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Film „Leonora im Morgenlicht“Eine Surrealistin unter Männern

„Leonora im Morgenlicht“ würdigt Leonora Carrington als eine der wichtigsten Künstlerinnen des Surrealismus. Eine Muse wollte sie nie sein.

Die Filmbilder sehen selbst teilweise wie surrealistische Gemälde aus: Szene aus „Leonora im Morgenlicht“ Foto: Alamode Film

Die 2011 in Mexiko-Stadt verstorbene britisch-mexikanische Künstlerin Leonora Carrington hat selber einmal gesagt, dass sie keine Zeit dafür gehabt habe, die Muse eines anderen zu sein, weil sie zu sehr damit beschäftigt gewesen sei, gegen ihre Familie zu rebellieren. Vermutlich hatte sie auch kein Interesse, die Muse (überwiegend männlicher) surrealistischer Künstler zu sein, war sie doch selbst eine bedeutende Künstlerin.

Ja, die historische Avantgarde gab sich künstlerisch fortschrittlich, verharrte bezüglich Gleichberechtigung aber im 19. Jahrhundert. Bei der berühmten Exposition Internationale du Surréalisme 1938 in der Galerie Beaux-Arts stellten mit Leonora Carrington und der spanischen Malerin Remedios Varo gerade mal zwei Künstlerinnen ihre Werke aus.

Die von Thor Klein und Lena Vurma inszenierte, geschriebene und produzierte Künstlerbiografie „Leonora im Morgenlicht“ dreht sich um diese beiden Prägungen Leonora Carringtons, die durch das Elternhaus und die durch eine männlich geprägte Umgebung.

Bedrängt von André Breton

Die Rolle der Muse wird explizit in der einzigen Situation aufgegriffen, in der die Gruppe der Surrealisten zu sehen ist. Es ist deren Vordenker André Breton, der Leonora Carrington – es ist in etwa die Zeit, als die erwähnte Ausstellung gezeigt wurde – nahezu bekniet, seine Muse zu werden. Sie fühlt sich bedrängt.

Der Film

„Leonora im Morgenlicht“. Regie: Thor Klein und Lena Vurma. Mit Olivia Vinall, Alexander Scheer u. a. Deutschland/Mexiko/UK/Rumänien 2025, 103 Min.

Er sei eine problematische Persönlichkeit, meint sie im Anschluss zu Max Ernst, mit dem sie zu diesem Zeitpunkt bereits eine Affäre hatte. Der reagiert gelassen. Breton sei ein einsamer Mensch.

Die junge Leonora und der deutlich ältere Max Ernst sind anfangs alles andere als einsam. Sie haben ihre Liebe und ihre gegenseitige künstlerische Wertschätzung. Nachdem sie nach Saint-Martin-d’Ardèche, am Ende der ebenso malerischen wie wilden Ardèche-Schlucht in Südfrankreich, umgezogen sind, wird ihr Leben gar zur Idylle. Sie genießen das Leben und ihre künstlerische Arbeit in vollen Zügen.

Doch mit der Invasion Deutschlands in Frankreich bricht 1940 mit aller Härte die Realität ein. Max Ernst wird von der Gendarmerie festgenommen. Völlig verzweifelt schreit sie ihrem Geliebten hinterher, als dieser abgeführt wird, nicht weil er Nazi, sondern weil er gegen die Nazis ist. Frankreich ist bereits infiltriert.

Woher stammt die Traumatisierung?

Die gewaltsame Trennung von Max Ernst führt zu Leonoras psychischem Zusammenbruch. Die Wunde sitzt jedoch tiefer als eine verlorene Liebe. Die reale Leonora Carrington meinte in einem späten Interview, sie habe wie viele andere an einer Traumatisierung durch den Krieg gelitten.

Im Film wird angedeutet, dass es um etwas sehr Persönliches gehen könnte. Ist es der Verlust eines Mannes, der in ihr mehr als nur eine Frau sieht? Reicht die Traumatisierung in ihre Kindheit zurück? Völlig heruntergekommen wird sie von ihrer Freundin, der spanischen Malerin Remedios Varo, in ihrem Landhaus gefunden.

An diesem Punkt setzt „Leonora im Morgenlicht“ die Erzählung überraschend elliptisch fort, wenn Leonora plötzlich in einer Nervenheilanstalt behandelt wird. Wie viel Zeit vergangen ist und wie sie an diesen Ort gekommen ist, bleib zunächst völlig unklar, denn Remedios Varo wird sie kaum eingeliefert haben. Sie wurde in einem völlig verwirrten Zustand auf der Straße aufgelesen, erzählt ihr später ein Arzt. Der beteuert zwar, ihr nur helfen zu wollen, doch ist die Behandlung mit Elektroschocks und einer medikamentösen Schocktherapie von mehr Qual als Heilung geprägt. Es ist ein Gefängnis, aus dem sie ausbrechen muss.

Zugleich setzt an diesem Ort aber eine Art psychischer Verarbeitung ein. Dabei bleibt unklar, ob dies auch mit den Drogen zu tun hat, die ihr verabreicht werden. Leonora gelingt es jedenfalls, eine Tür zu ihrem Unbewussten zu öffnen (es ist auch eine ganz reale Tür, durch die sie gehen will, die es im Büro des sie behandelnden Arztes gibt). Dahinter liegt ihre Kindheit, in der sie und ihre Brüder von ihrem Vater in ihre Geschlechtsrollen gedrängt wurden. In einer Art Traumsequenz rächt sie sich symbolisch an ihrem Vater. Doch hat sie sich von dieser Prägung wirklich gelöst?

Das Motiv der Hyäne

Beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis diskutierte die Jury einmal über Für und Wider eines historischen Stoffes. Wie geht man fiktional mit historischen Ereignissen um? Eine etwas seltsam anmutende Diskussion, denn vor dieser Herausforderung steht fiktio­nales Erzählen ja sehr oft. „Leonora im Morgenlicht“ handhabt dies, indem die Bilderwelt der Künstlerin sowohl in ihren Gemälden als auch in ihren literarischen Veröffentlichungen in die Erzählung und Bilderwelt des Films übersetzt wird. Dies gilt vor allem für das Motiv der Hyäne, das auch dem in Kapiteln erzählenden Film der Episode in der Nervenheilanstalt als Titel vorangestellt ist.

Die Hyäne kommt in Carringtons zwischen 1937 und 1938 entstandenem Gemälde „Self-Portrait (Inn of the Dawn Horse)“ und in der Kurzgeschichte „The Debutante“ vor, die sie Ende der 1930er Jahre herausbrachte. Darin ist die Hyäne eine Verbündete der jungen Protagonistin aus reichem Hause, die gegen ihre Eltern rebelliert. Im Film ist die Hyäne eine Art Schlüssel zu ihrem Unbewussten. Auch das Pferd aus ihrem Selbstporträt spielt zum Ende des Films noch eine Rolle.

Motivischer Ausgangspunkt des in Rückblenden erzählenden Films ist der surrealistische Skulpturengarten Las Pozas, den Edward James, ein englischer surrealistischer Autor und Mäzen, der Leonora unterstützte, im mexikanischen Urwald errichtete. An diesem in mehrerer Hinsicht traumhaften Ort ist die Hyäne zum ersten Mal zu hören. Da wissen wir allerdings noch nicht, worum es sich bei dem merkwürdigen Laut handelt, und wundern uns, dass James nichts gehört hat.

Facettenreiches Schauspiel

Es ist nicht das typische abstoßende Kichern der Tüpfel­hyäne, sondern ein surreal verfremdetes Brüllen und Rufen, das plötzlich durch den Dschungel dringt. Mehr als mit den Bildern erreicht der Film mit diesen verfremdeten Klängen und der eindringlichen Musik der Komponistin Mariá Portugal eine surreale Kraft.

„Leonora im Morgenlicht“ lebt nicht zuletzt auch vom facettenreichen Schauspiel Olivia Vinalls. Die psychische Störung der Protagonistin wird nicht zu einem Gestus für die Figur, was ja denkbar gewesen wäre. Vinall stattet sie stattdessen vielseitig aus, sie kann gleichermaßen wunderbar leiden und das Leben genießen und dazwischen viele Schattierungen setzen.

Das ist schlau, denn auf der Leinwand ist sie omnipräsent und das Publikum darf sich nicht sattsehen. Selbst während der Liaison mit Max Ernst bleibt sie im Zentrum der Handlung. Dazu trägt auch Alexander Scheer als Max Ernst bei, der die Bühne ganz der Schauspielerin/Künstlerin überlässt.

„Leonora im Morgenlicht“ erzählt kein Biopic im üblichen Sinne, sondern versucht, über die künstlerischen Werke der Künstlerin einen erzählerischen Zugang zu ihrer Persönlichkeit zu finden. Dabei bleibt zwar einiges rätselhaft. Trotzdem gelingt eine eindringliche filmische Würdigung einer bedeutenden Künstlerin.

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