Diskussion um „deutsche Staatsräson“: Schutz für Israel problematisch?
Die geplante Ampelkoalition will eine streitbare Formulierung in den Koalitionsvertrag aufnehmen: Ein Framing, das näherer Prüfung nicht standhält.
E in kraftvolles Eintreten für die sichere Existenz Israels ist zweifellos eine gewichtige Verpflichtung deutscher Politik. Doch sie als Teil der deutschen Staatsräson zu bezeichnen, wie es die kommende Ampelkoalition in ihrem Sondierungspapier formuliert, ist ein rein politisches Framing, welches einer näheren Prüfung nicht standhält.
Der moderne Staat besitzt einem Ausspruch des Soziologen Max Weber zufolge das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit. Das ist auch gut so, denn auf diese Weise verhindern wir, Opfer von Bürgerkriegen und marodierender Warlords zu werden. Die Gründe (les „raisons“) für diesen staatlichen Machtanspruch liegen in der Garantie der inneren Sicherheit.
Wegen seiner Ausrichtung auf die bloße Effizienz staatlicher Machtausübung ist der Begriff problematisch. Wenn man ihn trotzdem revitalisiert, muss man wissen, wie weit er trägt und wo seine Grenzen liegen. Seine reine Funktionslogik wird allmählich in langen Verfassungskämpfen durch rechtliche Bindungen überwunden. Aus der monarchischen wird die durch Grundrechte und Rechtsstaat eingehegte Volkssouveränität, und unser heutiges Grundgesetz verpflichtet die deutsche Staatsgewalt über den inneren Frieden hinaus, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Dem kommt sie im Rahmen der UNO und ihrer Charta nach. Das heißt aber, dass die Sicherheit von Israel und Palästina gleichermaßen zur Verpflichtung deutscher Politik gehört.
Wenn man an dem leicht antiquierten Begriff der Staatsräson festhalten will, muss man ihn also gegen sein überholtes Verständnis und seinen Missbrauch als politisches Narrativ schützen. In Deutschland haben Juden und Israelis gegenüber antisemitischen und rassistischen Angriffen einen Anspruch auf wirksamen Schutz durch deutsche Staatsorgane. Diese Staatsräson schützt aber nicht den Staat Israel. Für die Sicherheit von dessen Bevölkerung zu sorgen ist die Räson des israelischen Staates, der das auch so in seiner Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1948 zum Ausdruck gebracht hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus
Getöteter Schwarzer in den USA
New Yorker Wärter schlagen Gefangenen tot
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“