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Die unsichtbaren PolenIch bin wer, den du nicht siehst

Die größte Gruppe, die nach Deutschland einwandert, sind Polen. Das merkt keiner, weil sie sich unsichtbar machen. Unsere Autorin ärgert das.

Bloß nicht auffallen – hier zwei Schatten an der Oder Foto: privat

Es war der 17. Juni 1988, als wir einen polnischen Abgang machten, wobei ich erst viel später verstand, was das heißt, und auch, dass der Ausdruck uns Polen ein bisschen beleidigen soll. Aber in dieser Nacht von Freitag auf Samstag war es tatsächlich so: Wir hauten einfach ab, grußlos.

ausgezeichnete taz

Die taz-Redakteurin Emilia Smechowski wurde für diesen Text mit dem Reporterpreis 2015 in der Kategorie „Bester Essay“ ausgezeichnet.

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Wir waren etwa fünfzig Kilometer gefahren, raus aus dem grauen Plattenbau, raus aus Wejherowo, als meiner Mutter das Wörterbuch einfiel. Sie hatte es auf dem Bügelbrett liegen lassen, Deutsch-Polnisch, Polnisch-Deutsch. Tränen rannen über ihre Wangen, wie so oft in diesen Tagen unserer Flucht. Was, wenn es uns verrät? Die ganze Aufregung, die Lügen, alles umsonst?

So begann das neue Leben meiner Eltern, und somit auch meins und das meiner Schwester. Mit Angst.

Vielleicht erklärt diese Angst, warum meine Eltern, als sie es tatsächlich nach Deutschland geschafft hatten, fast genauso weitermachten: bloß nicht auffallen. Unsere Leitfrage der kommenden Jahre lautete: Wie machen es die Deutschen? So machten wir es auch.

taz.am wochenende - Longreads

Dieser Text ist in der taz.am wochenende erschienen. Die taz.am wochenende gibt es immer samstags am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wer Strebermigranten studieren will, der kann uns als Musterfamilie nehmen. Meine Eltern, beide Ärzte, bekamen Arbeit, wir lernten Deutsch, mein Vater stieg auf, meine Mutter weniger, wir bauten ein Haus. Wir fuhren erst einen Mazda, dann einen BMW, dann einen Chrysler, und später eine Limousine von Audi. Ich besuchte ein humanistisches Gymnasium, lernte Klavier und Ballett, mit Polen wollte ich erstmal nichts zu tun haben, ich ging nach Paris und Rom.

Erst viel später, als ich erwachsener wurde, fielen sie mir auf: all die Polen in Deutschland. Meine Generation, Anfang dreißig, die im Kindesalter mit ihren Eltern eingewandert war. Top integriert, erfolgreich, sie wirkten fast deutscher als die Deutschen.

Ich war wie sie.

Jetzt interessiert sich sogar die Wissenschaft für uns

Heute gibt es kein Volk, das zahlreicher nach Deutschland einwandert, als wir Polen es tun. Seit Jahren schon. Nur: Als Migranten sieht man uns kaum. Wir sind unsichtbar. Wir sind quasi gar nicht mehr da, so gut gliedern wir uns ein.

Nun interessiert sich deshalb die Wissenschaft für uns. Dissertationen werden geschrieben, Bücher. Studien vergleichen uns mit anderen Migranten und stellen fest: Wir lernen die Sprache schneller. Wir studieren öfter. Integrieren uns besser in den Arbeitsmarkt. Heiraten eher Deutsche als Polen. Polnische Mädchen schneiden in der Schule sogar oft besser ab als ihre deutschen Freundinnen. Wir sind die Champs.

Wie Chamäleons haben wir gelernt, uns in der deutschen Gesellschaft zu verstecken.

Die Studien klingen, als sei das ein Erfolg. Als würden sich Menschen ernsthaft wünschen, lieber nicht gesehen zu werden.

In der Nacht unserer Flucht, als ich auf der Rückbank unseres kleinen Fiat Polski saß, wusste ich gar nicht, dass es so etwas wie Ausland gibt. Ich war fünf und konnte mir nicht verzeihen, dass ich Tomek nicht gefunden hatte. Am Nachmittag hatte meine Mutter gesagt: „Wir fahren in den Urlaub, nach Italien.“

Ich rannte auf den Hof mit den verrosteten Teppichstangen, an denen wir manchmal turnten. Ich wollte mich verabschieden, von meinem besten Freund. Lief hin zu dem Sandkasten, in dem wir, zwei Jahre nach Tschernobyl, endlich wieder spielen durften. Kein Tomek. Und ich weiß nicht, ob ich ahnte, dass wir nie zurückkehren würden, aber als meine Mutter mich ins Auto setzte, fing ich an zu heulen. Es ist meine einzige Erinnerung an unsere Flucht. Diese Panik, mich unbedingt verabschieden zu wollen. Und dann einfach wegfahren zu müssen, ohne Tschüs zu sagen. Beziehungsweise: „pa“.

1988, als wir beschlossen zu fliehen, hieß es in der deutschen Politik noch immer: Deutschland ist kein Einwanderungsland. Die Ausländer, die schon seit Jahrzehnten da waren, waren ja nur Gastarbeiter. Also Gäste. Und Gäste reisen irgendwann wieder ab.

Mein Vater buchte einen Zelturlaub in Rimini. Dass wir nach Westberlin wollten, wo mein Onkel schon lebte, behielten meine Eltern für sich. Nur die Großeltern wussten Bescheid.

Während ich an Tomek dachte, ruckelte und zuckelte unser Fiat durch die Nacht, die Schlaglöcher auf Polens Landstraßen waren fast so groß wie unser Auto. Meine Eltern schwiegen.

Die Grenze zur DDR passierten wir einfach. Dann kam die zweite. BRD. Wir sahen sie schon von Weitem. Es war drei Uhr nachts, als sich vor uns ein riesiger Tempel aus gleißenden Strahlern erhob. Drei Beamte liefen auf uns zu und winkten uns zur Seite. Sie befahlen uns auszusteigen. Meine Mutter hob meine schlafende Schwester hoch, und mit mir an der Hand lief sie zum Toilettenhäuschen nebenan. Mein Vater blieb allein zurück.

Wir ließen unsere Identität an der Grenze

Meine Mutter ist schon immer ein sehr ängstlicher Mensch gewesen, sie ist es bis heute, und ich kann mir kaum ausmalen, wie sich das für sie angefühlt haben muss. Da standen wir nun, mit einem Bein im alten, mit dem anderen im neuen Leben, als diese bewaffneten Männer anfingen, unseren Kofferraum zu durchsuchen und die Sitze hochzuheben.

Sie fanden nur Badeanzüge, Handtücher und ein Zelt.

Als wir wieder losfuhren, hörte es plötzlich auf zu ruckeln, als hätte jemand Butter auf den Asphalt geschmiert. Dafür fuhren wir jetzt im Kreis, wie in einem Schneckenhaus, es ging gar nicht mehr geradeaus! Mein Vater verlor die Orientierung und meine Mutter schrie: „Fahren wir jetzt etwa wieder zurück?“

Es war der erste Satz, den meine Eltern sprachen, seit wir aus Wejherowo raus waren, und sie lachten erleichtert, als sie begriffen, dass diese Straßenschnecke lediglich dazu diente, sie auf die erste Autobahn ihres Lebens zu führen. Nach Westberlin.

Wir ließen den Eisernen Vorhang, den Stillstand, das System, das unsere Freiheit so willkürlich einschränkte, hinter uns. Nun mussten wir es schaffen.

Ob Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder Arbeitsmigranten aus Südeuropa – die meisten Einwanderer haben heute den einen Wunsch: irgendwann wieder zurückzukehren. Wir wollten nicht zurück. Vielleicht fiel es uns deshalb so leicht, unsere Identität an der Grenze zu lassen.

Wenn ich heute meine Eltern frage, warum sie damals ausgereist sind, sagt mein Vater, er wollte sich nie wieder einsperren lassen, und meine Mutter sagt, sie wollte, dass wir Töchter bessere Chancen hatten.

In Polen gab es keine. So wie es keine Babynahrung in den Läden gab, keine Möbel, kein Fleisch. Es sei denn, man hatte Geduld – oder Kontakte in den Westen. Während ihres Medizinstudiums hatten meine Eltern Alkohol einfach selbst destilliert.

Nach dem Studium, als beide schon Anästhesisten waren, arbeiteten sie rund um die Uhr, es reichte trotzdem gerade für einen mittleren Standard. Wohnung: Platte. Küche und Auto: von den Großeltern. Dieses eine Wort gab es in Polen nicht: Aufstiegsversprechen.

Der einzige Lichtblick waren die Päckchen, die ein deutscher Freund meines Opas schickte. Mit Kaffee, Schokolade, und dem größten Schatz, den meine Mutter sich vorstellen konnte: dem Burda-Katalog. Unsere Kleider waren immer genäht „jak w Burdzie“. Wie bei Burda.

In unseren ersten Tagen in Westberlin kamen wir bei dem Onkel unter. Wir verkauften unseren Fiat Polski für 1.000 Mark. Dann zogen wir um, ins Lager. Eine große Halle in Berlin-Neukölln, eigentlich gedacht für Obdachlose, aber, weil in diesen Jahren so viele von uns kamen, wurde sie auch für Aussiedler geöffnet. Überall Eisenbetten und Plastiktüten, es roch nach Schnaps, und meine Schwester und ich krallten uns an den Beinen unserer Mutter fest.

Brandts Kniefall in Warschau. Polen in Deutschland waren Opfer im Täterland Foto: dpa

„Ihr könnt hier nicht bleiben“, sagte mein Vater, und fuhr uns zurück zum Onkel. Er selbst schlief wochenlang in der Halle, damit wir den Platz behielten.

Mein Vater hatte in Polen seine Bücher zurückgelassen, Goethe, Mann, Dostojewski. In Deutschland hatte er nun Putzdienst und schrubbte Klos und Flure.

Die ersten Wochen liefen wir fast stumm herum

Ein Fernsehteam kam und fragte meine Eltern auf englisch, was sie sich am meisten wünschten. Mein Vater sagte: Er würde gern das Ganze, die Flucht, die Ankunft hier, so schnell wie möglich vergessen. Meine Mutter sagte, sie werde erst wieder glücklich sein, wenn sie wieder alles hat, was sie hatte aufgeben müssen: Arbeit, Wohnung, Auto.

In diesen ersten Tagen in Deutschland dämmerte es ihnen: Hier ankommen werden sie nur, wenn sie anders werden, als sie sind.

Und ausgerechnet die Nazis hatten dafür gesorgt, dass ihnen das leichter fiel als anderen.

Wie viele Polen im Sozialismus, hatten auch meine Eltern nach einem „deutschen Großvater“ gesucht, der Eintrittskarte in den Westen. Sie fanden ihn. Mein – durch und durch polnischer – Urgroßvater hatte bei der Reichsbahn gearbeitet und sich in die „Deutsche Volksliste“ eintragen lassen. Denn als die Nazis gemerkt hatten, dass es schier unmöglich ist, alle Polen auszulöschen, um das Land zu „germanisieren“, beschlossen sie, die übrigen Polen irgendwie zu Deutschen zu machen. Mein Urgroßvater galt somit als Deutscher und wir waren, auf dem Papier und ohne einen einzigen deutschen Verwandten zu haben: Aussiedler. Unser Ticket in eine neue Welt. Meine Familie spricht bis heute nicht gern darüber.

Statt für Fleisch, stellten sich meine Eltern nun morgens um 5 Uhr für Papiere an. Krankenkasse, Monatskarte, Begrüßungsgeld, als Aussiedler bekamen wir die Luxusbehandlung.

Mein Vater konnte es nicht fassen. Ohne jemals einen Pfennig in die deutsche Arbeitslosenversicherung eingezahlt zu haben, bekamen beide Arbeitslosengeld. Meine Eltern hatten den Eindruck, sie schuldeten diesem Land nun etwas. Auch der Sprachkurs im Goethe-Institut war, wie für alle Aussiedler, kostenlos. Neunzig Prozent sprachen damals kein Wort Deutsch.

In den ersten Wochen liefen wir mehr oder weniger stumm durch die Gegend, denn meine Eltern hatten beschlossen: Auf deutschen Straßen sprechen wir deutsch. Dafür wiederholte meine Mutter ihn danach umso öfter, einen ihrer ersten deutschen Sätze. „Pass auf!“

Wenn ein Mensch von einem Land in ein anderes zieht, kommt zu all den Rollen, die er in seinem Leben einnimmt, eine weitere. Er ist nun nicht mehr nur Arzt, Vater, Literaturliebhaber, sondern auch: Einwanderer. Je mehr Rollen, sagen Forscher, desto mehr Spannungen. Vielleicht haben meine Eltern einfach beschlossen, diese Spannung zwischen zwei Kulturen so klein wie möglich zu halten. Sie legten die Rolle der Polen ab. Und büffelten dafür umso mehr für die der Deutschen.

Auf meinem Pass prangte jetzt kein weißer, sondern ein schwarzer Adler. Aus der polnischen Emilka Smiechowska war die deutsche Emilia Smechowski geworden.

Unsere Namen ändern, das, was von Geburt an immer bleiben sollte – einen größeren Schnitt hätten wir nicht machen können.

Manche Flüchtlinge warten jahrzehntelang auf die Papiere, die bestätigen, was schon längst ihre Wirklichkeit geworden ist: Sie sind Deutsche. Sie wissen, wie man in Deutschland lebt. Bei mir war es andersherum.

Ich war Deutsche, bevor ich wusste, dass man sich in Deutschland Schokolade aufs Brot schmieren kann. Bevor ich wusste, dass die deutschen Lebensmittelläden Aldi heißen. Dass dort die Regale nie leer sind. Und dass man in der Kirche die Hostie in die Hand statt in den Mund gelegt bekommt.

Die Polen haben sich verändert. Gehen ins Ausland und sind polnisch und stolz drauf! Foto: dpa

Als Turbo-Deutsche mühten wir uns ab, dem, was auf dem Papier stand, zu entsprechen. Dieses Land wies viele Menschen ab, uns sah es als Deutsche. Hätten wir in dieser Situation die Hand heben sollen und sagen: Aber wir bleiben trotzdem auch polnisch, okay?

Neben der Obdachlosenhalle in Berlin-Neukölln gab es noch ein anderes, ein kleineres Haus. Dort hatte jede Familie ihr eigenes Zimmer. Und eine Familie war ausgezogen.

Mein Vater kaufte die billigste Flasche Whiskey, die er finden konnte, machte sich auf zum Pförtner und schob sie ihm rüber. Der schaute ihn verdutzt an. Dann schob er sie wieder zurück. „Wir machen sowas nicht in Deutschland“, sagte er. „Hier regelt man die Dinge anders.“

Wir bekamen das Zimmer. Einfach so.

Meine Eltern lernten Deutsch.

Wir gingen bei Aldi einkaufen.

Ich spielte mit alten Stücken aus Pappe.

Wir waren glücklich.

Wir wurden immer mehr.

In den achtziger Jahren kamen eine Million Einwanderer nach Deutschland, davon 800.000 Aussiedler. Mit dem Fall der Mauer wurden es noch mehr. Heute leben etwa 4,1 Millionen Menschen in Deutschland mit Aussiedler-Status, darunter etwa zwei Millionen Polen. Wir sind, nach den Türken, die zweitgrößte Migrantengruppe. Während die Türken Deutschland eher wieder verlassen, stehen wir seit Jahren an der Spitze der Einwanderungsstatistik.

70.000 Polen kamen im Jahr 2013 unterm Strich nach Deutschland. So steht es im aktuellen Migrationsbericht der Bundesregierung.

Und doch haben wir keinen Cem Özdemir, keine Aydan Özoguz im Bundestag, es gibt keinen Verband, der für uns spricht, und wenn der Deutsche schnell was auf die Hand will, holt er sich ganz sicher keine Piroggen um die Ecke.

Klar, wir sind auch nicht die Protagonisten in Büchern eines Thilo Sarrazin, wir sind es nicht, die Zehntausende Dresdner dazu treiben, „Wir sind das Volk!“ zu rufen.

Nicht mehr.

Emilie Mansfeld kam wie ich als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland. Heute arbeitet sie als Politologin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Durch den Verzicht aufs Polnische haben wir einen Teil unserer Identität verloren. Der Begriff mag angestaubt sein, aber er trifft es noch immer: Migranten sind Brückenbauer. Wir aber haben die Brücke hinter uns gleich abgerissen“, sagt sie.

Und wieder Schlange stehen, diesmal im Aufnahmelager in Berlin-Marienfelde Foto: dpa

Der große Wagen ist noch oben

Kennen Sie den noch?

„Eine kurze Anzeige mit drei Lügen: Anständiger Pole mit eigenem Auto sucht Arbeit.“

Oder den?

„Woran merkt man, dass noch kein Pole im All war? Der große Wagen ist noch oben.“

Noch einen?

„Wann gibt es in Polen Weihnachten? Zwei Tage, nachdem in Deutschland Bescherung war.“

Harald Schmidt hat diese Witze erzählt, der große Entertainer des deutschen Fernsehens. In den neunziger Jahren war das. Das war die Stimmung.

Da waren wir schon längst raus aus dem Heim, hatten fünf Zimmer, Küche, Bad bezogen, unsere erste Sozialwohnung. Sogar einen Balkon gab es, mit einem grünen Belag, der aussehen sollte wie Rasen. Am ersten Abend saßen wir auf dem hellen Teppich im leeren Wohnzimmer und aßen Brot mit Philadelphia.

Andere Flüchtlinge im Heim kauften vom Geld, das ihnen der Staat gab, sofort Fernseher und Stereoanlage. An unserem ersten deutschen Weihnachten gab es einen Plastikbaum und etwas Lametta. Wir tranken aus ausgewaschenen Senfgläsern. Wir fuhren mit unserem Sozialticket U-Bahn. Nach Polen fuhren wir erstmal nicht. Keiner von uns ahnte, dass nur ein Jahr später der Eiserne Vorhang fallen sollte.

An 9. November 1989 sahen meine Eltern die Gesichter im Fernsehen. Die Flaggen. Dieses Jetzt-ist-alles-wieder-möglich-Gefühl. Deutschland war wieder vereint. Meinen Eltern machte das wieder: Angst.

Mein Vater fing in einem Krankenhaus an, meine Mutter in einem anderen, wir gingen in den Kindergarten. Ihren Kollegen erzählten sie nicht, wie sie bisher gelebt hatten. Es fragte auch keiner.

Mein Vater staunte, wie niedrig die Differenz zwischen seinem Gehalt und dem Preis für ein Auto war. In Polen musste er etliche Jahre auf etwas sparen, das es dann oft gar nicht gab. Die Butterpreise schwankten manchmal von einem Tag auf den anderen um das zwölffache. Jetzt wartete er vier Monatsgehälter und kaufte einen grauen Mazda, schnell und geschmeidig wie eine Raubkatze.

Nur eine 2 plus? Wie konnte das denn passieren?

Wenn wir andere Polen im Supermarkt hörten, rollten wir noch immer mit den Augen. „Nur weil ich Polen im Ausland treffe, heißt das ja nicht, dass sie meine Freunde werden müssen“, sagte mein Vater. Deutsch bedeutete Erfolg und Geld. Polnisch bedeutete Armut. Und etwas Dreck.

Mit aller Macht wollten wir verhindern, dass man auf uns herabsah.

Mit sieben wurde ich eingeschult. Meine Mutter wiederholte es wie das Vaterunser: „Du musst dich mehr anstrengen als die deutschen Kinder.“ Wenn ich mit einer 2 plus nach Hause kam, legte sich ihre Stirn in Falten. Wo denn das Problem gewesen sei?

Zahnpasta mit Erdbeergeschmack. Benjamin Blümchen. Eis in der Form eines Buntstifts. Wurst in der Form eines Bärchens. 4You-Schulranzen. Levi's-Jeans.

Urlaub in Schweden. Urlaub auf Capri.

Aktien. Schiffsanteile, um Steuern zu sparen.

Wir wollten Freiheit. Und bekamen Kapitalismus.

Es gab auch die Sommer, wie sie schon immer waren. Wir Schwestern mit unseren Großeltern, in unserem Wald in Polen, unser Zelt, unsere zwei Seen, unsere Birken, unser Moos, unser Feuer.

Unsere Eltern blieben in Berlin. Arbeiten.

Das bisschen Arbeitslosengeld, das sie bezogen hatten, hatten sie tausendfach mit Steuern zurückgezahlt. Die Rechnung war beglichen.

Meine Mutter stand nervös in der Küche, als sie deutsche Freunde zum Essen einlud. Was sollte sie kochen? Es gab dann Tomate mit Mozzarella, Lasagne und Tiramisu. Von Piroggen hatte sie genug.

Mittlerweile besaßen wir einen 3er BMW in Grünmetallic. Diese Blicke, wenn wir damit durch polnische Dörfer fuhren. Wir parkten auf bewachten Parkplätzen, natürlich, und mein Vater befestigte die Lenkradsperre. Unser neues Leben wurde beäugt. Von Fremden, aber auch von Tanten, Onkels, Kusinen, die in Polen geblieben waren.

In Deutschland schämten wir uns dafür, arme Polen zu sein. In Polen schämten wir uns dafür, reiche Deutsche zu sein. Wir fühlten uns wie die Wölfe im Schafspelz.

Ist das der Preis einer Integration? Die Unsichtbarkeit? Die Scham?

„Tja“, sagt der polnische Historiker Robert Traba. „Die Generation Ihrer Eltern, die damals zu Hunderttausenden nach Deutschland kam, litt unter einem Minderwertigkeitskomplex. Sie hatte das Gefühl, etwas aufholen zu müssen, was die Deutschen ihnen voraus hatten. Der Druck, so zu werden wie die Deutschen, war groß. Sie haben sich nicht integriert, sondern assimiliert. Assimilation aber führt ins Nichts.“

Heute belächeln wir diesen Minderwertigkeitskomplex und gründen Kulturvereine wie den „Club der polnischen Versager“. Damals konnten Deutschland und Polen unterschiedlicher kaum sein. Sozialismus und Kapitalismus, Arm und Reich, Grau und Glitzer. Wer schämte sich da nicht, als Grauer?

Meine zweite Schwester wurde geboren. Meine Eltern kauften ein Grundstück. Mit Garten. Sie stritten sich jetzt öfter. Meine Mutter wollte Designerstühle, mein Vater fand sie zu bunt.

In der Schule sprachen wir zum gefühlt zehnten Mal über das Dritte Reich. Lasen „Jakob der Lügner“ und „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. Lasst mich endlich in Ruhe mit diesen bescheuerten Nazis! Der Lehrer schaute irritiert. Ach, war die nicht aus Polen? Tja, dachte ich, jetzt fragst du dich, wie viele aus meiner Familie vergast wurden.

Dabei interessierte mich das Thema brennend. Politik überhaupt. Nur konnte ich nichts anfangen mit dem kollektiven Schuldgefühl der Deutschen. Was sie wohl in polnischen Schulen lehrten?

Denkt ein Deutscher an Italien, sieht er Pizza. Denkt ein Deutscher an Polen, sieht er das Tor von Auschwitz.

Bismarck, Hitler, Vertriebene. Brandts Kniefall in Warschau. Meine beiden Länder waren vor allem durch Schuld und Sühne verwoben. „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz“, hat neulich unser Bundespräsident gesagt. Genau das war lange Zeit mein Problem.

Wir waren das Auschwitz in Deutschland, die Opfer im Täterland. Und wollten uns als solche lieber nicht zu erkennen geben, vierzig Jahre nach Kriegsende. In Deutschland war doch jetzt so vieles anders, was sollten wir da in alten Wunden rühren. Lieber werden wie die Deutschen. Weg mit dem Unterschied.

In den USA ist das anders. In allen größeren Städten gibt es polnische Communitys, polnische Feste, polnische Läden. Und ob man samstagabends Piroggen oder Ribs essen geht, entscheidet lediglich der Appetit, nicht die Geschichte. Es gibt sie nicht zwischen Polen und den USA, nicht so.

Ich fing an zu studieren. Ging ins Ausland. Und fing mit der Zeit an, ein kleines Spiel zu spielen. Ich tanzte zwischen den Kulturen, bediente mich mal dieser, mal jener Identität, je nachdem, wie es besser passte. Auf deutschen Formularen hatte ich keine Lust auf Nachfragen und gab gar nicht erst meine polnische Herkunft an. Um Auslandsstipendien zu bekommen, schrieb ich seitenlange Motivationsschreiben über meine polnischen Wurzeln. Es hatte schizophrene Züge.

Sollte ich am Telefon meinen Namen buchstabieren, sagte ich „Siegfried Marta Emil Cäsar Heinrich Oskar Wilhelm Siegfried Kaufmann Ida“ und ließ unkommentiert, wenn jemand mein akzentfreies Deutsch lobte.

Meine Eltern schämen sich noch heute, wenn sie merken, dass sie einen winzigen Grammatikfehler gemacht haben. Mein Vater ist mittlerweile Chefarzt. Je höher er aufsteigt, desto mehr muss er darauf achten, keine Fehler zu machen, sagt er. Meine Mutter verwechselt noch immer „der, die, das“. Sie sagt „Witzbeutel“, wenn sie Witzbold meint. Und „Tiefkultur“ statt Tiefkühltruhe.

Wenn ich heute meine Eltern frage, warum sie sich so unsichtbar gemacht haben, sagt mein Vater, man schämte sich eben damals als Pole, und meine Mutter sagt, sie hatte Angst, es sonst nicht zu schaffen.

„Es ist verständlich, dass unsere Eltern so reagiert haben“, sagt Katharina Blumberg-Stankiewicz. Als Politikwissenschaftlerin promoviert sie über die unsichtbaren Polen. „Aber man sieht, wie wir als zweite Generation darauf reagieren. Wir straucheln. Und holen uns irgendwann das Polnische zurück.“

Manchmal steht, wer glaubt, sich entscheiden zu müssen, am Ende verloren da. Assimilation ist kein Ankommen, es ist ein Versteckspiel.

Der Versuch, mich zu de-assimilieren, führt mich nach Polen. Als ich beruflich zwei Monate in Warschau verbringe, fühlt es sich irgendwie schräg an. Ich bin erwachsen, schwanger, will arbeiten. Aber am liebsten würde ich mich mit meiner Oma an der Hand in der nächsten Bäckerei anstellen, für ein Mohn-Quark-Teilchen. Nur ist meine Oma mittlerweile tot.

Ich lese polnische Geschichtsbücher und polnische Lyrik, gehe in die Botschaft und will meine polnische Staatsbürgerschaft zurück. Nicht aus Prinzip. Ich will wählen gehen. Wie ich es in Deutschland seit dreizehn Jahren tue.

Als die CSU vorschlägt, wir Migranten sollten zu Hause besser deutsch reden, bringen wir unserer Tochter gerade bei, dass „spac“ und „schlafen“ das Gleiche bedeuten, dass „babcia“ und „Oma“ dieselbe Person ist.

Eine Initiative von polnischen Frauen, die sich „Zwischen den Polen“ nennt, veranstaltet eine Weihnachtsfeier. Wir essen Mandarinen und reden über unseren Heiligabend zu Hause. Über das Extragedeck für den fremden Gast, das Warten auf den ersten Stern, darüber, wie wir die große Oblate geteilt haben.

Bin ich jetzt rückwärtsgewandt? Konservativ? Oder lebe ich einfach nur mein eigenes Multikulti?

Deutschland, so heißt es, ist das zweitbeliebteste Einwanderungsland der Welt geworden. Die Politik hat sich ein Wortungetüm ausgedacht, um all die Angekommenen zu vereinen. Aber auch wir „Menschen mit Migrationshintergrund“ wissen nicht, wie wir lieber genannt werden wollen. „Neue Deutsche“? „Menschen mit ausländischen Wurzeln“? „Hybride Identitäten“?

Egal, welches Label wir uns geben: Den Unterschied lässt es nicht verschwinden.

Soll es auch nicht. Ich will als Frau die gleichen Rechte wie ein Mann, das gleiche Gehalt, die gleichen Aufstiegschancen. Das heißt doch aber auch nicht, dass ich ein Mann sein will.

Ich habe heute wieder zwei Pässe – und will mich nie wieder entscheiden müssen. Ich bin weder „neue Deutsche“ noch „alte Polin“. Was bitte ist mit dem Dazwischen? Noch immer scheint ethnische Vielfalt ein Symbol für gescheiterte Integration zu sein. Wo keine homogene Masse zu sehen ist, wo man die Migranten als solche erkennt, muss etwas falsch gelaufen sein.

Die Polen als Vorbild der Integration? Hätten sich alle Migranten so „integriert“ wie wir, würden wir in Deutschland nur Schweinsbraten oder Grünkohl mit Pinkel essen und uns im Theater langweilen.

Die gehen ins Ausland, sind polnisch und stolz darauf!

Danzig, Breslau, nochmal Warschau. Ich schreibe über polnische Obdachlose und die boomende Wirtschaft. Sehe Hipster und Hochhäuser und spreche mit Jugendlichen und denke: Die kennen den polnischen Minderwertigkeitskomplex gar nicht! Die gehen ins Ausland und sind polnisch und stolz drauf!

Mein Heimatland hat sich verändert. Wie kein anderes aus dem ehemaligen Ostblock hat es den Systemwechsel geschafft – aus eigener Kraft. 2009 war es das einzige Land in Europa, das trotz Eurokrise ein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen hatte. Das britische Magazin Economist schrieb: Seit dem 16. Jahrhundert war Polen nicht mehr so wohlhabend, friedlich, vereint und einflussreich.

Polen wird heute bewundert, nicht belächelt.

Und wir?

Haben diese Entwicklung nur aus der Ferne beobachtet. Uns ist nun auch dieses Land ein bisschen fremd geworden.

Meine Mutter hat noch immer 50 Eier im Gepäck, jedes Mal, wenn sie in Polen war. Ein Ei ist dort mittlerweile genauso teuer wie hier.

Meine Schwester hat einen Deutschen geheiratet und heißt jetzt anders.

Mich kostet es noch immer Überwindung, polnisch über den Spielplatz zu rufen.

Sprachlich sei er irgendwie heimatlos geworden, sagt mein Vater. Er spricht jetzt seine Muttersprache mit deutschem Akzent.

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38 Kommentare

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  • Die Senfgläser sind absichtlich so. Waren schon immer so. Hatten wir eine ganzes Regal von voll, damals, in den 1980-90ern.

     

    Heutzutage nennt man das Upcycling.

     

    Wenn ich "Polen" höre, denke ich an Andrzej Sapkowski, nicht Auschwitz.

     

    Ah, natürlich gibt es da Zusammenhänge.

  • Und ich bin eine kleine Elfe, ein Franzose, oder auch ein Polen, wenn ich nur eines Tages beschließe mich selbst so zu definieren. Die Voraussetzungen dafür bestimme ich ganz alleine. Gell?

     

    Die Wirklichkeit läuft dann doch nicht so. Die Identität setzt sich aus Fremd und Eigenwahrnehmung zusammen und die Voraussetzungen dazu sind wie alles Sprachlich unmöglich ganz genau zu definieren, aber nicht beliebig.

     

    Und natürlich gehen verschiedene kulturelle Identitäten auch mit Nachteilen einher. Allein schon weil so etwas Zeit kostet, die leider endlich ist. Kann ich die Sprache und die kulturellen Codes in einem Bereich nur ungenügend, weil ich die Zeit für den anderen Bereich aufwendete, werde ich ungewollt anecken. Alles hat seinen Preis. Bier zuhause wurde Russisch gesprochen und ich spürte automatisch Nachteile in einer nichtrussischen Umgebung, weil im Deutschen Defizite vorlagen.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Reinhold:

      Da sie nicht mehr auf meine Beiträge geantwortet haben, haben Sie selbst bewiesen, dass sie meinen Sachargumenten keine Gegenargumente mehr entgegenzusetzen haben...

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Reinhold:

      „Und ich bin eine kleine Elfe, ein Franzose, oder auch ein Polen, wenn ich nur eines Tages beschließe mich selbst so zu definieren. Die Voraussetzungen dafür bestimme ich ganz alleine. Gell?“

       

      Da Sie nur eine lächerliche Übertreibung und billige Polemik aufzbieten haben, stehen sie ganz offensichtlich ohne Argumente da.

       

      „Die Wirklichkeit läuft dann doch nicht so. Die Identität setzt sich aus Fremd und Eigenwahrnehmung zusammen und die Voraussetzungen dazu sind wie alles Sprachlich unmöglich ganz genau zu definieren, aber nicht beliebig.„

       

      Diese sogenannte Fremdwahrnehmung ist aber auch stets uneinheitlich und von jedem einzelnen Betrachter (und dessen subjektiv-ideologischer Meinung) abhänging und von Person zu Person des Umfelds oft abweichend. In meinem Leben gab es genug Deutsche, die mich als Polacke absteppelten und andere die mich wieder zum „reinen“ Deutschen machen wollten, in Polen gab es wieder die, die mich als Polen sehen wollten, die anderen als Deutschen. Daher braucht mich diese willkührliche Fremdwahrnehmung nicht mehr zu interessieren. In dem ich selbstbewusst sage, wer ich bin, bestimme ich wer ich bin. Ich brauche niemanden der mir erklärt wer ich bin, wer ich nicht bin oder wer ich zu sein habe. Wer sich von anderen Vorschreiben lässt, wer er ist, kapituliert und gibt sich selber auf!

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @4845 (Profil gelöscht):

        „Und natürlich gehen verschiedene kulturelle Identitäten auch mit Nachteilen einher. Allein schon weil so etwas Zeit kostet, die leider endlich ist. Kann ich die Sprache und die kulturellen Codes in einem Bereich nur ungenügend, weil ich die Zeit für den anderen Bereich aufwendete, werde ich ungewollt anecken.Alles hat seinen Preis. “

        So ein Unsinn. Als wäre es eine Kosten-Zeit-Rechnung. Als müsse man dies studieren.Diese Dinge gehören zum alltäglichen Leben und begleiten und von Klein auf jeden Tag, oft fast unmerklich nebenher.

         

        „Bier zuhause wurde Russisch gesprochen und ich spürte automatisch Nachteile in einer nichtrussischen Umgebung, weil im Deutschen Defizite vorlagen.“

        Komisch, bei uns war das nie ein Problem. Im Elternhaus eines meiner Elternteile wurdde zu Hause nur polnisch gesprochen und alle beherrschten als Kinder auserhaus spielend Schwäbisch. Ich sprach in meinem Elternhaus zuhause Schwäbisch und lernte als Kind anderenorts spieliersch Polnisch. Das bei Ihnen vorhandene Problem muss wohl an Ihnen persönlich liegen.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @4845 (Profil gelöscht):

        „Und natürlich gehen verschiedene kulturelle Identitäten auch mit Nachteilen einher. Allein schon weil so etwas Zeit kostet, die leider endlich ist. Kann ich die Sprache und die kulturellen Codes in einem Bereich nur ungenügend, weil ich die Zeit für den anderen Bereich aufwendete, werde ich ungewollt anecken.Alles hat seinen Preis. “

        So ein Unsinn. Als wäre es eine Kosten-Zeit-Rechnung. Als müsse man dies studieren.Diese Dinge gehören zum alltäglichen Leben und begleiten und von Klein auf jeden Tag, oft fast unmerklich nebenher.

         

        „Bier zuhause wurde Russisch gesprochen und ich spürte automatisch Nachteile in einer nichtrussischen Umgebung, weil im Deutschen Defizite vorlagen.“

        Das mögen wohl Ihre ganz persönlichen Erfahrungen und Probleme gewesen sein. Dass es aber eben auch andere Erfahrungen mit Zweisprachigkeit gibt, ignorieren Sie dabei völlig.

  • Es ist nicht unbedingt alles nur nachteilig mehrere Identitäten durch Umzug oder mit Eltern unterschiedlicher Herkünft zu haben. Es mag zeitweise damit Herausforderungen geben, aber längerfristig eignet man sich viel Kenntnisse und Sprachwissen usw dadurch, was einem stärken und Vorteile bringen kann.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Edwin Gomez:

      "Es ist nicht unbedingt alles nur nachteilig mehrere Identitäten durch Umzug oder mit Eltern unterschiedlicher Herkünft zu haben."

       

      Es ist überhaupt kein Nachteil! Es ist ein persönlicher Gewinn in jeglicher Hinsicht.

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    „Ich gehe auch mal ganz stark davon aus, dass sie in Polen inzwischen eher als Deutscher wahrgenommen werden.“

    Abgesehen davon, dass Sie sich auch hier wieder irren: Es ist völlig unerheblich wie ich in Polen, Deutschland oder sonst wo wahrgenommen werde. Allein entscheidend ist, was ich bin. Und dies wiederum resultiert allein daraus wie ich mich selbst definiere. Die Definition meiner nationalen Identitäten steht nur mir alleine zu, niemand hat das Recht mir zu erklären wer ich bin oder nicht bin. Darum bin sowohl Deutscher als auch Pole (meine beiden Staatsbürgerschaften sind nur noch der formal-juristische Ausdruck dieses Tatsache) und das hat auch gefälligst jeder zu akzeptieren!

     

    „Im Ruhrgebiet gibt es etliche Nowaks, Pawlaks und Nowitzkis, deren Vorfahren mal Polnisch konnten, noch aus dem neunzehnten Jahrhundert. Eine Tragödie des "Nichts"? Ich denke nicht.“

    Zunächst mal, auch im Ruhrpott gibt es nochpolnisch stämmige Deutsche die sich ihrer Abstammung bewusst sind und ihre polnische Sprache und Tradtionen pflegen. Natürlich ist es die freie Entscheidug eines jeden Individuums ob sie beide Kulturen pflegt oder ob sie sich letztlich assimilieren lässt. Im letzteren Fall ist es aber zumindest schade, dass die Person die Chance eines persönlich erweiterten kulturellen Reichtums verstreichen lässt.

    Abschließend bleibt also als Fazit noch zu sagen:

    Als Einwanderer oder Nachfahre von Einwanderern sich zwei oderer mehreren Kulturkreisen zugehörig zu fühlen und mehere Sprachen und Kulturen zu pflegen ist ein persönlicher und letztlich auch ein gesellschaftlicher Gewinn und eben keines Falls ein Nachteil oder Defizit!

  • In den meisten westlichen Ländern ist derweil möglich mehrere Identitäten und Pässe zu haben und es gibt immer mehr Leute die unterschiedlichen Herkünfte haben. Auch unterschiedliche Hautfarbe zu haben hat sich ein stückweit normalisiert. Leider hat DE historisch bedingt weniger Erfahrung mit Ausländern und die nicht flexible Mentalität macht es schwieriger zu integrieren. Der Artikel beschreibt sehr gut den Unterschied zwischen Assymilation und Integration. Die veraltete Sichtweise oder Weltanschauung, die in DE immer noch überall herrscht, daß jedes Volk und jede Rasse in einem getrennten Gebiet wohnt gibt's immer weniger. Gerade in den westlichen Ländern ist die Gesellschaft sehr bunt geworden.

  • Schöner Artikel, der die Ambivalenzen deutlich macht.

    Wer migriert - innerhalb eines Landes oder weit weg - verliert ein Stück seine Heimat, seine Wurzeln.

    Jede_r Migrant_in steht zwischen den Kulturen. Wer in der eigenen Community bleibt und die Sprache des Landes nicht spricht, wird nicht nur im neuen Land ewig fremd bleiben, sondern auch sich vom Heimatland trotzdem entfremden. Wer sich assimiliert und die alte Heimat verleugnet wird nicht nur die alte Heimat verlieren sondern auch in der neuen Heimat ein wenig fremd bleiben.

    Weder Assimilation noch Integration noch Abgrenzung können das emotionale Identitätsproblem "lösen" - noch sind sie Ursache für dieses Problem. Wer migriert entdeckt neue Welten und bekommt einen erweiterten Horizont - verliert aber das Heimatgefühl.

    Freiwillige Assimilation - d.h. die Annahme einer neuen Identität unter Aufgabe der bisherigen Identität als persönliche Wahl ist nicht zu kritisieren und auch nicht Ursache für die Orientierungslosigkeit zwischen den Kulturen. Problematisch war die damals vorherrschende Polenfeindlichkeit, die einen Druck ausgeübt hat, sich zu assimilieren.

  • Was dann zum vorletzten Punkt führt. Wenn man einwandert, hat man auch eine gewisse Verpflichtung gegenüber der neuen Gesellschaft. Das Interesse der Deutschen auch weiterhin ihre Kultur zu bewahren hat ebenfalls Gewicht. Zuwanderung zu erlauben ist kein Naturgesetz.

     

    Der letzte Punkt betrifft die Unsichtbarkeit. Die Polen sind weiße Europäer, wie auch der durchschnittliche Deutsche. Da kann man sich unsichtbar machen. Für Jemanden mit einem Migrationshintergrund, der nicht weiter von dem deutschen Kulturraum entfernt ist und vielleicht sogar sofort ins Auge springt ist es deutlich schwerer. Das akzentfreie Deutsch wird einem Schwarzen selbst in dritter Generation immer wieder vor Situationen stellen, die schwierig sein können. Vorausgesetzt natürlich man setzte Kinder auch weiterhin nur innerhalb der eigenen Hautfarbe in die Welt. Gilt auch umgekehrt. Würde ich nach China auswandern und innerhalb der weissen Community bleiben, würden die Enkel weiterhin Nachfragen bekommen, woher man den komme? Jedenfalls solange bis der Durchschnitt der Chinesen asiatische Züge.

     

    An den Moderator: Wenn es geht, den Beitrag zusammenhängenden veröffentlichen.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Reinhold:

      Und weiter:;

       

      (3) Die Vertragsparteien erklären, daß die in Absatz 1 genannten Personen insbesondere das Recht haben, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe sich privat und in der Öffentlichkeit ihrer Muttersprache frei zu bedienen, in ihr Informationen zu verbreiten und auszutauschen und dazu Zugang zu haben,ihre eigenen Bildungs-, Kultur- und Religionseinrichtungen, -organisationen oder vereinigungen zu gründen und zu unterhalten,[...]

       

      (4) Die Vertragsparteien bekräftigen, daß die Zugehörigkeit zu den in Absatz 1 genannten Gruppen Angelegenheit der persönlichen Entscheidung eines Menschen ist, die für ihn keinen Nachteil mit sich bringen darf.

      • @4845 (Profil gelöscht):

        Niemand spricht ihnen ihre rechte ab. Das mit dem Gebot der Höflichkeit haben sie vielleicht überlesen? Ich rede auch nicht lauthals Russisch, wenn es nicht sein muss und bin genervt wenn es Andere tun. Der Rest könnte denken, dass ich über sie rede. Im Gegensatz zu polnischen Aussiedlern, neigen Russlanddeutsche aber dazu. Entsprechend lässt die deutsche Sprache dort zu wünschen übrig, mit den entsprechenden Auswirkungen.

         

        Dass sie ihre Herkunft nicht vergessen ist schön und gut. Was ich meinte, dass es verwischt. In den USA bekennen sich auch Etliche zu ihren deutschen oder polnischen Wurzeln, kennen die Sprache aber nicht mehr. Das ist dann Folklore und ein ganz normaler Vorgang. Ich gehe auch mal ganz stark davon aus, dass sie in Polen inzwischen eher als Deutscher wahrgenommen werden. Im Ruhrgebiet gibt es etliche Nowaks, Pawlaks und Nowitzkis, deren Vorfahren mal Polnisch konnten, noch aus dem neunzehnten Jahrhundert. Eine Tragödie des "Nichts"? Ich denke nicht.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Reinhold:

      Apropos Recht:

       

      Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991

       

      Artikel 20

       

      (1) Die Angehörigen der deutschen Minderheit in der Republik Polen, das heißt Personen polnischer Staatsangehörigkeit, die deutscher Abstammung sind oder die sich zur deutschen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen, sowie Personen deutscher Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, die polnischer Abstammung sind oder die sich zur polnischen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen, haben das Recht, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln; frei von jeglichen Versuchen, gegen ihren Willen assimiliert zu werden. Sie haben das Recht, ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne jegliche Diskriminierung und in voller Gleichheit vor dem Gesetz voll und wirksam auszuüben.

    • @Reinhold:

      Die drei Beiträge sind ja rein inhaltlich so wirr, was soll da ein Moderator noch retten?

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @Eric Manneschmidt:

        @Reinhold

        „Niemand spricht ihnen ihre rechte ab.“

        Was würden mir dann diese Rechte nutzen, wenn ich mich in Ausübung meiner Muttersprachen selbst beschränken würde, nur weil Sie oder sich sonst jemand – auch nur möglicherweise – an meiner polnischen Sprache oder meinem schwäbischen Dialekt stören könnte?

         

        „Das mit dem Gebot der Höflichkeit haben sie vielleicht überlesen?“

        Es ist vielmehr ein Gebot der Höflichkeit, sich innerhalb einer Gruppe zur Kommunikation der Sprache zu bedienen die alle (möglichst gleich gut) beherrschen, egal ob im prviaten oder öffentliche Raum. Dass kann also je nach Erfordernis die vorherrschende Landessprache oder eben ein davon abweichender Dialekt oder eine abweichende Sprache sein. In einer freien und pluralen Gesellschaft hat dies das Umfeld auch zu tolerieren. Ausenstehende geht weder etwas das Gesprächstehma, noch die für die Kommunikation verwendete Sprache etwas an.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @Eric Manneschmidt:

        „Ich rede auch nicht lauthals Russisch, wenn es nicht sein muss und bin genervt wenn es Andere tun. Der Rest könnte denken, dass ich über sie rede.“

        Nun, das ist Ihre persönliche Entscheidung und Sache. Ich bin flexibel und kann mit meinem Gegenüber je nach Erfordernis in vier Sprachen kommunizieren: Schwäbisch, Polnisch, Schriftdeutsch oder Englisch. Das ist allein die freie Entscheidung meiner Gesprächspartner und mir. Was Ausenstehende, nicht in das Gespräche und die Gruppe involvierte Personen, dabei denken mögen, braucht uns dabei nicht zu interessieren.

         

        „Dass sie ihre Herkunft nicht vergessen ist schön und gut.“

        Ich habe sie nicht nur vergessen, ich lebe diese auch. Ich gehöre zwei großen europäischen Kulturnationen an.

         

        „Was ich meinte, dass es verwischt. In den USA bekennen sich auch Etliche zu ihren deutschen oder polnischen Wurzeln, kennen die Sprache aber nicht mehr. Das ist dann Folklore und ein ganz normaler Vorgang.“

        Dann sind Sie aber falsch informiert. Neben den zahlreichen assimilierten Nachfahren von Einwanderern gibt es immer noch sehr viele Amerikaner sich genauso als Deutsche, Polen, Iren etc. fühlen und diese durch eine lebendige Gemeinschaft und aktive Organisationen zum Ausdruck bringen. Diese Menschen identifizieren sich mit Ihrer Heimat Amerkia genauso wie mit dem Vaterland ihrer Abstammung. Das ist nichts ungewöhnliches und etwas völlig normales. Dass dies weit mehr als oberflächliche Folklore ist, beweist u.a. die sehr lebendige polnische Community in Chicago.

  • Ansonsten kann man nur sagen, dass die Auswanderung selbstverständlich einen Preis hat. Man muss mühsam die Sprache und die neuen Umgangsformen erlernen. Die Kinder haben es ebenfalls nicht leicht. Selbst wenn sie sich die "polnischen Wurzeln" zurückholen, ist es mehr ein Wunschdenken, denn sie sind nicht in der polnischen Gesellschaft aufgewachsen. In der dritten Generation sollten dann die Spuren verwischt sein, wenn alles glatt gelaufen ist.

     

    Hätten sich alle Anderen ein Beispiel an den Polen genommen, wäre es schlechter gewesen? Den miesen Witz über Sauerbraten kommentiere ich mal nicht. Nein, wäre es nicht. Die Aufstiegsmöglichkeiten der Kinder wären Andere gewesen. Als Russlanddeutscher kann ich da aus eigener Erfahrung sprechen. Der Teil der Familie, der die polnische Tour gefahren ist, steht heute besser da. Die Verweigerung führte umgekehrt zu einer Abkapslung, die auch mit einer Verachtung gegenüber den "Nemzi" gemischt wird: "Sie haben keinen Humor". Natürlich haben die Deutschen von dem Standpunkt aus keinen Humor, da man selbst nur bedingt in der Lage ist, die Anspielungen zu verstehen.

     

    Was daran so toll sein soll, sich zu trauen in Deutschland auf einem Spielplatz etwas auf polnisch zu rufen, verstehe ich nicht. Es ist ein Gebot der Höflichkeit sich in der Öffentlichkeit in der gängigen Verkehrssprache zu unterhalten. Die ist in Deutschland Deutsch und nicht Polnisch oder Russisch. Zumal man so auch leichter die Sprache lernt.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Reinhold:

      „In der dritten Generation sollten dann die Spuren verwischt sein, wenn alles glatt gelaufen ist. „

       

      Das sollten sie nicht und das müssen sie auch nicht. Man kann sehr wohl in die Gesellschaft integriert sein, ohne seine Herkuft zu verleugnen oder gar zu verlieren. Ich habe auch in der dritten Generation meine polnische Herkunft von einer Familienseiten nicht vergessen und nicht verloren. Dass ich den diesen Bezug nicht verloren habe, darauf bin ich stolz. Ich stehe zu dieser Abstammung.

       

      „Was daran so toll sein soll, sich zu trauen in Deutschland auf einem Spielplatz etwas auf polnisch zu rufen, verstehe ich nicht. Es ist ein Gebot der Höflichkeit sich in der Öffentlichkeit in der gängigen Verkehrssprache zu unterhalten. Die ist in Deutschland Deutsch und nicht Polnisch oder Russisch. Zumal man so auch leichter die Sprache lernt.“

       

      Es ist aber auch nichts dabei sich in Deutschland in der Öffentlichkeit polnisch zu unterhalten. Schließlich ist es ein freies Land und freie persönliche Entfaltung ist ein Grundrecht. Zumal Zweisprachigkeit ein Gewinn ist.

  • Die Linke neigt halt dazu den Nationalismus der Minderheiten zu verklären, da man meint ihn gegen den Nationalismus der Mehrheit im jeweiligen Land instrumentalisieren zu können. Was dann dazu nicht selten führen kann, dass sich Vertreter von Minderheiten im Bezug auf ihren Hintergrund, in der Hinsicht, "nicht für ihre Herkunft schämen", die sie als Linke im Bezug auf die Mehrheitsgesellschaft anprangern würden. Ist sozusagen eine Nische, die die Linke da bietet, in der selbst offen rassistische Ansichten geäussert werden können, solange sie aus der Position der Minderheit erfolgen. So extrem ist es in dem Artikel nicht, allerdings weisen solche Sätze wie "Assimilation führt ins Nichts", doch deutlich die Widersprüche auf. Die Artikelschreiberin zitiert hier einen polnischen Historiker, der den Auslandspolen eigentlich ziemlich deutlich Verrat an der polnischen Nation vorwirft.

     

    Was ist den das Nichts? Das Nichts waren für die polnischen Einwanderer soziale Aufstiegsmöglichkeiten. Hätten sie die Sprache nicht perfekt gelernt - womit nicht nur der Wortschatz, sondern auch die unsichtbaren Bedeutungen gemeint sind (Witze, Betonungen) hätte es automatische Hürden mit sich gebracht. Das muss nicht einmal fremdenfeindliche Züge haben. Wenn man einander nicht versteht, entstehen Schwierigkeiten in der Kommunikation, die selbstverständlich für die Minderheit in den Folgen gravierender ausfallen. Der Deutsche der die polnische Kommunikation nicht versteht und so aneckt, kann sich leichter eine andere berufliche Umgebung aussuchen als umgekehrt.

  • Vielen Dank für diese "Innenansicht". Sie kommt mir seltsam bekannt vor.

     

    Auch ich war Deutsche, noch bevor ich wusste, wie man in Deutschland lebt. Nur ist das niemandem aufgefallen. Ich brauchte keinen Deutschkurs absolvieren. Deutsch war ja schließlich meine Muttersprache. Das Land, aus dem ich kam, hat eher ausgesehn wie Polen. Bis heute spielt das keine Rolle.

     

    Ich will die "Integrationsleistung" der Polen nicht schmälern. Eine Sprache so perfekt zu lernen, dass man in ihr träumt, ist wirklich schwer. Ich möchte bloß drauf hinweisen, dass Sprache nicht das einzige Kriterium sein kann. Die größte Immigrantengruppe kommt gar nicht aus Polen. Sie kommt aus der DDR. Es gibt zwar 2 Millionen gebürtige Polen hier, aber mehr als 15 Millionen Ossis.

     

    Uns Ossis allerdings nimmt man noch weniger wahr als Polen oder Russen. Das ist auch gut so, denken wir – und nutzen unsre Chance auf Assimilation, die größer ist als die der Anderen. Und weil Erfolg und Aufstieg alles sind in diesem Land, wollen auch Ossis gerne ganz nach oben. Da wollen sie dann sichtbar sein, weil sie sich nicht mehr fürchten müssen als Besser-Wessis, die ihre Klamotten nicht mehr selber nähen und deren Friseure ihre Schnitte in New York oder Paris abkupfern. Sind wir erst einmal oben, dann reden wir auch wie die "echten" Deutschen. Wenn wir nicht wollen, hört uns niemand an, wo wir geboren sind.

     

    Und doch: Auch wir empfinden manchmal Spannungen. Das Angebot der neuen großen Brüder, nicht mehr zu reden über irgendwelche Unterschiede, haben wir Ossis deshalb dankbar angenommen. Es gab zu viele Witze über uns. Wer Angst hat, ist ganz gerne unsichtbar. Es gibt auch Studien über uns. Sie sagen, es sei ein Erfolg, wenn man uns nicht mehr wahrnimmt als die Anderen. Dass wir die alte Identität einmal vermissen würden, haben die wenigsten von uns geahnt im Frühjahr 1990. Die Pegidisten haben sie es bis heute nicht kapiert. Der Führer wäre stolz auf sie.

    • @mowgli:

      Trösten Sie sich.

      Der Staat, in dem ich groß wurde, gibt es leider auch nicht mehr. Es war die BRD in den Grenzen von 1989.

      Das war ein schöner Staat.Er lebte nicht so sehr vom nationalen Patriotismus wie die heutige BRD, sondern eher von seinen verfassungsmäßigen Werten. Es gab keine Kriege, in die man verwickelt war und es gab keine Menschen, die in Mülltonnen wühlen mussten, um zu überleben. Es gab eher ein Sozialsystem, dass mit dem heutigen in Skandinavien oder den Niederlande vergleichbar war. Es gab das im Artikel Arbeitslosengeld und später die Arbeitslosenhilfe. Allerdings mussten die Menschen, die in der BRD geboren waren, anders als Polen oder Ossis dafür auch in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Aber man konnte dann davon leben und wurde nicht wie ein Asozialer abgespeist nach einem Jahr, wenn man 25 Jahre lang dort eingezahlt hatte.

      Ab 1990 wurde dieser Staat dann langsam, faktisch unmerklich abgeschafft bis er später durch rotgrün endgültig jenseits von Schweden ankam.

  • "Wie kein anderes aus dem ehemaligen Ostblock hat es den Systemwechsel geschafft - aus eigener Kraft."

     

    Den Systemwechsel in ein System, welches Euch noch auffressen wird.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Nun, der realexistierende Sozialismus hat Polen mit Sicherheit aufgefressen. Ob das der Kapitalismus auch schafft, muss sich erst noch zeigen.

  • "....es reichte trotzdem gerade für einen mittleren Standard."

     

    Ist das nicht genug? Die meisten Menschen haben viel weniger als das.

  • Mein Gott! Die ganze Welt ist froh, nicht deutsch zu sein und manche werden es noch freiwillig...

  • Irgendwie Quatsch... Scheint so zu sein, dass Deutschland für diese Person wie American Dream vorkam und sie sich jetzt wie eine ohne Nationalität gebliebene fast eingedeutschte Nichtdeutsche fühlt. Ach ja nicht vergessen, Ausländer ist ja ein verbotenes Wort inzwischen geworden...

    • @Evelyn Seibert:

      Ja, das haben wir gern. Für den Wohlstand alles Andere drangeben und hinterher scheinheilig jammern.

  • Herzlichen Dank !

    Jetzt kann ich, Jahrgang '45 - Niederschlesien, die "turbulente" Begegnung mit einer ca. 10 Jahre jüngeren Frau aus Polen, vor ein paar Jahren wesentlich besser einordnen ... !

  • Polen ist jetzt irgendwie wie Deutschland geworden, oder?

    Turbodeutschland.

    Herzlichen Glückwunsch.

     

    Und 'spac' schreibt man eigentlich 'spać'.

    Polnische Sonderzeichen mögen die deutschen Zeitungen aber nicht.

    François statt Francois funktioniert komischerweise irgendwie.

    'Utøya' statt 'utoya' oder 'utöya' auch.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Eric Manneschmidt:

      Ein Schelm wer böses dabei denkt...

  • Bewegend!

  • "Die kennen den polnischen Minderwertigkeitskomplex gar nicht! Die gehen ins Ausland und sind polnisch und stolz drauf!"

     

    Da ist es wieder, dieses böse "wir sind wieder wer" das Ihren Eltern Angst machte. Der aufkeimende Nationalismus.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @DasNiveau:

      Der Beitrag hat gar nichts mit Nationalismus zu tun. Es gehöt um persönliche Identiät und die kulturelle und nationale Zugehörigkeit bzw. Abstammung ist Teil der individuellen Identität. Das ist nichts worauf man stolz sein muss, aber auch nichts wo für man sich schämen muss. Anstatt seine Abstammung zu verleugnen ist es völlig in Ordnung dazu zu stehen.

    • @DasNiveau:

      ich vermute, es geht nicht um Nationalsimus, sondern vielmehr darum, dass es zur Identität gehört. Wenn wir Dinge ausblenden, die zu uns gehören macht uns das unglücklich und depressiv. Ich bin sogar der Überzeugung, dass die Ausblendung dieser Vergangenheit zu negativem Nationalismus führen kann. Es ist eine Gratwanderung, nicht zu in die Haltung: "jetzt erst recht" reinzurutschen. Außerdem ist auch drauf zu achten, nicht in Schuldzuweisungen zurückzufallen. Es geht darum diese Anteile anzunehmen und sich selbst nicht zu diskredetieren aber auch darum zu überlegen wer wofür verantwortlich ist, meiner meinung nach.

    • @DasNiveau:

      Wer sonst nix hat, worauf stolz zu sein begründet wäre, der ist halt stolz auf die Nation, in die er zufällig geboren wurde.