Doku „Fuck for Forest“: Der total nackte Idealismus
Leider ungeil: In „Fuck for Forest“ von Michal Marczak wollen Ökoaktivisten mit befreiter Sexualität den Regenwald retten. Ganz schön naiv.
Dieser Text verstößt gegen eine Regel. Dem Berufsethos des Filmkritikers widerspricht es, über kleine Filme Verrisse zu schreiben. Zumal dann, wenn sie mit niedrigem Budget auskommen und niemandem wehtun. Warum dann diese Ausnahme? Weil es hier um „Fuck for Forest“ geht, eine Dokumentation, die allein des Titels wegen in der taz zu viele Begehrlichkeiten weckt, als dass ich das Gebotene tun und schweigen könnte.
Bestimmte Ideen werden in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße mit Eifer verfochten, darunter auch die, dass eine ökologische Lebensführung sexy sei. Wenn naive junge Menschen in einem Film behaupten, man rette den Wald, indem man fickt, dann findet das mehr Freunde, als Sie sich vorstellen. Und deren Verzücktheit verlangt nach Antwort.
In „Fuck for Forest“ begleitet der polnische Regisseur Michal Marczak Aktivisten aus Norwegen, die sich in einer Berliner Altbauwohnung niederlassen, vor der Kamera Sex haben und die Aufnahmen auf ihre Website stellen. Das Geld, das zahlt, wer sich die erotischen und pornografischen Bilder ansehen möchte, soll einem guten Zweck dienen, der Rettung des Regenwalds.
Die Liebe zum nackten Körper, zur von Moralvorstellungen befreiten Sexualität, zu Bäumen und zu bewusstseinserweiternden Pflanzen bildet den programmatischen Hintergrund, die Aktivisten predigen ein Leben im Einklang mit der Natur, ihre Naivität paart sich mit Narzissmus, und die Gruppendynamik hat fast etwas von einer Sekte, wenn etwa aus dem Off über Kaajal, eine junge Frau aus Mumbai, gesagt wird, einer der Aktivisten habe sie am Tag des Rückflugs gekidnappt, um sie an der Heimreise zu hindern. Daraufhin habe sie die besondere Chemie zwischen sich und dem Mann bemerkt und sei aus freien Stücken geblieben.
Wenn die Aktivisten ihre Ziele und Vorstellungen vor der Kamera erläutern, klingt das, als habe sich die Welt seit den New-Age-Experimenten der 70er Jahre nicht weitergedreht. Nur das Internet als Instrument der Vervielfältigung und Vergrößerung ist neu.
Der Film selbst hat ähnlichen Rumpelkammer-Charme wie die vollgestellte Altbauwohnung. Szenen brechen ab, bevor sie sich entwickeln können. Die Reißschwenks, die unmotivierten Wechsel der Perspektive und die wackelige Kamera machen die Orientierung schwer. So sorglos, wie mit Bildern hantiert wird, fischen die Aktivisten des Nachts ihr Essen aus Mülltonnen. Dass sie mit ihren Dreadlocks, ihren Tattoos, ihren hardbodies und Piercings einander so ähnlich sehen, macht den Überblick nicht leichter. Und in heiklen Augenblicken schaut die Kamera gern weg, etwa dann, wenn zwei offenkundig heterosexuelle Männer miteinander zu schlafen versuchen.
Die eigene Beschränktheit
„Ich habe gar nicht gesehen, wie ihr’s gemacht habt“, moniert eine der Aktivistinnen, als sich die Gruppe hinterher die Aufnahmen auf dem Laptop ansieht. „Willst du’s sehen?“, fragt einer der Männer herausfordernd, dann wird auf eine andere Szene geschnitten. Für heterosexuellen Hochleistungssex reicht die Courage in „Fuck for Forest“, für das schwule Pendant nicht.
Michal Marczak nimmt zu alldem keine eigene Position ein; das Voice-over, in einem sympathischen, markigen Englisch gesprochen, kennt keine Distanz zu den Aktivisten und deren Zielen, ab und zu ist von „wir“ die Rede, als wären Filmemacher und Aktivisten ein Team.
Zugleich gewinnt man in der zweiten Hälfte des Films den Eindruck, dass die Leute von Fuck for Forest antreten, sich selbst in ihrer Beschränktheit vorzuführen. Dann nämlich reisen sie dorthin, wo sie dem Wald helfen möchten, zunächst nach Brasilien, dann den Amazonas flussaufwärts nach Peru. Ihr Pech ist, dass die indigene Gruppe, für die sie ein Stück Land erwerben wollen, damit sie dort ein Naturschutzgebiet einrichtet, mit dem hippiesk-halbnackten Auftreten wenig anzufangen weiß. Bei einer Versammlung fordern die Indígenas Arbeitsplätze und wollen einfach nicht glauben, dass die Europäer ihr Geld verschenken möchten, ohne böse Hintergedanken zu hegen. Und die Aktivisten geben sich wenig Mühe, die Zweifel ihres Gegenübers zu verstehen.
Je beseelter sie von ihrem Vorhaben sind, umso weniger können sie nachvollziehen, dass ihre vagen Zurück-zur-Natur-Träume im peruanischen Urwald deplatziert sind. Von spezifischer indigener Kosmovision haben sie keine Ahnung und von den konkreten Bedürfnissen ihrer Gastgeber – Gesundheitszentren, Arbeitsplätze, Schulen – noch weniger.
Man könnte in diesen Szenen fast so etwas wie einen illusionslosen Blick auf den jugendlichen Idealismus erkennen, der seine eigenen Aporien wahrzunehmen nicht imstande ist. Aber dafür ist „Fuck for Forest“ dann doch zu nachlässig gefilmt und zu ermüdend montiert.
„Fuck for Forest“. Regie: Michal Marczak. Dokumentarfilm. Polen/ Deutschland 2012, 86 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter