Diplomat Perthes über Militärputsch: „Sudan steht am Abgrund“
Der deutsche Diplomat Volker Perthes ist UN-Beauftragter für Sudan. Er berichtet, wie schwierig das Militär den Übergang zur Demokratie macht.
taz: Herr Perthes, wo steht Sudan heute?
Volker Perthes: Am Abgrund. Wir hatten eine Atmosphäre, in der das Militär und die Zivilisten ursprünglich versucht hatten, eine Partnerschaft gegen den jeweils eigenen Willen aufrechtzuerhalten. Da mussten zwei zusammenarbeiten, die das nicht wollten. Seit Sommer letzten Jahres haben die Spannungen zugenommen. Im Oktober hatten wir einen Militärputsch. Seitdem haben wir eine militärisch dominierte Regierung. Damit sind alle Erfolge der letzten zweieinhalb Jahre entweder gefährdet oder sind schon zunichtegemacht. Die Frage der Schuldenerleichterung und der 60 Milliarden Dollar Auslandsschulden steht erneut zur Disposition. Die Wirtschaft geht den Bach runter. Es kommen keine Investoren ins Land, und die Sicherheit ist nicht mehr gewährleistet. Wir haben Teile des Landes, in denen nahezu Anarchie herrscht. Wir haben keine echte staatliche Kapazität, die Bürokratie arbeitet nicht, und wir haben seit Monaten keine Regierung. Dagegen gibt es anhaltende Proteste, bei denen wir immer wieder Tote erleben.
Volker Perthes, 61, ist Politikwissenschaftler und war von 2005 bis 2020 Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die SWP berät die Bundesregierung in der Außen- und Sicherheitspolitik. Aktuell ist Perthes UN-Sondergesandter für den Sudan.
Nun soll die von Ihnen geführte UN-Mission den Übergangsprozess hin zu einer Demokratie und einer zivilen Regierung unterstützen. Wie legitimiert sich diese Mission jetzt nach dem Militärputsch? Ist sie nicht hinfällig?
Wir hatten im ersten Jahr tatsächlich einige Erfolge zusammen mit den sudanesischen Partnern. Und all dies ist in der Tat gefährdet. Aber meine Aufgabe ist es, den politischen Übergang zu unterstützen oder auch ihn wieder zurück auf den Weg zu bringen in dem Moment, in dem er mit einer Betonwand zusammengestoßen ist. Wir geben keine Lösungen vor. Aber die Situation ist schwierig, denn wir haben eine Machtübernahme des Militärs gehabt, und wir haben Zivilisten auf der Straße, von denen jede Woche junge Leute sterben. Wir haben einen enormen Vertrauensverlust. Und Vertrauen kann man sehr viel leichter zerstörten als wiederaufbauen. Aber wir haben auch vorsichtige Anzeichen dafür, dass alle Seiten merken, dass der Sudan in einer solchen Krise ist, dass sie das Land verlieren könnten, wenn sie nicht zurückfinden zu einer Form von Verständigung über den Weg hin zu einer zivilen demokratischen Regierung. Das wird nicht übermorgen geschehen, aber wir brauchen zumindest wieder eine klare Wegekarte hin zu einer demokratischen Zivilregierung.
Einer Ihrer Gesprächspartner ist das Militär, das geputscht hat. Arbeiten Sie da nicht mit jemandem zusammen, der keine Legitimität hat?
Je heftiger der Konflikt ist, umso notwendiger ist es, dass die Vereinten Nationen mit allen reden, gerade wenn die Seiten nicht bereit sind, miteinander zu reden. Wir können nicht so tun, als gäbe es diejenigen nicht, die die Situation kontrollieren, die Waffen und Machtressourcen haben.
Gibt es überhaupt noch eine Schnittmenge zwischen Zivilisten und Militär? Wo können Sie da ansetzen?
Ich glaube, die Schnittmenge ist größer, als man nach außen hin sieht. Aber das Vertrauen ist weggebrochen. All diese Kräfte haben vor dem Putsch vom 25. Oktober zusammengearbeitet, meist mehr schlecht als recht, aber in manchen Fällen haben sie auch zusammengefunden. Diese Schnittmenge ist im Prinzip weiter da. Aber das Vertrauen, dass die andere Seite die Partnerschaft einhält, das ist nicht mehr da. Wir müssen das Land zum Übergang zurückbringen. Das Problem ist, dass wir hier mit mehr als nur zwei Machtpolen zu tun haben. In Wirklichkeit gibt es mehrere. Das Militär ist eines davon. Dann haben wir zivile Parteien unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung. Wir haben eine Zivilgesellschaft, die sich nicht von den Parteien repräsentiert fühlt. Und wir haben die Widerstandskomitees, die sich von keinem der politischen Führer repräsentiert fühlen. Dazu kommen die bewaffneten Gruppen, die das Juba-Friedensabkommen unterschrieben haben. Für die ist die Frage der Demokratie vielleicht nicht die wichtigste, sondern die Frage, wie zum Beispiel Darfur in welcher Regierung auch immer repräsentiert ist. Da muss man versuchen, die Schnittmenge zu finden.
Militärchef Abdel Fatah al-Burhan sagt immer wieder öffentlich, dass sich das Land trotz des Militärputsches weiter im Übergang zu einer Zivilregierung und zu demokratischen Wahlen befinde. Kann man ihm glauben?
Wenn General Burhan so etwas zu mir sagt, dann widerspreche ich. Ein Teil der Partnerschaft hat den anderen Teil von der Macht entfernt und ins Gefängnis geworfen, auch wenn der dann wieder nach und nach freigelassen wurde. Wenn die sudanesischen Akteure klarkommen wollen, dann müssen sie wegkommen von einer militärisch dominierten Regierung hin zu einem Format, in dem die Zivilisten die Oberhand haben und wo klar ist, dass das Ende der Reise eine zivil geführte demokratische Regierung ist.
Es mischen international viele Köche in der sudanesischen Küche mit: die USA, die Europäer, vor allem Ägypten und die Golfstaaten, allen voran die Vereinigten Arabischen Emirate. Haben Letztere ein Interesse, dass ein demokratisch ziviles Experiment im Sudan startet, oder sehen die das als eine Gefahr für ihre eigene Legitimität?
Sagen wir es so: Das Interesse an Demokratie ist in unterschiedlichen Staaten unterschiedlich gelagert. Gleichwohl wissen die meisten guten Beobachter hier sehr wohl, dass das letzte Militärregime dem Sudan keine Stabilität gebracht hat, dass es zusammengebrochen und vom Widerstand der Öffentlichkeit hinweggefegt worden ist. Sie wissen, dass eine zivile Regierung, auf die sich alle einigen können, dem Staat eher Stabilität bringen kann als eine weitere Serie von Militärcoups.
Für jemanden wie Sie, der am politischen Übergang Sudans arbeitet, muss es ja wirklich deprimierend gewesen sein, als das Ganze dann mit einem Militärputsch zurückgeworfen wurde. Wie frustrierend ist es, hier die Stellung zu halten?
Das war sicherlich nicht das, was wir uns gewünscht haben. Wenn man den Job eines Repräsentanten des UN-Generalsekretärs in einem Land im Übergang wie Sudan annimmt, muss die Frustrationstoleranz relativ groß sein.
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