: Die grüne Schleierfrage
Die wahlkämpfenden Grünen in Hamburg willigen in ein Niqab-Verbot an Schulen ein. In Kiel haben ihre Kollegen ein solches Verbot im Hochschulgesetz verhindert, und die dortige Grüne Jugend will auch in den Schulen kein Verbot: Sie wittert Hass auf den Islam
Von Kaija Kutter
In Hamburg sind plötzlich fast alle für das gesetzliche Verbot. Seit am Montag das Oberverwaltungsgericht entschied, dass eine 16-jährige Berufsschülerin ihr Gesicht hinter einen Tuch mit Schlitz verhüllen darf, geht es gar nicht schnell genug. Er dulde nicht, „dass Schüler ihr Gesicht verbergen“, sagte SPD-Schulsenator Ties Rabe. Er werde zügig das Gesetz so ändern, dass Verschleierung „unmissverständlich“ verboten ist.
Und auch die Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Fegebank sagte: „Burka und Niqab sind für mich Unterdrückungssymbole.“ Die Entscheidung zeige, dass es keine Grundlage für ein Vollverschleierungsverbot an Schulen gibt. „Das müssen wir jetzt schnell ändern.“
Wer schadenfroh feixte, war die Hamburger CDU. Spitzenkandidat Marcus Weinberg postete auf Facebook das Bild eines bärtigen Seemanns mit dem Satz „In Hamburg zeigen wir Gesicht“. SPD und Grüne hätten vor drei Jahren in Hamburg ein von der CDU gefordertes gesetzliches Niqab-Verbot verhindert. „Wenn Rot-Grün nicht gestaltet, entscheiden am Ende Gerichte.“
In der Tat gab es in der Bürgerschaft im März 2017 eine hitzige Debatte, angefeuert durch einen Radikalvorschlag der AfD, Vollschleier in der Öffentlichkeit ganz und gar zu verbieten. Die CDU bezog sich mit ihrem Antrag nur auf „sensible öffentliche Bereiche“ wie „Hochschulen und Schulen“. Die SPD und die Grünen lehnten das in dieser Form als nicht erforderlich ab. Habe doch die Hamburger Schulbehörde das Verbot einer Gesichtsverhüllung „klar kommuniziert und dies im Einzelfall auch konsequent durchgesetzt“. Zudem gebe es kaum Fälle. „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen“, zitierte ein SPD-Politiker den Philosophen Montesquieu.
Lasse Petersdotter, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen Schleswig-Holstein
Die rot-grüne Koalition in Hamburg dachte also, ein Verbot der Schulbehörde reiche aus. „Burkinis“ im Schwimmunterricht und Kopftücher seien ja zulässig, sagt Rabe nun. Mit dem Vollschleier jedoch werde die Grenze überschritten. Für gelingende Lernprozesse brauche man „Mimik und Gestik“. Mit der Begründung habe die Behörde den Vollschleier bisher untersagt. Er bedauere, „dass das Gericht unserer Rechtsauffassung nicht gefolgt ist und das Verschleierungsverbot aufgehoben hat“.
Die Schulaufsicht der Berufsschule, die das Mädchen nach Ende der 10. Klasse übergangsweise bis zum Antritt einer Ausbildung besucht, hatte zu drastischen Mitteln gegriffen. Die Mutter sollte ein Zwangsgeld von 500 Euro zahlen, würde ihr Kind weiter mit Vollschleier zur Schule kommen. Dagegen zog diese vor Gericht. Das hätte die Behörde schon formal nicht tun dürfen, befand nun das Gericht, dessen Beschluss in anonymisierter Form veröffentlicht ist.
Die Mutter trug vor, sie halte ihre Tochter weder dazu an noch davon ab, das Tuch zu tragen. Laut eines Vermerks in der Schülerakte übte sie aus Sicht der Schule erheblichen Druck auf das Mädchen aus, dies zu tun. Doch das Gericht sah kein Versäumnis. Die Eltern hätten bei einem noch schulpflichtigen Kind nur für das „Ob“ des Schulbesuchs zu sorgen, nicht für das „Wie“. Auch würde ein Schleier die Kommunikation nicht unmöglich machen, sondern nur erschweren, so die Richter.
Eine hat es gleich gewusst: Karin Prien, Juristin und im März 2017 noch CDU-Abgeordnete, als sie mit der SPD um das Thema stritt. Sie habe den Justitiar der Behörde direkt gefragt. „Wenn der erklären soll, woraus sich denn das Burkaverbot im Hamburger Schulgesetz ergibt, meine Güte, da hat er sich aber verdruckst. Das konnte er in Wahrheit gar nicht erklären.“ Das neue Urteil in Hamburg führt nun dazu, dass nicht nur in Hamburg, sondern auch in Schleswig-Holstein das Schulgesetz geändert wird, wo Karin Prien inzwischen CDU-Kultusministerin ist.
Auch in Niedersachsen war der Niqab Thema, als eine Osnabrücker Schülerin ihn trug. Dort wurde 2017 unter Rot-Grün im Schulgesetz verankert, dass Schüler nicht die Kommunikation „durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung“ erschweren dürfen.
In Hamburg rät nur die Linke davon ab. Vollverschleierung sei „nicht schön, aber kein Grund zur Aufregung“. Es sei fraglich, ob eine Änderung des Schulgesetzes überhaupt rechtens sein kann, warnt Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus. Auch die Linke sei kein Anhänger dieses Schleiers, aber „wir achten die Selbstbestimmung der Frauen“. Selbst bei Zweifeln an der Freiwilligkeit des Tragens sei ein Verbot falsch, da man „jeglichen Gesprächsfaden abreißen lässt“. Die Debatte mit Schaum vor dem Mund zu führen, sei „Wasser auf den Mühlen der Rechten“.
Auch Fegebank erhielt Contra. „Bin sehr enttäuscht, dass ihr auf dieses Pferd aufgesprungen seid“, schrieb ihr eine junge Frau auf Twitter. „Unterdrückung bekämpft man nicht auf dem Rücken von Frauen.“
Das sieht im Prinzip auch die Grünen-Fraktion in Schleswig-Holstein so. Dort entzündete sich der Streit an der zum Islam konvertierten Studentin Katharina K., die in Kiel Ernährungswissenschaft studiert und einen Niqab trägt. Die Uni-Leitung erließ deshalb 2019 eine Richtlinie, bat aber das Ministerium um eine rechtliche Regelung. Der Landtag führte im Dezember eine Anhörung durch. Diese sei ein „Kraftakt“ gewesen, teilte der Grüne Lasse Petersdotter vor einer Woche mit. Es sei ein „Kompendium zur Niqab-Debatte“ entstanden, das die bundesweite Debatte versachliche. Die Grünen-Fraktion spreche sich nun „einstimmig gegen ein Verbot der Vollverschleierung an Hochschulen“ aus.
Diese Pressemitteilung hat ihren Jamaika-Partner CDU, die so ein Gesetz plante, nicht erfreut. Doch am Montagabend verkündeten die drei Landeschefs von CDU, Grünen und FDP in Kiel einen Kompromiss. An den Schulen wird der Vollschleier verboten, an den Hochschulen nicht. Aber dort soll es „klare Regeln“ geben. Etwa darüber, dass bei Prüfungen die Identität der Studentin durch kurzes Lüften des Tuchs gegenüber einer Frau festgestellt werden muss oder dass in Laboren kein Schleier getragen wird. „Eine Rechtsgrundlage dafür wollen wir im Hochschulgesetz verankern“, sagt Priens Sprecher David Ermes. Die Details würden „derzeit diskutiert“.
„Studieren mit Niqab wird möglich sein, aber es ist notwendig, Einzelheiten im Gesetz zu regeln“, sagt auch Lasse Petersdotter. Entscheidend für die nun getroffene Differenzierung sei die Schulpflicht. „An der Uni würde man durch ein Verbot Frauen von Bildung fernhalten, an der Schule ist das nicht der Fall.“ Auch müsse die Lehrkraft wissen, ob das Kind anwesend ist.
Beendet ist der Streit auch bei den Grünen damit noch nicht. Eine frühere Bundestagsabgeordnete fordert in einem offenen Brief einen Kleinen Parteitag. Die Grünen liefen Gefahr, als „Steigbügelhalter für die Akzeptanz der Vollverschleierung von Frauen“ betrachtet zu werden. Das müsse die Basis verhindern.
Die Grüne Jugend „rebelliert“ gegen den Beschluss der Jamaika-Koalition. Jeder Mensch müsse über seine Kleidung entscheiden dürfen, sagt Sprecherin Nele Johannsen. „Daher bedauern wir die Kompromisslösung der Jamaika-Koalition, in Schulen ein solches Verbot einführen zu wollen“. In der Debatte, ergänzt Co-Sprecher Jasper Balke, trete „an vielen Stellen verdeckter Hass auf Muslime zutage“.
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