piwik no script img

Dominic Johnson über Selenskis DeutschlandbesuchWas Solidarität bedeutet

Endlich gibt es Anlass zur Hoffnung in der Ukraine. Russlands Kampfkraft schwächelt deutlich. Die Ukraine hat Mut gefasst und bereitet sich offensichtlich darauf vor, ihr besetztes Staatsgebiet zu befreien und dem Krieg damit ein Ende zu setzen.

Vor diesem Hintergrund ist der Deutschlandbesuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski ein wichtiges Zeichen. Bei der internationalen Solidarität mit der Ukraine als einem von Vernichtung bedrohten Land gehörte Deutschland viel zu lange zu den Zauderern. Aber das neue militärische Hilfspaket Deutschlands für die Ukraine wäre noch vor wenigen Monaten in seinem Umfang unvorstellbar gewesen. Heute ist es nicht einmal mehr kontrovers. Auch Scholz’klare Bekenntnisse zum ukrainischen Volk stellen einen Fortschritt dar.

Dem ukrainischen Präsidenten als Opfer von Putins Wahn ist in den vergangenen Monaten die Rolle zugefallen, bei Auftritten in Washington, London, Paris, Brüssel, Den Haag, Rom und nun eben auch in Berlin seinen Gastgebern die nötigen öffentlichen Bekenntnisse für eine gerechte Weltordnung abzuringen. Das war mehr als nur Symbolpolitik. Es besteht nun augenscheinlich kein Zweifel mehr, dass erst das Ende jeder Besatzung ukrainischen Staatsgebiets Frieden bringen kann und dass die jeweiligen Staaten dabei eindeutig an der Seite der Ukraine stehen.

Es gehört nun zur deutschen Glaubwürdigkeit, dass Scholz’Worte „Wir stehen zusammen“ nicht nur ein Lippenbekenntnis sein dürfen. „Zeitenwende“ darf nicht nur 100 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr bedeuten. Sie muss an erster Stelle ein anderes, solidarischeres Verständnis von Außen­politik sein. Die Ukraine ist dafür jetzt der Test-, aber kein Einzelfall.

Die Zeitenwende muss ihren unmittelbaren Ausdruck in einer klaren militärischen Niederlage Russlands in der Ukraine finden, und die Welt braucht darüber hinaus eine neue Form von Solidarität gegenüber Aggression und Unterdrückung jeder Art. Das wird zu Recht von vielen gefordert, denen die Ukraine weit weg erscheint. Hierin besteht die große Herausforderung, weit über den Ukrainekrieg hinaus.

4–

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen