Diskussion um die Berliner Mitte: Mitte, Münze, Molkenmarkt
Nach dem Aus für die Ateliers in der Alten Münze war auf einer Veranstaltung der Linkspartei im Podewil aber auch viel Selbstkritik zu hören.
Das Haus gegenüber, erklärte ein Architekt, könne abgerissen werden, sicher sei das jedoch nicht. Neben der Ruine sei eine Schule geplant, für die sich allerdings kein Träger finde, weil diese dann direkt neben einer Hauptverkehrsstraße liege. Die Ruine selbst solle nach der Vorstellung des Bezirks Mitte weiterhin ein Denkmal bleiben. Es gäbe aber auch die Idee, Teile des ehemaligen Franziskanerklosters aus dem 13. Jahrhundert zu rekonstruieren.
Haus abreißen oder nicht, Schule bauen oder nicht, darüber lässt sich ja diskutieren. Aber ein Kloster, von dem nur noch ein bisschen Gemäuer übrig ist, wieder aufbauen, das kann doch niemand wirklich wollen, oder?
Anscheinend schon. Schließlich befindet man sich hier unweit des teilrekonstruierten Berliner Stadtschlosses, von dem nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und der folgenden Sprengung in der DDR sogar noch weniger übrig war als vom einstigen Kloster. Es gibt sie schließlich, die Kräfte in Berlin mit politischem Einfluss, die aus der historischen Mitte der Stadt irgendwo zwischen dem pseudoschmucken Nikolaiviertel und der abgrundtief hässlichen Shopping-Mall Alexa, ein wunderliches Stadtbild erzeugen möchten. Eines, bei dem möglichst so getan werden soll, als könne man die Narben aus dem Zweiten Weltkrieg und aus der Zeit, in der Berlin eine zweigeteilte Stadt war, einfach überschminken.
Kulturkampf zwischen Retro und Zukunft
Darüber, wie dieses Gebiet in Zukunft gestaltet werden soll, ist längst ein Kulturkampf entbrannt. Zwischen den Rückwärtsgewandten, die das Stadtbild wieder „heilen“ wollen, wie sie sagen, und denjenigen, die mit einem derart geschichtsvergessenen Revisionismus nichts am Hut haben.
Eindeutig gegen Rekonstruktionspläne, die den Wiederaufbau von Schlössern und Klöstern vorsehen, ist auch die Linkspartei. Das wurde bei der Begehung der Klosterruine und bei der vorangegangenen Podiumsdiskussion im Kulturort Podewil mehr als deutlich. „Raum für Kultur statt Retro!“, lautete die Forderung bei dem Fachgespräch über die Neugestaltung von Molkenmarkt und Klosterviertel. Für Retro scheint die Linke dabei nicht nur die parteilose und von der SPD ernannte Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt zu halten, sondern gleich die gesamte SPD.
Auf dem Podium, auf dem niemand ohne eine gewisse Nähe zur Linken saß, wurde natürlich über Kai Wegner und seine CDU geschimpft. Dass sich aber die SPD so bereitwillig dessen konservativer Politik unterwirft, wo man doch bis zur Neuwahl Anfang des Jahres ihr Koalitionspartner in einer Regierung gemeinsam mit den Grünen war, das macht die Linken offensichtlich fassungslos.
Dass sich die Partei dabei in einem Zustand irgendwo zwischen Selbstreflexion, Resignation und neuem Kampfeswillen befindet, wurde vor allem bei der Diskussion um die Alte Münze deutlich, die Teil des Molkenmarkts ist und im Mittelpunkt der Veranstaltung im Podewil stand.
Nach den Plänen des ehemaligen linken Kultursenators Klaus Lederer hätte hier ein Ort für die Freie Kunstszene entstehen sollen mit einem Zentrum für Jazz und improvisierte Musik als Aushängeschild. Geradezu handstreichartig wurden die Pläne von der CDU gekippt. Stattdessen soll ein privatwirtschaftliches Unternehmen für mindestens 30 Jahre den Ort in Eigenregie bespielen dürfen.
Lennart Siebert, der Atelierbeauftragte der Stadt Berlin, der sich um bezahlbare Räume für Künstler und Künstlerinnen zu bemühen hat, wies darauf hin, dass aktuell die Ateliers weniger statt mehr werden würden. Die Alte Münze mit ihren vielen Raummöglichkeiten hätte bei diesem Problem wenigstens ansatzweise Abhilfe schaffen sollen.
Sabine Kroner, Sprecherin des Rats für die Künste, beklagte, dass die CDU mit der SPD im Schlepptau mit ihrer überraschenden Planänderung für die Alte Münze das noch von Lederer angestoßene Beteiligungsverfahren und dessen Ergebnisse missachten würden.
Thorsten Wöhlert von der Linkspartei, ehemaliger Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Kultur, der direkt in das Verfahren zur Neugestaltung der Alten Münze involviert war, gab sich dagegen ziemlich zerknirscht und selbstkritisch. Er meinte, dass der Aushandlungsprozess darum, wer nun genau und zu welchen Konditionen in die Alte Münze kommen darf, viel zu lang gedauert habe: „Wenn man das Gefühl bekommt, der Prozess ist wichtiger als das Ergebnis, dann stimmt etwas nicht.“
Tatsächlich wurde 2018 das Beteiligungsverfahren in Gang gesetzt. Als sechs Jahre später immer noch keine belastbaren Ergebnisse vorlagen, setzte die CDU ihre eigene Agenda durch. „Wir hätten viel weiter sein können“, führte Wöhlert seine erstaunlich offene Selbstgeißelung fort und sprach von einem „Suizid mit Ansage“.
Man habe allen gerecht werden wollen, der Freien Szene, den Theaterleuten, den Jazzern und den Clubbetreibern und versucht, einen Ausgleich der Interessen herzustellen. Doch man habe feststellen müssen, dass allein schon das geplante Jazzzentrum im selben Haus mit einem Club wahrscheinlich nicht funktionieren werde. „Faule Kompromisse“ habe man deswegen geschlossen und zu Ergebnissen gefunden, die „mit der Realität nichts mehr zu tun hatten“.
Sogar der Tatsache, dass das Areal gleich für 30 Jahre an ein Unternehmen vergeben werden soll, konnte er etwas Positives abgewinnen. Denn immerhin werde es dadurch drei Dekaden lang als Kulturort gesichert und müsse nicht etwa einem Supermarkt weichen.
Dass Wöhlert hier fast schon wie ein Pressesprecher der CDU klang und teilweise deren Kritik am Verfahren um die Alte Münze übernahm, wollte eine der Moderatorinnen des Panels lieber überhören. Sie rief zu „zivilem Ungehorsam“ auf und warf die Idee in den Raum, die Alte Münze zu besetzen. Wahrscheinlich um zu demonstrieren, dass die Linke den Kampf um Berlins Mitte von der Alten Münze bis hin zur Klosterruine nicht einfach so aufgibt.
Auch wenn sie derzeit kaum noch etwas zu melden hat in der Stadt.
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