stadt, die verrufenen Plätze hinter dem Bahnhof wieder begehbar, bespielbar, anziehend zu machen.

Denn auf denen hat Hannover natürlich die gleichen Probleme wie andere Großstädte auch: Hier versammeln sich Obdachlose und Suchtkranke aller Art. In der Pandemie sind die Zahlen noch einmal in die Höhe geschossen.

Es soll nicht um Vertreibung gehen

Sie stehen oder liegen in kleinen Gruppen an den Nebeneingängen des Bahnhofs, in der Unterführung, die zur U-Bahn führt, an den Rändern des Raschplatzes, Andreas-Hermes-Platzes und Weiße-Kreuz-Platzes, die allesamt städtebaulich ohnehin keine Highlights sind: mehr zugige Transferflächen und gigantische Hunde­klos, trotz diverser Versuche sie aufzuhübschen.

Dass sich diese Szene in Hannover noch einmal besonders ballt, liegt auch daran, dass es eben an den großen Transport­achsen vom Norden in den Süden, vom Osten in den Westen liegt. „Die Menschen bleiben hier hängen, sie wollen hier nicht unbedingt sein“, konstatiert Oberbürgermeister Onay nüchtern. Er sagt aber auch: Es gehe ihm nicht um Vertreibung. „Wir sind eine Großstadt und auch diese Menschen sind Teil dieser Stadt.“

Vielen Hannoveranern scheint das Ausmaß des gerade noch erträglichen aber schon länger überschritten, und auch die Hilfseinrichtungen im Bahnhofsumfeld beklagen ihre Überlastung. Besonders zwei Problemfelder: Da ist zum einen die wachsende Zahl der Crackabhängigen. Die sind unruhiger, unberechenbarer und oft auch aggressiver als Trinker und Heroinabhängige, sagen die Sozialarbeiter vor Ort, genauso wie die Obdachlosen in den Befragungen der Stadt.

Das Hilfssystem ist aber kaum auf sie eingestellt. Die Stadt verhandelt jetzt mit Polizei und Staatsanwaltschaft, um – ähnlich wie bei Heroinabhängigen – Räume für den geduldeten Konsum schaffen zu können. Außerdem möchte sie sich einem Modellversuch anschließen, das versucht Substitutionsmöglichkeiten mit medizinischem Cannabis zu erforschen.

Mehr Hilfe für soziale Hilfe

Das andere große Problem sind die zahlreichen Gestrandeten aus den osteuropäischen Beitrittsländern, die hier durch alle Maschen des sozialen Netzes fallen. Viele sind zum Arbeiten gekommen und dann irgendwann auf der Straße gelandet – Ansprüche auf Sozialleistungen haben sie oft nicht. „Wir haben bei den Ampel-Koalitionsverhandlungen in Berlin mehrfach versucht, das Thema zu adressieren“, sagt Onay, der als Unterhändler dabei war. „Da war nichts zu machen.“

Zu groß ist die Angst vor einer Einwanderung in die Sozialversicherungssysteme. Die Kommunen können in solchen Fällen nicht mehr machen als Notschlafstellen anzubieten – und auch die müssen besser werden.

„Wir wissen, dass Massenunterkünfte wie die am Alten Flughafen oft gemieden werden und schaffen jetzt Plätze mit mehr Privatsphäre, in Einzelzimmern“, so Onay. Doch auch hier verstreicht viel Zeit, bevor es der Stadt gelingt, passende Immobilien aufzutreiben und die notwendigen Umbaumaßnahmen in die Wege zu leiten.

Das gilt auch für die Bestrebungen, den bestehenden Anlaufstellen – dem Kontaktladen Mecki und dem Konsumraum Stellwerk – bessere und größere Räumlichkeiten zu verschaffen. Damit einher geht die Hoffnung, die Szene zumindest ein bisschen zu entzerren, auch wenn man sie nie aus der Bahnhofsnähe weg bekommen wird. Gleichzeitig glaubt man, zumindest einen Teil der Menschen in neue, dezentrale Unterkünfte und Tagescafés lotsen zu können.

Denn noch eines ist bei der Bestandsaufnahme klar geworden: Das bestehende Angebot muss besser koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. Rund um den Raschplatz tummeln sich allein drei bis vier ehrenamtliche Initiativen, die zu unterschiedlichen Zeiten Essen und Lebensmittel ausgeben.

Die Wohlfahrtsverbände haben mit unterschiedlichen Stundenkontingenten und unterschiedlichen Zielsetzungen Streetworker im Einsatz, die aber immer nur punktuell Spritzen verteilen oder Hinweise auf Hilfsangebote geben können. Da ist möglicherweise zu viel outgesourct und über die Träger abgewickelt worden, deshalb plant die Stadt nun selbst wieder vier Sozialarbeiter anzustellen, die hier auf der Straße unterwegs sein sollen.

Das alles ist kleinteilig und kompliziert, hat viele Sitzungen an Runden Tischen und Einzelgespräche erfordert, weil man es eben auch immer wieder mit unterschiedlichen Verantwortungsebenen und Kosten­trägern zu tun hat: Für viele Sozialleistungen ist eigentlich die Region zuständig, für Geflüchtete das Land, für die suchtmedizinische und psychiatrische Versorgung auch noch der Bund und die kassenärztliche Vereinigung.

Im Vergleich dazu erscheint die Umgestaltung und das Bespielen der Plätze einfacher – immerhin gibt es dafür auch schon Fördermittel und Rückstellungen im Haushalt. Und Onay und sein Team müssen aufpassen, dass ihm die einzelnen Mosaiksteinchen des großen Planes nicht so sehr durcheinander kullern, dass am Ende nichts mehr passt.

Dabei ist er in dieser Hinsicht ja schon ein gebranntes Kind: Auch bei seinen „Experimentierräumen“, bei denen es um andere Plätze in der Innenstadt und die Verkehrswende ging, wurde am Ende mehr darüber geschrieben und geredet, welche Straßen dafür nun wieder gesperrt wurden und welche Kletterseile an der Marktkirche ungenutzt im Wind baumelten, als über die verkehrspolitischen Konzepte dahinter und die Kooperationen, die daraus entstanden sind.

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