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Dokumentarfilm „Die Liebe zum Leben“Hartnäckig gegen das Unrecht

Ludwig Baumann desertierte 1942 aus der Wehrmacht, wurde verurteilt und kämpfte ein Leben lang für seine Rehabilitation. Nun gibt es einen Film über ihn.

Lange Jahre zusammen aktiv: Ursula Prahm und Ludwig Baumann Foto: Annette Gottlieb/Inseltöchterfilm

Bremen taz | Ist es ein Verbrechen, wenn Soldaten und Soldatinnen sich weigern, in einem Krieg zu kämpfen? Diese Frage schien in Deutschland zu einer ganz überwiegend akademischen geworden zu sein – und wirkt umso aktueller, seit Russland seinen Invasionskrieg gegen die Ukraine führt und Israel von der Hamas angegriffen wurde.

Da ist es auch nicht mehr nur von historischer Bedeutung, wenn in Annette Ortliebs Dokumentarfilm „Die Liebe zum Leben“ die israelische Militärdienstverweigerin Tair kurz vor dessen Tod im Jahr 2018 auf Ludwig Baumann trifft – und dabei deutlich macht, dass sie ihn als eines ihrer Vorbilder ansieht.

Baumann war wohl der bekannteste Deserteur Deutschlands, weil er sich mit einer bemerkenswerten kämpferischen Energie und Sturheit dafür einsetzte, dass die wenigen Kriegsverweigerer der Deutschen Wehrmacht, die wie er den Zweiten Weltkrieg überlebt haben, politisch und rechtlich rehabilitiert werden.

Er ist einer der Gründer der „Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz“ und war Jahrzehnte lang deren hartnäckigster Aktivist. Mit Erfolg: Dank Ludwig Baumann wurden 2009 die letzten Urteile der NS-Justiz gegen Wehrmachtsdeserteure aufgehoben.

Zehn Monate Todeszelle

In „Die Liebe zum Leben“ erzählt der beim Dreh über 90 Jahre alte Ludwig Baumann seine Lebensgeschichte. 1921 wurde er in Hamburg als Sohn eines Tabakgroßhändlers geboren. Dem gesellschaftlichen Einfluss seines Vaters war es zu verdanken, dass Ludwig 1942 nach seiner Desertion in Bordeaux nicht hingerichtet wurde, sondern sein Todesurteil in eine Haftstrafe umgewandelt.

Dies teilte man ihm allerdings erst nach zehn Monaten in der Todeszelle mit; zehn Monate, in denen er täglich mit seiner Erschießung hatte rechnen müssen. Diese seelische Folter, später von den Bürokraten der Bundesrepublik nicht anerkannt, war einer der Gründe dafür, dass Baumann für den Rest seines Lebens nie wieder die Kontrolle über sein Leben verlieren wollte.

Was die Arbeit nicht eben leicht machte für die Filmemacherin: Annette Ortlieb erzählt, dass er „keine Nähe zulassen konnte“ und sich nur selten zu Dreharbeiten bereit erklärte. Für Ortlieb, deren Filme wie „Marga und der Wal“ oder „Inseltöchter“ gerade die Nähe zu ihren Prot­ago­nis­t*in­nen auszeichnet, waren das schwierige Bedingungen.

Und das wohl ein Grund dafür, dass sie den Film erst jetzt, fünf Jahre nach Baumanns Tod fertiggestellt hat: Sie musste mit den relativ wenigen Aufnahmen, die Baumann von sich machen ließ, sowohl ihm wie auch seinem Lebenswerk gerecht werden.

Über 60 Jahre lang galt Baumann als vorbestraft und konnte sich nie eine Existenz aufbauen

Dies gelang ihr, indem sie etwa Menschen zu Wort kommen lässt, die Baumann kannten und begleitet haben: seine langjährige Wegbegleiterin Ursula Prahm etwa, der Historiker Detlef Garbe, ehemals Leiter der Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Oder die ehemalige SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, die davon erzählt, dass Baumann auch mit ihr, die ja grundsätzlich auf seiner Seite war, manchmal die Geduld verlor – und das sehr deutlich zum Ausdruck bringen konnte.

Und tatsächlich ist es heute schwer zu verstehen, warum es so lange dauerte, bis Baumann und die anderen Wehrmachtsdeserteure rehabilitiert wurden: Über 60 Jahre lang galt er als vorbestraft, konnte sich nie eine wirtschaftlich gesicherte Existenz aufbauen. Als Vertreter ging er von Tür zu Tür und verkaufte Gardinen oder „gebrauchte Fernseher“. Bei ihm, erzählt Ursula Prahm, „war es immer knapp“.

In diesen Momenten des Films wird spürbar, wie schwierig und zerrissen das Leben für Baumann in Deutschland gewesen sein muss. Ortlieb hat dafür die passenden Stimmungsbilder gefunden, wenn sie immer wieder Aufnahmen von Eis, Schnee und Regen zwischen die Interviewsequenzen montiert hat

Der Film

„Die Liebe zum Leben“. Regie: Annette Ortlieb, Deutschland 2023, 63 Minuten

Uraufführung: 19.11., 12 Uhr, Kino Gondel, Bremen. Grußwort von Friedhelm Schneider, Europäisches Büro für Kriegsdienstverweigerung, anschließend Filmgespräch mit Team und Protagonist­:innen, Moderation: Ilona Rieke (Filmbüro Bremen)

Die Bilder repräsentieren die Unwirtlichkeit und Kälte, die Baumann in der Bundesrepublik entgegenschlug: Direkt nach dem Krieg wurde er zusammengeschlagen, und als er sich in den späten 1990er-Jahren für die Wehrmachtsausstellungen engagierte, bekam er Hassbriefe mit Todesdrohungen. Nach einem Versuch, am Bremer Bahnhof mit Rekruten der Bundeswehr zu diskutieren, bekam er Bahnhofsverbot.

Hier arbeitet Ortlieb mit Briefen, Fotos und Zeitungsausschnitten, aber als im November 2015 in Hamburg der „Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz“ eingeweiht wurde, konnte sie den als Gastredner eingeladenen Ludwig Baumann mit ihrer Kamera begleiten. Dass es dabei winterlich kalt war, ist ein Glücksfall für Ortlieb. Denn so passen auch diese Bilder mit ihren Grautönen zur Farbdramaturgie ihres Films – und seinem Thema.

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5 Kommentare

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  • Traurig, dass Ludwig Baumann und die anderen Desserteure nicht direkt nach dem Krieg rehabilitiert und ausgezeichnet wurden! Offensichtlich waren Ludwig Erhart und Konsorten viel mehr mit dem Wirtschaftswunder beschäftigt und eher den Kriegsgewinnlern verpflichtet. Wie armselig und schäbig.

    • @Rufus:

      Desertieren ist auch bei der Bundeswehr ein Straftatbestand.

      Und mit Verlaub, die dt. Gesellschaft hatte sich gerade in den ersten Nachkriegsjahren mit wichtigeren Dingen auseinanderzusetzen als mit Deserteuren.

      • @SeppW:

        Die Wehrmacht war aber nicht die Bundeswehr. Und die "Gesellschaft" hatte scheinbar bis zu seinem Tot wichtigeres zu tun. Vor allem wohl jene die das Naziregime unterstützten und danach Straffrei wieder ihre Schlüsselpositionen einnahmen und Menschen wie Baumann das Leben schwer machten. Baumann ist Opfer einer misslungenen Entnazifizierung. Ich hatte selbst einen rechten Großvater der als Militärpolizist in Polen war und nie belangt wurde, obwohl er an Kriegsverbrechen beteiligt und bis zu seiner Pension Polizeibeamter war. Stramm rechts und gewalttätig und mutigen Menschen wie Baumann wurde das Leben versaut, weil sie nicht mitmachten und desertierten.

      • @SeppW:

        Welche ,,wichtigeren DINGE (?)" denn?!

        Es wäre wichtig gewesen, Menschen wie Ludwig Baumann zu Vorbildern zu erklären und in Schulen einzuladen.



        Mit Schülerinnen und Schülern diskutieren zu dürfen (,,Sind Deserteuer Helden?"). Das hätte der bundesrepubikanischen Nachkriegsgesellschaft bis in die 90er Jahre und bis heute sehr gut getan.

        Stattdessen hat Adenauer z.B. mit aus dem Strafvollzug vorzeitig entlassenen Wehrmachtsgenerälen die Bundewehr aufgebaut (Edgar Selge nennt in ,,Hast du uns endlich gefunden'', (2023 S. 247), die Namen Kesselring, von Manstein, von Mackensen, Gallenkamp, Mälzer, Simon, von Falkenhorst, Schmidt, Wolff).

        Ludwig Baumann musste sich stattdessen ein Leben lang im Abseits wiederfinden und alle Kräfte für den Kampf um Rehabilitation einsetzen.

        Das war ungerecht, unmenschlich und hat uns allen in der dt. Gesellschaft nicht gutgetan, was man , ,,mit Verlaub'', z.B. auch an der Empathielosigkeit und Dreistigkeit Ihres Kommentares erkennt.

        Natürlich ist Desertieren ein Straftatbestand, aber es muss eben auch gefragt werden dürfen, ob Desertion in einem Unrechtsstaat nicht straffrei sein muss, sobald dieser Unrechtsstaat abgeschafft wurde und sogar zu einer vorbildlichen Tat werden kann.

        ,,Unrecht kennt keinen Verrat." sagte Fritz Bauer:



        www.deutschlandfun...erstorben-100.html

        Auf der einen Seite sterben Deserteure wie Ludwig Bauer vorbestraft und/ oder entwürdigt und auf der anderen Seite wurden zu Tode verurteilte Kriegsverbrecher wie Kesselring und von Manstein (das ,,Massaker von Simferopol'') innerhalb kürzester Zeit wieder entlassen und von Adenauer als ,,Wahlkampfhelfer" (Selge, S. 251) eingesetzt. Waren das etwa die ,,wichtigeren Dinge der Nachkriegsjahre"?! Sicher nicht! Im Gegenteil: Es hat uns allen geschadet und schadet uns noch! Ein Film wie der von Annette Ortlieb ist wichtiger denn je!! Danke, auch für den Artikel dazu!

        • @gleicher als verschieden:

          "Welche ,,wichtigeren DINGE (?)" denn?!"

          --------------

          Wiederaufbau des Landes, Wiederaufbau der Wirtschaft, Wiederaufbau der Gesellschaft. Auch mit Hilfe von alten NS-Kadern und Militärs, denn "Fachkräftemangel" gabs überall. Auch in der DDR musste man zu Beginn auf Personal zurückgreifen, was es eigentlich im Land gar nicht mehr hätte geben dürfen. Eine vom Faschismus bereinigte DDR ? *Lach*, natürlich nicht. So realistisch sollte man schon sein.

          Eine Aufarbeitung des Krieges innerhalb der Gesellschaft und der Umgang mit psychologischen Traumatas innerhalb der Zivilbevölkerung und Kriegsveteranen war einfach keine Priorität. Und die Aufarbeitung der Gruppe der Deserteure noch weniger. Was u.a auch daran lag das sie erst zu Helden hochstilisiert wurden, als in Politik und Gesellschaft nicht mehr die Zeitzeugen in der Mehrheit waren.



          Ob man über all das schon viel früher reden müssen ? Absolut ! Im Großen wie auch im Kleinen. Früher konnten die Zeitzeugen nicht über Traumata etc. reden weil ihnen niemand zuhören wollte, alles "alte Kriegsgeschichten" etc. Und heutzutage will man nicht zuhören, weil´s nicht on vogue ist, wenn man in seiner Familie noch einen lebenden Kriegsveteran sitzen hat. Am Ende sogar noch einer der in der Waffen-SS oder der SS gedient hat. Gott bewahre !! Gut das dieses ganze Problem durch das Wegsterben dieser Generation schon als so gut wie gelöst betrachtet werden kann. Gut das ich meinem Großvater noch zuhören konnte. Vorurteilsfrei, obwohl er in der Waffen-SS war. Und das war für ihn nach jahrzehntelanger Wartezeit auf ein offenes Ohr eines seiner letzten schönen Momente gewesen.

          Ich maße mir nicht an Deserteuren zu bescheinigen das ihre Tat zu dem Zeitpunkt der Tat eine positive oder negative Tat gewesen ist. Es hätte allerdings unabhängig davon eine juristische Generalamnestie für Deserteure geben müssen.