Dilemma beim Kirchentag: Der wundersame Gläubigenschwund
Der Schlussgottesdienst in Wittenberg sollte der Höhepunkt des Kirchentags werden – mit 150.000 Besuchern. Das wird wohl nichts.
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Schon vor dem offiziellen Beginn des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Berlin und Wittenberg droht einem geplanten Höhepunkt des großen Christentreffens eine ziemliche Pleite: Wie Stephan Menzel, Leiter Finanzen und Controlling des Kirchentag-Kollegiums, mitteilte, ist bisher nur eine vierstellige Zahl an Tickets der Bahn für die Fahrt zum Abschlussgottesdienst in Wittenberg am Sonntag dieser Woche gebucht worden. Das spricht dafür, dass diese „größte Feier“ des Kirchentags, wie sie auf der Homepage angekündigt wird, viel weniger Menschen anlocken wird, als vorhergesehen.
Ursprünglich hatten die Kirchentagsorganisatoren hinter vor gehaltener Hand auf bis zu 150.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Festgottesdienst gehofft, aber die Zahl in den vergangenen Monaten vorsichtig immer weiter nach unten korrigiert. Zuletzt war die Zahl von etwa 100.000 Gottesdienstbesucher in Wittenberg gestreut worden. Zu diesem Festgottesdienst sollten am Sonntag Vormittag über Stunden extra von der Bahn bereit gestellte ICEs in Zehn-Minuten-Takt in die sachsen-anhaltinische Lutherstadt fahren.
Nun sieht es danach aus, dass der Elbwiese vor den Toren der Stadt – mit Blick auf die historische Schloss- und Stadtkirche – zum großen Teil leer bleibt. Geplant war auch, dass schon am Samstag die ersten Gäste anreisen, auf der Elbwiese unter freiem Himmel übernachten und zum Sonnenuntergang mit den Brüdern aus Taizé eine „Nacht der Lichter“ feiern.
Ellen Ueberschär, die Generalsekretärin des Kirchentags, unterstrich bei der Eröffnungspressekonferenz des Kirchentags am Mittwoch Mittag angesichts der sehr geringen Buchungen für die Anfahrt nach Wittenberg, ein Gottesdienst „kann gar nicht floppen“. Sie verwies zudem darauf, dass auch viele Besucherinnen und Besucher des Festgottesdienstes noch mit Bussen oder auf anderem Wege anreisen könnten. Es gebe keinen Grund, das Konzept für diesen Gottesdienst zu verändern. Es werde so oder so „ein Happening“.
Obama kommt aber
Vor dem offiziellen Beginn des Kirchentags am Mittwoch Abend in der Hauptstadt sagte Ueberschär vor dem Hintergrund des Terroranschlags in Manchester in der Nacht zu Dienstag: „Wir sind Manchester.“ Der Kirchentag biete Orte, an denen der Zorn auf die Täter und die Klage über die Opfer gehört werde. Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au sagte, sie sei „fassungslos und wütend“ angesichts des Anschlags.
Es könne auch auf dem Kirchentag keine „absolute Sicherheit“ geben. Stephan Menzel ergänzte, es gebe für den Kirchentag, zu dem sich über 100.000 Dauergäste angemeldet haben, weiterhin „ein gutes Verkehrs- und Sicherheitskonzept“. Die bereits schon enge Zusammenarbeit mit der Polizei sei nach dem Anschlag noch vertieft worden. Es gebe eine „erhöhte Sicherheitssituation“, aber die Lage sei ruhig.
Am Donnerstag morgen ist der gemeinsame Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama vor dem Brandenburger Tor geplant. Nach Auskunft von Ellen Ueberschär wurde dieser Auftritt Obamas gerade dort geplant, weil die Sicherheitsvorkehrungen sonst dem Hauptort des Kirchentags, die Hallen der Berliner Messe, zu stark blockiert hätten. Die ursprüngliche Idee, dass Obama auf dem Festgottesdienst in Wittenberg spricht, sei fallen gelassen worden, da der frühere Präsident an diesem Tag keine Zeit gehabt habe.
Christina Aus der Au widersprach auch dem in Berlin kursierenden Gerücht, das Kanzleramt habe angesichts der Bundestagswahl im Herbst darum gebeten, dass Obama in Berlin mit Angela Merkel auftrete. Ellen Ueberschär sagte vielmehr, Angela Merkel habe sich überrascht gezeigt, dass Obama mit ihr habe sprechen wollen – wie es jetzt auch geplant ist.
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