Diskriminierung von Geflüchteten: Schutz und Vorurteil

Während Berlin die ukrainischen Geflüchteten vor Ausbeutung schützen will, ergreift der Bund repressive Maßnahmen. Ein Wochenkommentar.

Menschen sitzen mit Koffern auf einem Bahnsteig

Gerade dem Krieg entronnen: Geflüchtete aus der Ukraine in Berlin im März 2022 Foto: dpa

Bei der Flucht von zehntausenden Geflüchteten aus der Ukraine nach Berlin wurde vieles besser gemacht als bei früheren Fluchtbewegungen. Zwar haben auch hier die Behörden wieder zu behäbig reagiert, und Ehrenamtliche mussten einspringen, wo der Staat versagte. Auch wurden Fehler gemacht, indem etwa auf die Bedarfe von besonders schutzbedürftigen Menschen nicht adäquat eingegangen wurde. Dennoch stellte die unbürokratische Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden und nicht zuletzt ihre Anerkennung als Kriegsflüchtlinge eine eindeutige Verbesserung im Vergleich zum Sommer der Migration 2015 dar.

Die Geflüchteten, die seinerzeit vor allem aus Syrien nach Berlin kamen, können von den Rechten, die den Neuankömmlingen aus der Ukraine zugestanden werden, nur träumen. Während sie jahrelange Asylverfahren durchlaufen mussten, die teilweise bis heute andauern, während denen sie weder arbeiten noch ihren Wohnsitz frei wählen dürfen, wird den Menschen aus der Ukraine die Integration in ihre neue Heimatstadt wesentlich einfacher gemacht.

Die Ungleichbehandlung von Asylsuchenden je nach Herkunftsland wird zurecht als rassistisch kritisiert. Die besseren Startbedingungen für Ukrai­ne­r*in­nen bedeuten jedoch nicht, dass diese nicht ebenfalls Opfer von staatlicher Diskriminierung und Stigmatisierung werden können. So müssen ukrainische Geflüchtete, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, ab dem 1. Juni eine erkennungsdienstliche Behandlung durchlaufen, um über die Jobcenter Hartz IV oder Sozialhilfe beziehen zu können.

Heißt: Es werden Fotos gemacht, Fingerabdrücke genommen und körperliche Merkmale dokumentiert. Auch Messungen der Körpergröße und des Gewichts dürfen durchgeführt werden.

Statt Ressentiments durch staatliche Maßnahmen noch zu bestärken, sollte der Staat dafür sorgen, die Rechte von Mi­gran­t*in­nen zu schützen.

Warum eine derartige Behandlung, die sonst nach einer Festnahme wegen einer Straftat vorgenommen wird, für die Beantragung von Sozialleistungen notwendig sein soll, ist nur schwer nachvollziehbar. Zumal sie auch für die Menschen gilt, die sich bereits mit ihrem biometrischen Pass registriert haben. Während alle anderen Menschen, die Anrecht auf Sozialleistungen haben – und das trifft auch auf ukainische Kriegsflüchtlinge zu – einfach mit ihrem Ausweis zum Jobcenter gehen und einen Antrag stellen können, müssen sich Ukrai­ne­r*in­nen im wahrsten Sinne des Wortes nackig machen.

Ungleichbehandlung verstärkt Ressentiments

Diese Maßnahme wird vom Bund mit „Sicherheitsinteressen“ begründet, das Land Berlin hat dabei kein Mitspracherecht. Welche Sicherheit hier bedroht sein soll, ist jedoch unklar. Schließlich geht es nicht um die Erlangung eines Aufenthaltstitels, sondern um den Bezug von Leistungen zur Grundsicherung. Dass dieser für Ukrainer*in­nen erschwert wird, erinnert nur allzu sehr an das rassistische Vorurteil des „Sozialtourismus“ aus Osteuropa, der von rechten Po­li­ti­ke­r*in­nen immer wieder bemüht wird, um ihre Ablehnung gegenüber Mi­gran­t*in­nen zu begründen.

Statt solche Ressentiments durch staatliche Maßnahmen noch zu bestärken, sollte der Staat dafür sorgen, die Rechte von Mi­gran­t*in­nen zu schützen. Schon vor der aktuellen Fluchtbewegung waren viele Ost­eu­ro­päe­r*in­nen, aber auch andere Mi­gran­t*in­nen, Opfer von Ausbeutung. Mit der Not von Menschen lassen sich gute Geschäfte machen, was einige Firmen nur allzu gerne ausnutzen. Lohndiebstahl, Akkordarbeit, die Unterbringung in (zudem überteuerten) Schrottimmobilien bis hin zu Sklaverei sind keine Seltenheit.

Dass Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) vor diesem Hintergrund die Arbeitsrechte von Mi­gran­t*in­nen nun besser schützen und Ausbeutung verhindern will, ist der richtige Ansatz. Denn wenn es im Zusammenhang mit Zuwanderung betrügerisches Verhalten gibt, dann ist es hier zu finden – und nicht bei den Menschen, die auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben nach Berlin kommen.

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

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