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Diskussion um Historiker MbembeSuche nach Eindeutigkeit

Gastkommentar von Peter Ullrich

In der Debatte um den Antisemitismus-Vorwurf gegen Achille Mbembe dominiert klassisches Lagerdenken. Mehr Ambivalenz wäre angebracht.

Der Schriftsteller Achille Mbembe Foto: Matthias Balk/dpa

D ie Diskussion über möglichen israelbezogenen Antisemitismus und Holocaustrelativierung durch unpassende Vergleiche des Philosophen Achille Mbembe zieht weite Kreise. Nach Attacken auf Mbembe formieren sich nun seine Verteidiger, fordern gar den Rücktritt des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, der die Diskussion ins Rollen gebracht hat.

Die taz hat die Debatte mit mehreren Essays weniger aufgeregt, mit überwiegend sachlichem Ton geführt. Doch obwohl die geäußerten Standpunkte sich vom Debattenniveau zu Mbembe in den sozialen Medien spürbar abheben, dokumentieren auch sie abgeschwächt das gleiche Problem, das seit langem die Positionierungen der Nahost- und Antisemitismusdiskussion prägt.

Was sich in dieser wieder und wieder zeigt, ist eine Logik der dezidierten Parteinahme und eine Suche nach Eindeutigkeit in der analytischen und ethischen Einordnung von Ereignissen oder Personen. Sie führt dazu, dass Mbembe meist entweder diskreditiert oder umfassend in Schutz genommen wird. Nicht zufällig erinnert das an die sonstigen Parteinahmen für Israel oder die Palästinenser*innen, die immer mit stärksten sprachlichen Waffen aufwarten (nicht selten NS-Assoziationen).

Abgesehen von in dieser Debatte mittlerweile zum entschuldigenden Grundton gehörenden floskelhaften Minimal-Distanzierungen wie „Wir teilen nicht alle seine Standpunkte“ oder „Manche von uns stehen so, andere so zu BDS“ lassen sich die meisten Beiträge doch einem der antagonistischen Lager zuordnen.

Peter Ullrich

Jahrgang 1976, ist Ko-Leiter des Forschungsbereichs „Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte“ am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin und Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung. Er ist u.a. Autor von „Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt“ (Göttingen, Wallstein 2013) und „Antisemitismus als Problem und Symbol“ (zus. mit Michael Kohlstruck, Berlin 2015) und schrieb jüngst für die Rosa-Luxemburg-Stiftung und medico international ein viel diskutiertes Gutachten über die Arbeitsdefinition Antisemitismus der IHRA.

Dies verrät uns einiges über die Besonderheiten dieses Diskursfelds. In Politik und der Zivilgesellschaft wie in der Wissenschaft gibt es kaum einen fruchtbaren, erkenntnisfördernden Wettstreit über verschiedenen Sichtweisen auf die vertrackte Sache, eher Markierungen von Gegner*innen und Bundesgenoss*innen. Alle handeln im diskursiven Grabenkrieg, als gelte es, keinen Meter Land zu verlieren und für jeden Meter Landgewinn alle Waffen aufzufahren.

Unsicherheit, (korrigierbare) Fehler, Mehrdeutigkeit – dafür ist kein Platz an der Frontlinie. Welcher Mensch, welcheR Denker*in sollte dem dieser Diskussion offenbar zugrundeliegenden Reinheitsideal genügen können? Ist es denkbar, dass Mbembe ein wichtiger Theoretiker ist und trotzdem Dinge in seinem Denken zu kritisieren sind – ohne ihn deswegen gleich zu desavourieren?

Radikale Parteinahme

Diese tendenziell umfassende Parteinahme und Eindeutigkeit in den gesprochen Urteilen – ich habe sie in meinen Forschungen über die politische Linke „radikale Identifikation“ genannt – erstaunt. Denn kaum ein Konflikt ist aufgrund seiner Dauer, seiner internationalen wie regionalen Bedeutung, seiner real- und erinnerungspolitischen, religiösen, wirtschaftlichen und menschenrechtlichen Bezüge so komplex und verworren wie der israelisch-palästinensische. Eine einfache Parteinahme für eine der Seiten, wenn sie als „Israel“ vs. „die Palästinenser*innen“ gedacht werden, oder in ihrer Verdopplung als weltweite Solidaritätslager, verbietet sich geradezu. Warum?

Dazu haben viele Beteiligte durchaus Gehaltvolles beigetragen. Ja, Mbembe bedient sich in seinen Kritiken an Israel einer teilweise hoch problematischen Sprache, die Anklänge an Muster hat, deren sich auch antisemitische Texte bedienen. Er greift zu stärksten sprachlichen Bildern, um seine Abscheu gegenüber der Besatzungspolitik Israels auszudrücken.

Saba-Nur Cheema und Meron Mendel weisen zu Recht auch darauf hin, dass Teile der Postcolonial Studies hier womöglich zu wenig sensibel und theoretisch versiert sind. Aber die Kritik trifft vielleicht mehr die Aneignung dieses Diskurses in politischen Alltagspraxen von Teilen der Critical-Whiteness-Szene mit ihren umgekehrten Essenzialisierungen als die Breite dieses Faches.

Vor allem gilt umgekehrt das Gleiche, worauf schon vor vielen Jahren der britische Soziologe Robert Fine hingewiesen hat: Die Forschung zu Rassismus und Antisemitismus findet noch überwiegend voneinander isoliert statt. Statt sich gegenseitig zu bereichern, verdoppelt die Wissenschaft die Opferkonkurrenz, die derzeit vor allem zwischen Betroffenen von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus immer wieder aufscheint.

Der Sprechort als Faktor

Die Verteidiger*innen Mbembes konzentrieren sich auf dessen unbestrittene Leistungen für die Postcolonial Studies und die Rassismusforschung und kontextualisieren sein Denken. Sie rücken die gröbsten Unrichtigkeiten der Angriffe gerade, beispielsweise Cheemas und Mendels Vorwurf, Mbembe richte sich gegen „die schiere Existenz des Judenstaats“ – auch gegen dessen explizite und völlig gegenteilige Stellungnahme in der Zeit.

Zugleich verweist die Verteidigung auf den Sprechort Mbembes, der in Südafrika lehrt, und damit auf vergleichbare Sprechorte anderer Theoretiker*innen des Postkolonialismus. Israel und der Apartheidstaat hatten enge Beziehungen, die auch durch rassistische und militaristische Aspekte geprägt sind. Dieser Kontext ist bedeutsam. Mbembes kritisierte Vergleiche mögen überzeugen oder auch nicht. Der Apartheid-Vorwurf beispielsweise ist unhaltbar im Hinblick auf die Lage der israelischen Araber*innen.

Anders sieht schon die Situation in den besetzten Gebieten aus. Ganz sicher trägt sein eher en passant erfolgender Vergleich zwischen der südafrikanischen Apartheid und dem nationalsozialistischen Judenmord nicht. Doch diese Bemerkung im Einklang bestenfalls mit der völlig vagen und widersprüchlichen, aber derzeit trotzdem hoch populären Antisemitismusdefinition der International Holocaust Rememberance Alliance als Beleg für Antisemitismus und Holocaustrelativierung zu werten, ist gewagt.

Aber es bleibt eine Leerstelle, die aus der Entkopplung dieser Diskurse folgt. Zu den aus antisemitismuskritischer Sicht nichtsdestotrotz bleibenden Problemen schweigen Mbembes Verteidiger jedoch oder tun sie als unseriös ab. Dies gilt für den Solidaritätsaufruf von Wissenschaftler*innen und noch mehr für Dominic Johnsons Kommentar zum Werkhintergrund des Philosophen.

So verständlich die Position der geschlossenen Reihen ist, wenn man sich die Grabenkriegssituation der Debatte und die zunehmende Verrechtlichung und Versicherheitlichung der ganzen Diskussion durch die Implementierung der IHRA-Antisemitismusdefinition und die verschiedenen Anti-BDS-Beschlüsse vor Augen hält, so wenig kann man sich damit abfinden.

Widerspruch und Dilemma

Denn der eigentliche Gegenstand des Streits, nicht Mbembe, sondern der Nahostkonflikt und seine Deutung, ist viel zu ambivalent, um einfache Positionierungen zuzulassen. Cheema und Mendel finden es beispielsweise inakzeptabel, wenn mit Nachdruck (sicher oft zu viel Nachdruck) auf die kolonialen Aspekte Israels hingewiesen wird. In ihrer Antwort versuchen Amos Goldberg und Alon Confino wiederum genau diesen Aspekt des Zionismus zu betonen, der in der deutschen, geschichtspolitisch überdeterminierten Wahrnehmung Israels als Folge des Holocaust nicht im Zentrum steht. Dieser Widerspruch verdeutlicht das ganze Dilemma in a nutshell.

Denn beides stimmt mehr oder weniger. Israel ist ebenso Konsequenz antisemitischer Verfolgung, also Zufluchtsort und mittlerweile schlicht Heimat, wie der Zionismus Aspekte eines Siedlerkolonialismus hatte und noch hat. Aus progressiver Sicht folgt daraus Empathie und Kritik. Die Suche nach Eindeutigkeit lässt oft nur eines davon zu. Ähnlich ließe sich übrigens für die „andere Seite“ argumentieren.

Palästinenser*innen kämpfen zu Recht gegen Besatzung und sind doch teilweise anfällig für Antisemitismus, verantwortlich für Terror gegen Israelis – sicher ebenso aus Verzweiflung wie aus Verblendung. Doch so betrachtet werden Abwägungen zu den Konfliktparteien und ihren Unterstützer*innen graduell, lassen sich Urteile nur in der Widersprüchlichkeit ihres Gegenstand bilden. Doch in der Debatte dominiert „Antisemitismus“, „Ausladen“ und „Rücktritt“ – oder Verteidigung. Mehr dazwischen und quer dazu erlaubt dieser Diskurs offensichtlich noch immer nicht.

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13 Kommentare

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  • Sind Juden Weiße oder POC? Strukturell versteht sich.

    Die gesamte Postkolonial Ideologie baut darauf auf. Wenn ich mich so umhöre ist diese Frage noch nicht geklärt.



    Das Ergebnis dieser Debatte wird den Umgang mit Israel prägen.

  • In der Tat, Israel mit Südafrika zu vergleichen ist völlig daneben ,



    käme auch einer Verharmlosung gleich.



    Eine militaristische Besatzung und dem folgenden Besatzungsrecht, setzt alle Bewohner unmittelbarer Willkür der Okkupanten aus.



    In Südafrika gab es ein einheitliches Rechtssystem und keine Okkupation, der einen Teil der Bewohnerinnen außerhalb des Rechtssystem stellte.

    • @f.m. renke:

      Wie bitte? In Apartheid-Südafrika war ein Teil (die Mehrheit der Bevölkerung) nicht nur völlig entrechtet in ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht, sondern wurde nicht mal als Staatsbürger akzeptiert. Die Durchsetzung dieses Systems mit militärischen und polizeilichen Mitteln wurde durchaus als Okkupation empfunden.



      Also DAS ist wirklich ein unwürdiger Vergleich.

  • 9G
    90564 (Profil gelöscht)

    nein, herr ulrich irrt



    "wenn mit Nachdruck (sicher oft zu viel Nachdruck) auf die kolonialen Aspekte Israels hingewiesen wird"



    es geht darum, dass israel darauf REDUZIERT wird, ein "siedlerstaat" zu sein, weil ua die "orientalischen jüd!nnen" einfach weggedacht werden, zweitens geht es darum, dass mit falschbehauptungen operiert wird, beispielhaft bei goldberg&confino die behauptung



    "Jede Kritik an der israelischen Besatzungspolitik gilt als antisemitisch.", es gibt bundestagsbeschlüsse, die die israelische regierungspolitik kritiseren, drittens die wirklich absolut unhaltbare these, nocheinmal goldberg&confino, dass es die aufgabe der juden wär, sowohl gegen antisemitismus, als auch gegen die israelische regierung zu arbeiten



    "In dieser Lage haben Juden eine doppelte Verantwortung: Sie müssen den Antisemitismus weltweit bekämpfen – und sie tragen in Israel die Verantwortung für das falsche Verhalten gegenüber den Palästinensern."



    und auf den INHALT dieser kritik, wird einfach nicht eingeganen, stattdessen jammert herr mbembe, dass er sich verletzt fühlen würde und versucht, seinen "ethnischen hintergrund" in ein inhaltliches argument zu verwandeln.



    aber herr ulrich hat sich ja leider in seiner ablehnung der IHRA-definition auch schon klar positioniert, und auch da wird mit falschbehauptungen operiert, anstrengend

  • schade. in diesem debattenbeitrag läufts mal wieder darauf hinaus, dass es eben doch antisemitismus sei, der in der praxis die palästinenser zum widerstand gegen die besatzung treibe. weshalb der dann terror genannt wird, wenn ein bewaffneter, und ein besonders schlimmer antisemitismus, wenn er es mit BDS versucht.



    kann sein, dass der autor es anders/besser meinte, aber - so wirds in den bisherigen kommentaren aufgenommen+gespiegelt.

  • Grundsätzlich kann ich diesen Kommentar unterschreiben. Eine Sache aber: welche Besatzung? Das Narrativ von Israel als Besatzer sollte mal einer gründlichen Überarbeitung unterzogen werden.

    • @siri nihil:

      Sie meinen, die besatzung im golan, in jerusalem+westbank und in gaza durch blockade diene im grunde+recht eigentlich der befreiung der palästinenserinnen?

    • @siri nihil:

      Warum? Es ist eine Tatsache.



      Ich kann nicht einfach hergehen und auf dem Land auf dem andere Menschen leben meinen Staat gründen. Full Stop. Und nein es macht keinen Unterschied ob es irgendwo ähnlich gemacht wurde und ja es gibt einen Unterschied zu einer Grenzverschiebung.



      Es gibt keinen Grund diese Kritik aufzugeben, erst recht nicht wenn das Ziel derjenigen die es fordern vor allem die Legitimation des eigenen Unrechtes ist.

      Besonders wenn die Motivation dahinter Imperialismus und Geldgier auf lange Sicht sind ist das dramatisch. Die mächtigsten Staaten der Welt haben die Grenzen auf fremden Grund nicht nach Belieben zu ziehen sondern sich raus zu halten.



      Die Wahrheit ist niemand der sich in oberen Etagen stark macht für Israel interessiert sich für Juden sondern man interessiert sich für geopolitische Vorteile. Allen Rechtfertigungsideologien zum Trotz. Genauso wenig wird Deutschland am Hindukusch verteidigt.

      Ansonsten muss man sagen das Lagerdenken manchmal auch notwendig ist.



      Bei Rassismus und Landraub ist nicht die "gesunde Mitte" die richtige Lösung sondern Ablehnung. Und es tut auch niemand etwas Gutes vor dem Hintergund der Geschichte wenn er Derartiges verteidigt. Es ist auch keine Form von konstruktiver Vergangenheitsbewältigung sondern der Versuch die Hände rein zu waschen und das Ausnutzen dieses Versuches für Geopolitik auf der anderen Seite. Besser wäre die Verteidigung jüdischen Lebens mit Händen und Füßen, egal wo.

  • Lager-Kommentar plus Claqueur..

  • Nein Herr Ullrich, es dominiert kein Lagerdenken. Bei uns dominiert das über Jahrhunderte gewachsene, auch nach dem Holocaust unerschütterliche kognitive Modell der Deutschen über die Juden. Dass man die Juden, die Überlebenden und deren Nachkommen nach den Konzentrationslagern auch noch nach Middle East verfolgen muss und ohne jede Urteilsschüchternheit wie selbstverständlich den Überlebenden und deren Nachkommen über die halbe Welt "B-e-s-a-t-z-u-n-g" hinterherruft. Begriffe wie Besatzung, Landnahme etc. fügen sich wie eh und je als Teil des kognitiven Modells in unser Denken über die Juden ein. In dieser Umschuldungsaktion ist eines klar, je mehr man den Juden über 3000 km weit weg in ihrer Zuflucht vorwerfen kann, desto geringer wiegt die eigene Schuld. Anstatt das Elend der Palästinenser zu verringern, indem man gemäßigte Kräfte unterstützt, fördert man, etwa mit horrenden EU- Geldern deren unversöhnliche Eliten. Anstatt den Palästinensern die Versöhnung mit den Juden und ihrem Staat nahezulegen, hetzen unzählige deutsche NGO's die Palästinenser auf, wo sie nur können. Tuvia Tenenbom hatte es so eindrucksvoll beschrieben. Den Mythos einer geläuterten Generation schwenken wir wie Fahnen vor uns her. Der kleine Ausschnitt eines ehrlichen Versuchs einer Aufarbeitung, die sog. Auschwitzprozesse sind im Getöse des 68er- Lärms untergegangen.

    • 2G
      2422 (Profil gelöscht)
      @Günter:

      Können Sie das genauer erläutern, was Sie mit dem "Getöse des 68-er Lärms" meinen. Meinten Sie vielleicht den "Lärm des 68-er Getöses".. Oder wollen Sie vielleicht übertösen, dass es in der bundesdeutschen Justiz nur wenige Juristen wie Fritz Bauer gab, die an einer ehrlichen Auseinander-setzung mit der Nazizeit interessiert waren

    • @Günter:

      Sie haben Recht. Leider.

  • Top-Kommentar.