Dokumentarfilm der ARD: Leiche im Keller
In „Das Mädchen – was geschah mit Elisabeth K.?“ rollt Eric Friedler den Fall der 1977 in Buenos Aires entführten Studentin auf.
Die Fakten im Fall der Deutschen Elisabeth Käsemann sind seit Langem bekannt. Am 8./9. März 1977 wurde die damals 29-jährige Studentin in Buenos Aires von Militärs entführt, elf Wochen lang gefoltert, schließlich ermordet. Ihre zunächst ebenfalls entführte britische Freundin Diana Austin kam nach wenigen Tagen wieder frei, nachdem sich die britische Regierung für sie eingesetzt hatte.
Austin hatte die Schreie ihrer Freundin im Folterzentrum gehört, berichtete das auch. Das Auswärtige Amt, von Amnesty International frühzeitig über den Fall und den Aufenthaltsort Käsemanns informiert, hätte alle Möglichkeiten gehabt, sich für Käsemanns Befreiung aus der Folterhaft einzusetzen und tat – nichts. Eine Klage des Vaters von Elisabeth, des damals bekannten Theologen und Mitglieds der Bekennenden Kirche, Ernst Käsemann, gegen die Bundesrepublik wegen unterlassener Hilfeleistung, wurde abgewiesen.
Der Fall Käsemann, eigentlich das gesamte Verhältnis der Bundesrepublik zur argentinischen Militärdiktatur, gehört zu den bekanntesten und inzwischen am besten dokumentierten Leichen im Keller des Auswärtigen Amtes. Eine offizielle Entschuldigung gab es bis heute nicht.
Neu und überraschend an der Dokumentation „Das Mädchen – was geschah mit Elisabeth K.?“ von Eric Friedler sind insofern nicht die reinen Fakten – vieles davon hatte der Freiburger Menschenrechtsanwalt Konstantin Thun schon 1985 in der ersten Auflage seines Buchs „Menschenrechte und Außenpolitik. Bundesrepublik Deutschland – Argentinien 1976–1983“ zusammengetragen.
„Das Mädchen – was geschah mit Elisabeth K.?“, ARD, 22.45 Uhr.
Im KZ El Vesubio gefoltert
Aber Friedler gelingt es zum ersten Mal, damalige Protagonisten vor die Kamera zu bekommen, darunter die damaligen StaatsministerInnen im Auswärtigen Amt, Hildegard Hamm-Brücher und Klaus von Dohnany, den damaligen deutschen Botschafter in Argentinien, Jörg Kastl – und Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft, die genau dann ein Freundschaftsspiel in Argentinien bestritten, als Elisabeth Käsemann im KZ El Vesubio gefoltert wurde.
1978, ein Jahr nach Elisabeth Käsemanns Tod, fand in Argentinien die Fußballweltmeisterschaft statt. Berti Vogts wurde damals noch mit den Worten zitiert, er habe in Argentinien keine politischen Gefangenen gesehen, da sei alles in Ordnung. Heute gestehen er, Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge ein, dass sie mehr hätten tun können. Sie, der DFB, die Bundesregierung, die Fifa – sie alle hätten Elisabeth Käsemanns Tod, und womöglich auch den vieler anderer, verhindern können. „Wir haben versagt“, sagt Rummenigge.
Das ist auch der Tenor von Klaus von Dohnany und Hildegard Hamm-Brücher. Ja, man hätte mehr tun müssen, man wisse auch nicht, warum das nicht passiert sei. Man habe sich nicht getraut, dem Chef zu widersprechen. Außenminister Hans-Dietrich Genscher, berichten beide, wollte von dem Fall nichts wissen.
Und der damalige deutsche Botschafter, Jörg Kastl, vor einigen Monaten verstorben, aber für den Film noch auskunftsbereit, stellt klar, dass er bis heute davon ausgeht, Elisabeth Käsemann sei selbst schuld an ihrem Tod. Genauer: ihre linken politischen Ideen. Auch im Fall des ebenfalls in Argentinien ermordeten Studenten Klaus Zieschank hatte Kastl behauptet, der habe sich in „linksterroristischen Kreisen“ bewegt – eine Lüge. Kastl machte später eine große diplomatische Karriere.
Wer trotz vielfacher Anfragen des Filmemachers nicht reden wollte, war Exaußenminister Genscher. Eineinhalb Jahre lang fand er leider keine Zeit, um sich zu den Vorgängen zu äußern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau