piwik no script img

Dreckige Luft in Indien„Lass mich atmen“

Die Luftverschmutzung in Delhi erreicht einen traurigen Rekord. Unter dem Motto „Let me breathe“ formiert sich in Indien jetzt Protest gegen den Smog.

Auch PolizistInnen in Delhi brauchen Schutz vor dem Smog Foto: reuters

Mumbai taz | In den letzten Tagen war die Luft in Nordindien wortwörtlich zum Kotzen. Das mussten auch zwei angereiste Cricket-Spieler feststellen, als sie in Delhi am Sonntag auf dem Rasen standen. Während des Spiels Indien gegen Bangladesch mussten sie sich übergeben. Zuvor hatte die Regierung davon abgeraten, im Freien Sport zu treiben, gar das Haus zu verlassen. Luftschutzmasken wurden verteilt. Fahrverbote wurden angeordnet, Bauarbeiten gestoppt und Flüge aufgrund der geringen Sichtweite umgeleitet.

Am Sonntag toppte Delhi den Negativrekord kurzzeitig von über 1.200 auf dem Air Quality Index (AQI). Wobei über 150 Mikrogramm Feinstaubwert pro Kubikmeter Luft in Europa schon unter die Kategorie „sehr schlecht“ fällt. Die gesamte Stadt war mit dichtem Smog bedeckt, Menschen klagten über Kopfschmerzen. Erst nach einem leichten Nieselregen konnte man wieder etwas auf den vernebelten Straßen sehen.

Als Folge bleiben die Schulen bis Mittwoch geschlossen. Während Delhi einen Gesundheitsnotstand erklärte, regte sich in den Nachbarstaaten Haryana und Uttar Pradesh erst mal nichts, obwohl in beiden angrenzenden Staaten die am meisten verschmutzten Städte der Welt liegen.

Besonders im Norden steigen nach dem Lichterfest Diwali die Feinstaubwerte. Tonnen von Ernteresten werden jeden Herbst in Punjab und Haryana verbrannt. Dazu kommen Emissionen von veralteten Fahrzeugen oder der Einsatz von Dieselgeneratoren. Experten des indischen Zentrums für Wissenschaft und Umwelt (CSE) warnen seit Jahren vor der extremen Luftverschmutzung im Winter, politisch passiert wenig.

Die schlechte Luft trifft alle

Viele Kohlekraftwerke haben immer noch keine Luftschutzfilter. Und Fahrverbote gelten nur, wenn die Stadt zu kollabieren droht. Die schlechte Luft trifft alle; nach Protesten am Samstag vor dem Haus der Premiers in Delhi rief die Gruppe „Let me breathe“ (Lass mich atmen) am Dienstag erneut zu Protesten auf. Nach einer neuen Studie wünschen sich knapp 40 Prozent der Bevölkerung, aus der Metropolregion Delhi wegzuziehen, berichtet die Zeitung The Economic Times.

Dazu zählt auch die Gründerin Tammana Sharma. „Ich akzeptiere das nicht als neue Normalität“, sagt sie. Seit vier bis fünf Jahren setzt der Smog den Menschen massiv zu. Sharma beschreibt die Lebensbedingungen in Delhi als frustrierend. „Masken und Luftreiniger sind Anpassungstechniken für die Privilegierten“, beklagt sie. Statt die Schuldigen zu suchen, berät sie Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit und ist auch am Dienstag auf dem Protest. „Viele Bürger*innen haben begonnen zu erkennen, wie giftig und tödlich der Smog ist.“

Diese Feststellung teilt der in Delhi ansässige Lungenarzt Vikas Maurya. „Überall sprechen die Menschen darüber, auch außerhalb meines beruflichen Umfelds“, sagt er. Dennoch ist er besorgt. „Gerade für Asthmatiker kann diese Luft tödlich sein, auch Kinder sind besonderer Gefahr ausgesetzt“, so der Mediziner. Seine Patienten klagen schon länger über Atemnot und Engegefühl in der Brust. Maurya fordert langfristige Lösungen statt Aktionismus kurz nach der Katastrophe. Die Situation sei die gleiche wie vor zwei Jahren, als die Welt besorgt nach Indien blickte.

Besserung ist bisher kaum in Sicht. In der Öffentlichkeit wird die Luftverschmutzung oft als Hauptstadtproblem angesehen. Doch benachbarte Städte weisen sogar höhere Werte auf. Der Regierungschef Delhis, Arvind Kejriwal, nannte den Smog auf Twitter ein Problem des gesamten indischen Nordens, die Zentralregierung müsse Gegenmaßnahmen über Parteigrenzen hinweg koordinieren. Bisher haperte es aber genau an dieser Verständigung zwischen Bund und Bundesstaaten in Indien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Auch wenn man kein Verkehrsplaner ist, ist ein Ansatz zur Lösung des Luftproblems in Delhi seit Jahrzehnten offensichtlich. Mehr öffentliche Verkehrsmittel, bessere technische Standards. Einfach wäre meines Erachtens, separate Busspuren einzuführen und an Stelle von kostspieligen Metros ein gutes Busnetz aufzubauen. Vor 20 Jahren bin ich noch komfortabel mit dem Fahrrad in Neu-Delhi unterwegs gewesen. Das ist aufgrund der extremen Zunahme der Automobile heute unmöglich.

    Eine mittelfristige Veränderung der Verkehrspolitik in Indien ist so unwahrscheinlich wie hier das Tempolimit auf Autobahnen, das in den nächsten 20 Jahren nicht kommen wird. Oder doch? ;-)

    • @shashikant:

      Indien ist mit China und Skandinavischen Ländern Vorreiter bei der Abschaffung des Verbrennungsmotors. Ab 2030 werden keine Benziner und Diesel mehr im Straßenverkehr zugelassen. Doch die Abschaltung weiterer Smogquellen bleibt ein Problem. Erntereste und Müll dürfen gar nicht mehr offen verbrannt werden aber das interessiert keinen ...

      • @Nina Janovich:

        Das mit der Vorreiterrolle liest sich für mich anders „man überlegt auf e-Autos umzusteigen, vorausgesetzt das ist kostengünstiger“.



        Aber das nur am Rande. Die wahre Tragödie ist, dass ein Wirtschaftsraum mit über 1 Milliarden Menschen noch keine klare Position inklusive Handlungsplan zum Klimaschutz hat.