Doku zu Mafiaermittlungen: Es gilt das Schweigegebot
Ein Fünfteiler erzählt von der Anti-Mafia-Operation „Eureka“, den Jahren ihrer Vorbereitung – und von den Kurzarmhemden deutscher Beamter.
Das Programm feiert die europäische Zusammenarbeit – umso mehr fallen die kulturellen Unterschiede ins Auge: die italienischen Polizisten, die auch in den höheren Rängen ihre schneidigen, ornamentverzierten Uniformen tragen, zur der bei der Frau von Interpol ein Rock gehört; ihr deutscher Kollege vom LKA Düsseldorf in Jeans und Hemdsärmeln.
Dass man sich gelegentlich in solchen Details verliert, liegt auch daran, dass der Fünfteiler, den man sich aktuell in der Arte-Mediathek anschauen kann, in seinen Ausmaßen mit Podcast-Format ein bisschen arg lang geraten ist. 90 Minuten „Mafiajäger“ hätten es vielleicht auch getan – aus Sicht der Filmemacher um Veronika Kaserer und Stefano Strocchi offenbar nicht. Sie haben sich schließlich vorgenommen, „die Hintergründe der größten Anti-Mafia-Aktion Europas“ zu erzählen.
Die vier Jahre vor dem „Action Day“ am 3. Mai 2023, als um Punkt 4 Uhr am Morgen über 3.000 Polizisten zur Tat schreiten: in Belgien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Italien, Paraguay, Portugal, Rumänien, Slowenien und Spanien. 800 sind es allein in dem nur über eine einzige Zufahrtsstraße erreichbaren San Luca in der Reggio Calabria. Das nach außen ärmlich wirkende Bergdorf ist das „Jerusalem“ der ’Ndrangheta.
Das einstige, zunächst auf Entführungen abonnierte Kellerkind unter den Mafiaorganisationen hat der sizilianischen Cosa Nostra und der neapolitanischen Camorra längst den Rang abgelaufen und beherrscht den Kokainhandel in Europa – auch und gerade weil sie diskreter agiert.
„Mafiajäger“, fünf Folgen, in der Arte-Mediathek
Was nicht etwa heißt: weniger brutal. Zu den Talking Heads des in bester Dokumentarfilm-Manier auf jeglichen Off-Kommentarfilm verzichtenden Formats zählt auch ein Aussteiger, der von seiner Kindheit in San Luca erzählt: „Ich bin in einer dieser gewalttätigen, durch und durch kriminellen Familien aufgewachsen.
Andere Kinder hatten Spielzeugpistolen – ich hatte eine echte.“ Aber nicht zum Spielen, das Handwerk des ’Ndranghetisten ist quasi ein Ausbildungsberuf: „Wenn ich jemanden töte, dann mache ich das perfekt. So, wie es mir als Kind beigebracht wurde.“ Das heißt: mit je zwei Schüssen, erst in die Brust, dann in den Kopf.
„Wirklich faszinierend“
Der deutsche LKA-Mann macht keinen Hehl aus seiner Faszination: „Wir reden über Tausende von Toten. Wir reden über Vermisstenfälle noch und nöcher in Kalabrien. Über Entführungsopfer. Und dann sagt so ’n Mensch Ihnen: Die ’Ndrangheta gibt es nicht. Und ich hab’ damit erst recht nichts zu tun. Das ist wirklich faszinierend.“
Es gilt das Schweigegebot: „Omertà ist, wenn du siehst und hörst, aber von nichts weißt. Du kümmerst dich um deine eigenen Angelegenheiten, dann lebst du 100 Jahre“, erklärt es der Aussteiger.
Der deutsche Ermittler ist einmal mehr … fasziniert: „Die wissen schon genau, was sie tun. Die fahren tausend Kilometer, um mit jemandem zehn Minuten zu sprechen. Und wenn sie dann sprechen, in der Öffentlichkeit, dann halten sie sich noch die Hand vor den Mund, dass wir nicht mit ’nem Lippenleser um die Ecke kommen. Das ist großartig.“
Nur einmal waren sie nicht so diskret: 2007, bei den sogenannten „Mafiamorden von Duisburg“. Durch diese haben hierzulande viele überhaupt erst von der Existenz der ’Ndrangheta erfahren, für die Deutschland deshalb so interessant ist, „weil es hier wesentlich einfacher ist, kriminelle Gewinne zu investieren und unterzubringen, als woanders.“ Ein italienischer Staatsanwalt – den man sich, anders als seinen deutschen Kollegen, nicht im Kurzarmhemd vorstellen kann – konstatiert: „Die Deutschen haben aus dem Fall Duisburg nichts gelernt.“ Er würde sich von den Deutschen offenbar weniger Faszination und schärfere Gesetze wünschen.
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