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Doping in der LeichtathletikLäuft der Verdacht mit?

Jens Uthoff
Martin Krauss
Kommentar von Jens Uthoff und Martin Krauss

Usain Bolt ist erneut Weltmeister über 100 Meter. Muss man nach den Dopingskandalen nicht misstrauisch sein? Ein Pro und Kontra.

Usain Bolt läuft auf Bahn 5 zum Weltmeistertitel. Foto: reuters

K lares Ja. Natürlich nervt das Thema Doping wahnsinnig. Man drängt es auch weiterhin lieber zur Seite, wenn man ein 100-Meter-Finale bei einer Weltmeisterschaft sieht, eine der vielleicht ästhetisch schönsten, eindrucksvollsten, packendsten Disziplinen überhaupt. Immerhin hat es Usain Bolt nun wieder geschafft, könnte man sagen – einer der Favoriten, der als sauber gilt.

Die Leichtathletik erlebt derzeit eine Welle von Enthüllungen, wie sie der Radsport in der Folge des Wirkens von Super-Doc Eufemiano Fuentes Mitte der Nullerjahre erfuhr. Nach einer Doku von ARD und Sunday Times sowie einer anonymen Umfrage der Uni Tübingen bei der 2011er WM kann man davon ausgehen, dass ein Drittel der Sportlerinnen und Sportler regelmäßig leistungssteigernde Substanzen einnehmen.

Zeit für eine Zäsur in der Leichtathletik! Abblasen hätte man diese WM sollen! Stattdessen will der Weltverband IAAF die Veröffentlichung der Tübinger Studie blockieren, der scheidende Präsident Lamine Diack erklärt, die Presse zeichne ein „Monster“ namens Leichtathletik. Dessen Nachfolger, Sebastian Coe, gibt sich als Antidopingkämpfer, meint aber, die jüngsten Veröffentlichungen seien eine „Kriegserklärung“ an „seinen Sport“.

Athleten wie Robert Harting erklären derweil ihr Misstrauen in Sachen Antidopingmaßnahmen gegenüber der IAAF. Die bequemt sich immerhin noch dazu, Ermittlungen gegen 28 Athleten einzuleiten. Und die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) spricht davon, man müsse sich schützend vor Athletinnen und Athleten stellen.

Schützen sollte man eher die Zuschauer, die doch längst wissen, dass sie eine WM der Drogisten und Biochemiker und keine Leichtathletik-WM sehen. Eine Debatte darüber, ob man nach den Vorfällen und nach dem Verhalten der Verbände die WM überhaupt ausstrahlen sollte, wäre angemessen gewesen – allein weil man es im Radsport seinerzeit auch so handhabte, dass man die Übertragungen aussetzte. Der nicht in Peking weilende Robert Harting löste das Problem auf seine Weise: „Ich schaue mir das Rennen nicht an, lege eine offizielle Schweigeminute ein und schalte den Fernseher aus, bevor es losgeht“, sagte er.

Ansonsten herrscht Achselzucken. Aufseiten der Verantwortlichen redet man die Probleme klein. Und auf der Tartanbahn laufen mit Asafa Powell, Tyson Gay und Justin Gatlin fröhlich drei ehemals wegen Dopings gesperrte Läufer gegeneinander – lebenslange Sperren gibt es immer noch nicht. Champion Bolt stellte vor dem Lauf allerdings auch eine beeindruckende Naivität zur Schau. Auf die Veröffentlichung seiner Blutwerte angesprochen, sagte er: „Ich wusste gar nicht, dass ich so einen Blutpass habe. Ich weiß nicht viel von diesen Dingen.“Läuft also alles blendend bei der WM der Pharmazeuten – bei den Leichtathleten hingegen nicht so. JENS UTHOFF

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Nein. Bei mir läuft kein Verdacht mit. Ich habe beim 100-Meter-Finale der Männer in Peking acht Menschen gesehen, sportliche Männer, die etwas können, was ich nicht kann und gerne könnte: schnell laufen.

Dass dort Läufer wie Justin Gatlin oder Tyson Gay mitliefen, die schon wegen Dopings gesperrt waren, stört mich definitiv weniger, als wenn in einem Film jemand mitspielt, der schon im Gefängnis saß oder wenn bei einem Konzert jemand auftritt, der schon mal in einem BTM-Verfahren belangt wurde. Es stört mich also weniger als gar nicht.

Was Menschen wie Gatlin oder Gay oder auch der noch nie in irgendeiner Weise ernsthaft mit Doping in Verbindung gebrachte Usain Bolt (der gleichwohl stets dem Geraune ausgesetzt ist) mit ihrem Körper machen, interessiert mich nicht. Und ich habe einen tiefen Unwillen dagegen, dass es auf dieser Welt Berufskollegen von mir gibt, die sich für deren Blutwerte interessieren und mit großer Leidenschaft Urin- und andere Körperflüssigkeitskontrollen fordern, deren Praxis in jedem anderen Milieu als dem des Spitzensports als totalitär gelten würde.

Die Argumente sind doch alle bekannt. Erstens: Das, was so oft als leider notwendige Dopingkontrolle bezeichnet wird, ist der die Intimsphäre verletzende Zwang, unter Aufsicht zu urinieren und die menschenrechtlich haltlose Verpflichtung, seinen Aufenthaltsort immer und überall einer Behörde mitzuteilen. Entsprechend werden regelmäßig Vorschläge laut, man solle etwa Chips unter die Haut implantieren, um den jeweiligen Aufenthaltsort nachzeichnen zu können.

Zweitens: Die Vorstellung, „saubere Körper“ sollten eine sportliche Leistung vollbringen, ist eine, die mit einem modernen Menschenbild wenig zu tun hat: Als sei der menschliche Körper nicht Ergebnis einer Vergesellschaftung, als unterschiede nicht gerade der Umstand, dass er Essen zubereiten kann, das aus sehr unterschiedlichen Ingredienzen besteht, den Menschen vom Tier. Und als hätten entsprechend nicht alle Menschen einen „gedopten“ Körper, gerade weil wir nicht mehr nur Früchte von Bäumen und Wasser aus Quellen zu uns nehmen, sondern aus industrieller Arbeitsteilung entstammende Lebensmittel und Medikamente, deren „natürliche“ oder „saubere“ Zusammensetzung wir nicht nur nicht kennen, sondern getrost bezweifeln dürfen.

Drittens: Die Vermutung, sportliche Leistungen seien nur mit Doping zu erklären, blendet die komplizierte Struktur solcher Leistungen aus: körperliche Voraussetzungen, Trainingsplanung, psychische und physische Besonderheiten und nicht zuletzt die gesellschaftliche Bedingungen der sportlichen Ausbildung eines Talents.

Gute Gründe, wie ich finde, das Dopingthema nicht so ernst zu nehmen. Ich bin so frei und zitiere Bertolt Brecht: „Ich bin für den Sport, weil und solange er riskant (ungesund), unkultiviert (also nicht gesellschaftsfähig) und Selbstzweck ist.“ MARTIN KRAUSS

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Jens Uthoff
Redakteur
ist Redakteur im Ressort wochentaz. Er schreibt vor allem über Musik, Literatur und Gesellschaftsthemen.
Martin Krauss
Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte
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