Diskussion um CO2-Endlager: Bremsen oder Gas geben

Manche Umweltschützer halten die CO2-Speicherung für gefährlich, andere sehen sie als Notbremse gegen die Klimakatastrophe. Die Kohleindustrie hofft jedenfalls.

BUND und Greenpeace schlagen Alarm, doch in der Bevölkerung rührt sich bislang wenig Widerstand gegen das CCS. Bild: dapd

Rundherum grüne Wiese und Landstraße, am Horizont ein Windrad. Zwei große weiße Tanks, eine Gewirr aus silbernen Rohren und Pipelines, die auch im Sommer mit Eis verkrustet sind. Ein Container, eine Baracke und ein Bohrkopf. Mehr sieht man nicht von einem Experiment, das die Welt retten soll. Oder den nächsten Öko-GAU vorbereitet. Je nach Standpunkt.

Ketzin, ein Nest 30 Kilometer westlich von Berlin, ist weltberühmt. Oder besser: Berühmt ist sein Untergrund. Denn was hier das Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) mit seinem Projekt CO2SINK seit drei Jahren mit deutscher Sorgfalt und Ingenieurskunst weltweit zum ersten Mal untersucht - Carbon Capture and Storage (CCS), das Abtrennen und Speichern von CO2 unter der Erde -, kann die deutsche und internationale Klimapolitik revolutionieren: Ist es möglich, das Klimagas Kohlendioxid unter der Erde sicher zu lagern und so den Klimawandel zu beherrschen?

Oder schafft man damit neue Risiken? Noch befindet sich kaum CO2 unter der Erde, doch die Stimmung in Deutschland kocht bereits hoch: Ganze Regionen sind in Aufruhr, Wissenschaftler bringen sich in Stellung, Energiekonzerne feiern das Verfahren. Und die Umweltschützer sind gespalten: Ist CCS Teufelszeug oder Notbremse?

Das sogenannte CCS-Gesetz setzt eine EU-Richtlinie um und ist bereits seit Juni 2011 in Verzug. Es schafft einen Rahmen, wie in Deutschland mit der Lagerung von CO2 experimentiert werden darf. Verbunden mit einer Ökoüberwachung (Wie dicht ist das Lager? Versauert das Grundwasser?), können Projekte zugelassen werden, die jeweils bis zu 3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr speichern. Das Gesetz soll bis 2017 gelten, dann wird Bilanz gezogen, ob CCS wirklich industriell eingesetzt werden soll.

Wegen des Widerstands in der Bevölkerung ermöglicht das neue Gesetz den Ländern ein CCS-Verbot auf ihrem Territorium. Niedersachsen und Schleswig-Holstein wollen davon Gebrauch machen. Brandenburg will eigentlich CCS, wehrt sich aber gegen eine Rolle als alleiniges "CO2-Klo der Nation". Die Bundesregierung hat sich vorbehalten, im Meeresboden vor der Küste CCS-Projekte zu genehmigen. (bpo)

CCS ist das Eingeständnis, dass die bisherige Klimapolitik gescheitert ist: Mit herkömmlichen Mitteln sind die Treibhausgasemissionen nicht schnell genug zu begrenzen, um einen gefährlichen Klimawandel jenseits von zwei Grad zu vermeiden. Das Tückische am Klimaproblem: die Gefahr für die Atmosphäre weder zu sehen noch zu hören oder zu riechen. Aber auch die potenzielle Gefahr durch das Kohlendioxid in 650 Meter Tiefe bleibt abstrakt, oberirdisch ist in Ketzin wenig zu sehen. Und trotzdem muss der Bundesrat morgen entscheiden: Soll CCS in Deutschland im industriellen Maßstab ausprobiert werden?

Ja, meint die Bundesregierung. Sie hat im zweiten Anlauf ein Gesetz beschlossen, das der Technik den Weg ebnen soll. Nein, sagt eine lautstarke Front von Umweltverbänden und lokalen Bürgerinitiativen. "CCS ist nur ein grünes Mäntelchen für den Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke", kritisiert Tina Löffelsend, die für den BUND die Anti-CCS-Politik koordiniert. Das Versprechen von "clean coal" verhindere den Ausstieg aus dem Klimakiller Kohle.

"Für Klimaschutz zu spät"

Für die Gegner ist die Technik der Tanz auf dem Treibhausvulkan: Ihre Gutachten bezweifeln, dass die Endlager über tausende von Jahren sicher sind; sie prangern die hohen Kosten an, die besser in neue Energien fließen sollten; sie sagen, CCS käme für den Klimaschutz eh zu spät; sie monieren, dass die Abscheidung des Gases zusätzliche Energie kostet und CCS-Kraftwerke deswegen bis zu 30 Prozent mehr CO2 ausstoßen.

Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie warnt, dass ein schneller Ausbau von erneuerbarer Energie die Preise für CCS in den Himmel treibe; die Experten vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fragen, ob CCS nicht eine "Energiebrücke ins Nichts" sei, und der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen moniert, die "Anwendung von CCS im großen Maßstab kann derzeit nicht befriedigend geregelt werden".

Genügend Gründe für Protest also. Und so stehen etwa 100 Öko-Aktivisten am Samstag vor der Berlin-Wahl mit ihren großen Transparenten und Slogans wie "Kohle nur noch zum Grillen!" und "Kohlestrom hat keine Zukunft - Endlager stoppen!" vor dem Roten Rathaus in Berlin. Ihre T-Shirts und Plakate leuchten in der Antiatomkraftfarbe Grellgelb, und das ist kein Zufall. Denn BUND und Greenpeace haben mit Bürgerinitiativen aus potenziell betroffenen Gebieten eine Kampagne wie gegen Atomkraft oder Gentech gestartet. Lieblingsgegner: Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, der mit Vampirzähnen und Teufelshörnern als "Brunnenvergifter" dargestellt wird.

Denn Brandenburg wäre gern CCS-Vorreiter. Dicke weiße Wolken hängen über den neun riesigen Kühltürmen des Kraftwerks Jänschwalde, zwischen Spreewald und polnischer Grenze. Gleich nebenan baggert der schwedische Energiekonzern Vattenfall die extrem klimaschädliche Braunkohle aus dem Lausitzer Boden, weite Teile der Gegend sind entweder Mondlandschaft oder bereits große Teichanlagen.

Vattenfall investiert

Jänschwalde ist mit 3.000 Megawatt eines der größten Kohlekraftwerke der Welt und stößt so viel CO2 aus wie ganz Kroatien. CO2 sei in der Atmosphäre "ein größeres Risiko als seine unterirdische Speicherung", sagt die Kohlelobby. Und deshalb will Vattenfall bis 2016 auch in Jänschwalde zeigen, dass CCS die Lösung ist: Ein großes Demonstrationskraftwerk soll das Gas abscheiden und über eine Pipeline zum Verpressen schicken.

Über eine Milliarde Euro wolle Vattenfall investieren, sagt Sprecherin Katharina Bloemer, "damit wir 2021 die Technik zur Verfügung stellen können". Sie kritisiert, das aktuelle Gesetz biete "keine langfristige Planungssicherheit über 2016 hinaus", es sei schärfer als die EU-Verordnung.

Vattenfall und Brandenburg sitzen in der Klemme. Denn ohne eine Lösung für das CO2-Problem hat die ostdeutsche Braunkohle auf dem EU-Energiemarkt keine Zukunft. Und Vattenfall Deutschland liefert einen Großteil der Gewinne des schwedischen Staatskonzerns. Da nimmt man schon mal eine Milliarde in die Hand, ohne zu wissen, ob sich das nach fünf Jahren noch rechnet. Ohnehin ist niemandem klar, ob CCS irgendwann wenigstens ökonomisch vernünftig ist: Bisher kalkulieren Experten wie der UN-Weltklimarat IPCC damit, dass eine verpresste Tonne CO2 etwa 50 Euro kosten wird.

Für ein Viertel dieses Preises bekommt man derzeit eine Tonne im EU-Emissionshandel. Vattenfall hofft auf einen massiven Preisanstieg: "Wir rechnen damit, dass CCS etwa ab 2020 unter den Preisen für die CO2-Zertifikate liegen wird", sagt Bloemer. Die Kosten würden sinken, weil überall auf der Welt an CCS geforscht werde. Allerdings gibt es bisher nirgendwo auf der Welt ein Kohlekraftwerk, das sicher, ökonomisch und ökologisch vernünftig CCS betreibt. In Norwegen, Algerien und Kanada wird teilweise seit Jahren CO2 verpresst, aber unter anderen Rahmenbedingungen.

Wenig Ablehnung

Nicht erprobt, zu spät, teuer, potenziell gefährlich: Eigentlich gibt es genügend Gründe, um CCS lebendig zu begraben. Aber die Ablehnung ist längst nicht so groß, wie es BUND, Greenpeace und die Bürgerinitiativen glauben machen. Vor allem die Klimaschutzgemeinde hofft auf CCS als Notbremse gegen den Klimawandel.

Zur Sicherheitsfrage hat etwa das IPCC angemerkt, "gut ausgewählte, gebaute und gewartete" Lagerstätten könnten das CO2 für "Millionen von Jahren" einschließen. Andere Klimaschützer sehen einen Bedarf für die "Prozessemissionen" der Industrie: Das sind Treibhausgase, die bei der Herstellung von Zement oder Aluminium als chemische Abfallprodukte anfallen.

"Das sind etwa 10 Prozent der deutschen Emissionen", sagt Manfred Treber, CCS-Experte der Umweltorganisation Germanwatch. Die Speicherung brauche man auch für die Idee von Biomassekraftwerken mit "negativer CO2-Bilanz", die klimaneutralen Brennstoff einsetzen und per CCS anderes CO2 der Atmosphäre entziehen. "Die Pilotprojekte müssen gebaut werden", sagt auch Martin Jännicke, der als emeritierter Professor für Umweltpolitik nun die chinesische Regierung berät. Der deutsche Kohleausstieg sei wichtig, "aber andere Länder wie China werden nicht von ihrer Kohle abrücken. Die vertrauen darauf, dass auch mit unserer Hilfe CCS ab 2020 bezahlbar wird."

Der Grat ist schmal, auf dem Klimaschützer gleichzeitig gegen die Kohle und für eine Erforschung der CCS-Technik sind. Wie plädiert man für ernsthafte Forschung, ohne sich zum nützlichen Idioten der Kohleindustrie zu machen? Einerseits seien die Anlagen bisher oft nur "Powerpoint-Präsentationen mit dem Businessplan, Steuergelder einzuwerben", heißt es aus dem Umweltbundesamt. Andererseits "können wir diese Fragen nicht auf dem Papier lösen".

Ein schmaler Grat

Die erhofften CCS-Biomassekraftwerke gibt es bisher nicht einmal als Planung. Und die Industrie versuche gar nicht, ihre Prozessemissionen zu reduzieren, meint auch der traditionell wirtschaftsfreundliche WWF: "Es gibt in Deutschland kein einziges Pilotvorhaben", sagt WWF-Klimaexpertin Regine Günther, "nicht mal die Ankündigung davon."

Wer nichts sehen, hören oder fühlen kann, der muss vertrauen. Zum Beispiel jemandem wie Axel Liebscher vom GFZ in Ketzin. Er steht vor seiner Anlage und erklärt: "Wir können das CO2 in der Tiefe sehr gut orten und sehen, wie es sich bewegt." In einer Blase von 250 mal 400 Metern breitet es sich planmäßig in einer 10 bis 20 Meter dicken Sandsteinformation aus, abgeschlossen von einer Tondecke.

Liebscher trägt kariertes Hemd, Sicherheitsschuhe und einen weißen Sicherheitshelm. Er macht seine drei Botschaften klar: Erstens: Wir haben hier alles im Griff. Zweitens: Für verlässliche Daten brauchen wir eine Versuchsanlage, die zehnmal so groß ist wie Ketzin. Drittens: Ihr könnt uns vertrauen.

In Ketzin selbst hat das schon gefruchtet. Anders als in vielen anderen Orten Brandenburgs gibt es keinen organisierten Widerstand. Dabei hätten gerade hier die Menschen allen Grund zum Misstrauen. Denn unter ihren Füßen lag zu DDR-Zeiten ein riesiger Erdgasspeicher. Der wurde undicht, das Gas kroch an die Oberfläche und war nicht zu stoppen. 1966 wurde das Dorf Knoblauch umgesiedelt. Daran erinnert heute nur noch die Knoblaucher Chaussee. Sie führt zur Bohrstelle des GFZ.

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