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Diskussion mit Linken-Chefin KippingDas Unmögliche probieren

Kommt nach Thüringen nun auch Rot-Rot-Grün im Bund? SPD-Generalsekretär Klingbeil erklärte am Mittwoch in der taz-Kantine seine Bereitschaft.

Klingbeil und Kipping am Mittwoch in der taz-Kantine Foto: Annette Riedl/dpa

Berlin taz | „Nur links der Union können wir sicher sein, dass es nicht zu einer Kumpanei mit der AfD kommt“, sagte Katja Kipping wenige Stunden nach der Wahl von Bodo Ramelow zum Thüringer Ministerpräsidenten durch die Stimmen von Rot-Rot-Grün. Gemeinsam mit dem SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und dem Publizisten Robert Misik diskutierte die Linken-Parteivorsitzende am Mittwochabend in der taz-Kantine über die Möglichkeit eines solchen Mitte-Links-Bündnisses auf Bundesebene.

Anlass für den Austausch war die Veröffentlichung von Kippings Buch „Neue linke Mehrheiten – eine Einladung“. Darin plädiert die Linken-Vorsitzende für einen progressiven Politikwechsel, um die drohenden Krisen durch Klimawandel, soziale Spaltung, Rechtsruck und Militarisierung abzuwenden. Sie ruft Linke, Sozialdemokrat*innen, Ökolog*innen und Sozialliberale dazu auf, gemeinsam eine „sozial-ökonomischen Wende“ voranzutreiben.

Und die SPD? „Die Einladung nehme ich gerne an“, sagte Klingbeil zu Beginn der Diskussion. Die wahrscheinlich überraschendste Botschaft des Abends: „Die Bereitschaft in der SPD für ein solches Bündnis war noch nie so groß“, sagte das Mitglied des konservativen Seeheimer-Kreises mit Blick auf eine rot-rot-grüne Koalition, von der trotz der Umfragewerte der Grünen an diesem Abend stets in dieser Reihenfolge die Rede war.

Dass ein Mitte-Links-Bündnis „kein Spaziergang“ wird, wie Kipping feststellte, wurde im Laufe des Abends trotzdem deutlich: Insbesondere in Fragen der Außenpolitik zeigten sich die tiefen Gräben zwischen SPD und Linkspartei. Klingbeil sprach in diesem Zusammenhang von „großen Hürden“ und betonte das Bekenntnis der SPD zur NATO. Kipping hingegen forderte einen „Neuanlauf in der internationalen Politik“. Die roten Haltelinien ihrer Partei seien klar: Sozialabbau, Privatisierung, Militarisierung und Kriege – das alles werde es mit der Linken nicht geben.

Ostpolitik wäre leichter

Doch auch hier waren von Klingbeil überraschende Töne zu hören: Das ehemalige Mitglied mehrerer Rüstungslobbyvereine forderte internationale Abrüstungsinitiativen sowie eine „neue Ostpolitik“ und ein besseres Verhältnis zu Russland. Mit linken Mehrheiten wären solche Vorhaben leichter umzusetzen, stellte Klingbeil klar.

Auch wenn sich die beiden einige Spitzen nicht verkneifen konnten, verlief das Gespräch überwiegend harmonisch und konfliktfrei. Man müsse das Gemeinsame und nicht das Trennende in den Vordergrund stellen, betonte Katja Kipping. Auch der Publizist Robert Misik lobte Kippings Buch als „unglaublich pragmatisch“ und „erfrischend“. Die Rechten bekämpfe man am besten mit Hoffnung, sagte Misik.

Wie kann ein linker Politikwechsel nun gelingen? Beide PolitikerInnen waren sich einig, dass die drei Parteien zunächst intern klären müssen, ob sie zu einem solchen Bündnis bereit sind. Von rot-rot-grünen Träumen „reden wir noch lange nicht“, holte Klingbeil die Hoffnung so mancher Anwesenden auf den Boden der Tatsachen zurück. Insbesondere die Grünen, die sich derzeit vor allem mit der Kanzlerfrage beschäftigten, seien hier in der Pflicht.

Der Druck der Straße

Eine Frage, die an diesem Abend nur am Rande diskutiert wurde: Wie kann – selbst wenn sich die drei Parteien auf eine Koalition einigen könnten – eine wirklich emanzipatorische Politik gegen den zu erwartenden heftigen Gegenwind aus Wirtschaft, Medien und Politik umgesetzt werden?

Kipping setzt hierbei auf die Mobilisierung auf der Straße und gesellschaftliche Mehrheiten. Der Berliner Mietendeckel zeige, dass durch massiven gesellschaftlichen Druck alle drei Parteien über sich hinaus gewachsen seien und eine wirklich fortschrittliche Politik umgesetzt hätten.

Soziale Gerechtigkeit, Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz und Friedenspolitik – für Kipping ist eine rot-rot-grüne Reformagenda verheißungsvoll: „Macht das nicht Lust, dass man das Unmögliche probiert?“ Zumindest SPD-Generalsekretär Klingbeil zeigte sich dafür offen. Ob ein Politikwechsel letztendlich erfolgreich sein kann, wird wohl davon abhängen, ob auch die Grünen Lust auf ein solches Projekt haben.

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9 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Rot-rot-grün real: kein Thema im Bund.

  • Mir erschließt sich immer noch nicht, was die Linke tatsächlich will, wenn man mal deren radikale Schrapnells außen vor läßt. Vor allem Kipping fällt doch eher durch nebulös klingende Allgemeinplätze und im Milieu wohlgelittene Worthülsen auf, die da lauten: "Umverteilung des Reichtums von oben nach unten", "Förderung solidarischer Wirtschaftsmodelle" usw.



    Natürlich kann man versuchen, "Reichtum" (wo beginnt der?) "nach unten" (wer gehört zu unten?) zu verteilen, wenn man die Mehrheiten dafür findet und wenn man "den Abgehängten" immer wieder erzählt, dass es Leute gibt, denen es tausendmal besser geht. Mehr (empfundene) Gleichheit bzw. Gerechtigkeit kann man herstellen, indem man mal ernsthaft der Frage nachgeht, warum bestimmte Arbeitsverhältnisse als prekär einzustufen sind und andere vllt. als überbezahlt gelten müssten - und sollte sich dann um die politische Beseitigung der Ursachen bemühen. Da gerät man dann sehr schnell mit Tarifautonomie, starken Interessenverbänden und der Geiz-ist-Geil-Mentalität vieler Mitmenschen in Konflikt. Von der Frage nach dem Sinn leistungsorientierter Entlohnung im Zeitalter der Digitalisierung mal abgesehen. Auch dazu findet man bei den Linken nichts, was auf richtungsweisende Ideen und kluge Durchdringung der Materie weisen würde.



    Die deutsche Linke in ihrer heute anzutreffenden Aufstellung wird ebenfalls nicht in der Lage sein, das weltweit operierende Finanzwesen grundlegend zu verändern. Deshalb wird es auch unter einer linken Beteiligung an der Macht weiter "unanständigen" Reichtum geben. So what, wenn am Ende die allermeisten Menschen von sich behaupten können, sicher, frei und auskömmlich zu leben.

  • Solange die Linke nicht die NATO als Staatsraison akzeptiert und Interventionskriegen zustimmt, und solange sie nichtmit acht beim Ausvermauf der Demokratie durch Freihandelsabkommen, solange gibt es kein RRG im Bund.



    Da sind die Transatlantiker in Grüne und SPD davor.

    Ich wage zu behaupten, dass eher als RRG Schwarz-Gelb-Blau kommt.

    • @J_CGN:

      Seit wann ist „Transatlantik“ eigentlich ein Wort für etwas Schlimmes?

      Wer die NATO abschaffen will und sie allen Ernstes für aggressiver als Putins Russland hält, hat tatsächlich nichts in einer Regierung verloren. Die ist nämlich kein Projekt, um blinden Hass auf den Westen und vermeintliche ideologische Reinheit in die Praxis umzusetzen.

  • Sobald die Linke auf Bundesebene in Verantwortung kommt und mit Grün und SPD gegen Dogmen so einiger Grudsatzlinker in Konflikt gerät wird es die Partei zerreißen bzw. wird das Bündnis instabil. Einfacher wäre es den Kontra-Oskar zu machen und die Pragmatiker pimpmen die SPD durch einen Parteieintritt.

  • Das Hindernis für RRG im Bund sind sicher nicht Leute wie Kipping und Ramelow, sondern wohl eher die fanatischen SPD-Hasser wie Wagenknecht und westdeutsche Fanatiker vom Schlage Dehm, Jelpke, Haensel usw. Wie soll man mit einer Fraktion koalieren, in der acht bis zehn Leute völlig unkontrolliert, aber umso mehr von der eigenen Fehlerlosigkeit überzeugt sind? Leute, die ohne mit der Wimper zu zucken die Außen- und Sicherheitspolitik einer RRG-Koalition unterminieren, in dem sie sich zB völlig verblendet dem rechtsreaktionären Putin anbiedern, Syrern lieber kein Asyl gewähren wollen und Pressemitteilungen und Strafanzeigen raushauen, die nicht im geringsten mit der eigenen Fraktionsführung abgesprochen wurden, die also in ihrem ideologischen Reinheitswahn vollkommen selbstverständlich ständig die Koalition gefährden und sozusagen in Geiselhaft nehmen würden?

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      Was den von Ihnen bemühten "ideologischen Reinheitswahn" angeht: kann es sein, dass Ihnen da Ihr Koordinatensystem einen Streich spielt - oder Sie die Namen der Akteure nicht richtig kennen?

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Nein. Wer zB meint, man dürfe Russland erst entgegentreten, wenn die Nato abgeschafft ist und der Westen alles, absolut alles richtig mache, ist ein ideologischer Reinheitsfanatiker. Übrigens typisch deutsch. Heuchelei als schlimmstes Verbrechen: Russland ist in dieser Denke dem Westen moralisch überlegen, da Russland „wenigstens nicht heuchelt und sozusagen ehrlich mordet“.

    • @Suryo:

      Ramelow ist eine Ausnahme. Deshalb war es besonders töricht, ausgerechnet bei ihm mit dem ohnehin veralteten Hufeisen zu kommen. Aber auf Bundesebene gibt es kein zweites Beispiel für ein solches Experiment.