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Diskussion um „deutsche Staatsräson“Schutz für Israel problematisch?

Gastkommentar von Lothar Zechlin

Die geplante Ampelkoalition will eine streitbare Formulierung in den Koalitionsvertrag aufnehmen: Ein Framing, das näherer Prüfung nicht standhält.

Palästinensischer Demonstrant vor israelischen Soldaten in Beita Foto: Raneen Sawafta/reuters

E in kraftvolles Eintreten für die sichere Existenz Israels ist zweifellos eine gewichtige Verpflichtung deutscher Politik. Doch sie als Teil der deutschen Staatsräson zu bezeichnen, wie es die kommende Ampelkoalition in ihrem Sondierungspapier formuliert, ist ein rein politisches Framing, welches einer näheren Prüfung nicht standhält.

Der moderne Staat besitzt einem Ausspruch des Soziologen Max Weber zufolge das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit. Das ist auch gut so, denn auf diese Weise verhindern wir, Opfer von Bürgerkriegen und marodierender Warlords zu werden. Die Gründe (les „raisons“) für diesen staatlichen Machtanspruch liegen in der Garantie der inneren Sicherheit.

Wegen seiner Ausrichtung auf die bloße Effizienz staatlicher Machtausübung ist der Begriff problematisch. Wenn man ihn trotzdem revitalisiert, muss man wissen, wie weit er trägt und wo seine Grenzen liegen. Seine reine Funktionslogik wird allmählich in langen Verfassungskämpfen durch rechtliche Bindungen überwunden. Aus der monarchischen wird die durch Grundrechte und Rechtsstaat eingehegte Volkssouveränität, und unser heutiges Grundgesetz verpflichtet die deutsche Staatsgewalt über den inneren Frieden hinaus, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Dem kommt sie im Rahmen der UNO und ihrer Charta nach. Das heißt aber, dass die Sicherheit von Israel und Palästina gleichermaßen zur Verpflichtung deutscher Politik gehört.

Wenn man an dem leicht antiquierten Begriff der Staatsräson festhalten will, muss man ihn also gegen sein überholtes Verständnis und seinen Missbrauch als politisches Narrativ schützen. In Deutschland haben Juden und Israelis gegenüber antisemitischen und rassistischen Angriffen einen Anspruch auf wirksamen Schutz durch deutsche Staatsorgane. Diese Staatsräson schützt aber nicht den Staat Israel. Für die Sicherheit von dessen Bevölkerung zu sorgen ist die Räson des israelischen Staates, der das auch so in seiner Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1948 zum Ausdruck gebracht hat.

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7 Kommentare

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  • Offenkundig interpretiert Herr Zechlin den Begriff "Staatsräson" anders als er im Fall von Israel von Frau Merkel (vermutlich) gemeint wurde. Dass in Deutschland Juden und Israelis gegenüber antisemitischen und rassistischen Angriffen einen Anspruch auf wirksamen Schutz durch deutsche Staatsorgane haben, ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit und seit Jahrzehnten gelebte Realität, wie man anhand der Bewachung jüdischer und israelischer Einrichtungen sieht. Leider schützt sie nicht immer vor antisemitischen Angriffen - wie man im Fall des Angriffs auf die Synagoge in Halle sehen kann oder anhand der antisemitischen Hass-Emails, die der Zentralrat der Juden gegenwärtig aufgrund des Falls Ofarim erhält.



    Der Begriff Staatsräson ist in der Relation Deutschland-Israel vor dem Hintergrund des Holocaust zu sehen. Eine historisch bedingte Verantwortung. Nach der Shoah sieht sich Deutschland (ob die Deutschen, das sei dahingestellt) verpflichtet, für die Sicherheit Israels zu sorgen. Was widerum vieles bedeuten kann. Und wie Benedikt Bräutigam bereits schreibt: Es geht vor allem um die Existenz Israels, welche viele gerne ungeschehen machen möchten.

  • Was sind denn das für an den Haaren herbeigezogenen Argumente? Selbstverständlich kann Deutschland sich dafür entscheiden sich selber zu einem besonderen Schutz Israels zu verpflichten. Selbstverständlich ist das nicht völkerrechtlich bindend und deshalb hat es auch gar nichts mit den bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands zu tun. Es handelt sich einfach um eine demonstrative Absichtserklärung. Die ist vielleicht politisch problematisch, aber ganz sicher nicht rechtlich. Und natürlich geht es auch vor allem darum, für sich selber eine Pflicht zu formulieren, denn in der Praxis ändert sich natürlich nichts. Und es geht ja auch nicht darum jede Politik jeder israelischer Regierung zu unterstützen, sondern nur die Existenz Israels zu schützen. Das kann man schon machen.

    • Lothar Zechlin , Autor*in des Artikels,
      @Benedikt Bräutigam:

      Das schreibe ich ja in ähnlicher Weise in dem ersten Satz des Artikels. Danach geht es mir um etwas anderes, nämlich die Ahnungslosigkeit bei der Verwendung des Begriffs "Staatsraison".

    • Lothar Zechlin , Autor*in des Artikels,
      @Benedikt Bräutigam:

      Das schreibe ich ja in ähnlicher Weise in dem ersten Satz des Kommentars. Danach geht es mir um die Ahnungslosigkeit bei der Verwendung des Begriffs.

  • In liberal naturrechtlicher Tradition steht Idee Staatsräson versus Idee Rechts, Rechtsstaates, sind Staatsräson und Rechtsstaat unvereinbar, Feuer und Wasser. Gedanke einer Politik der Staatsräson wird von Anleihen Machiavellismus, Optionen auf Rechts-, Vertragsbruch, geheime Kabinettspolitik an Parlamenten vorbei, Kriegslist, Mord in staatlich geheimdienstlichem Auftrag und sonstige dunkle Machenschaften bestimmt und sollte daher nicht nur bei rechtsstaatlich gesinnten Liberalen sondern auch bei unpolitischen Zeitgenossen*nnen in Gesellschaft, Kultur, Medien Abscheu und Schrecken auslösen. Zumal in einer Welt, die voller Optionen auf militärische Interventionen zu menschen-, völkerrechtswidrgem Zweck asymmetrischer Kriege geblieben ist, staatlicher Lizenz u. a. in China, GUS, Israel, Nordkorea, USA, Personen darunter eigene Staatsbürger*nnen unter geltentmachend sog. Feindesrecht nach NS Justiziar Carl Schmitt (1888-1985) ohne gerichtliche Urteile im Ausland durch geheime Operationen unter Missachtung Souveränität anderer Staaten zu liquidieren. Auf Kolloquium in Tübingen 1974 wurde Begriff der Staatsräson von Historikern*nnen, Staatsrechtlern*nnen historisch eindeutig absolutistischen Gesellschaften von Gottes Gnaden bis ins 18. Jahrhundert zugeordnet, die der Epoche entstehend monarchistisch, demokratisch parlamentarisch verfasster National-, Rechtsstaaten vorangingen, die wiederum, wie Geschichte bis heute zeigt, nicht frei von Durchbrüchen, Rückfällen in vorherig parlamentaarisch rechtlose Zustände war über Notverordnungen legitimiert durch Ausrufung von Ausnahmezuständen. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 bei Israel Besuch in Knesset verkündet, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson folgt Bundeskanzler Gerhard Schröders Erklärung in deckungsgleicher Diktion nach Nine Eleven2001 in uneingeschränkter Soidarität zu den USA zu stehen. Das sind unselige Signale die Rechtsunsicherheit statt Sicherheit begründen

    www.jstor.org/stable/43641290

  • Ich denke es wäre gut es bei der alten formulierung zu lassen, nicht weil ich die neue schlecht finde, aber ich sehe die gefahr eines backlashes durch anti israel eingestellte gruppen. Und deren, gibt es leider genügend.

  • Ich fürchte, das Problem liegt noch tiefer: Staatsräson meint ja nicht nur den Anspruch auf ein staatliches Gewaltmonopol; es geht vielmehr um ein mit allen Mitteln durchzusetzendes Eigeninteresse des Staates - genau das kennt aber das GG nicht, in dem dem Staat eben kein mit Menschen vergleichbarer Rechtsstatus zugeschrieben wird. Es gibt vieles, was an den oben geschilderten Überlegungen ärgerlich ist, die Tatsache, dass unsere politische Klasse offensichtlich weder grundlegenden staatstheoretische Konzepte versteht, noch mit den philosophischen Grundlagen unseres GG vertraut ist, finde ich aber ganz unabhängig vom konkreten Anlass beängstigend.