Die erste Wahl von Monika Griefahn: „Natürlich haben wir SPD gewählt“
Monika Griefahn hat Greenpeace mitbegründet und war Ministerin in Niedersachsen. Bei ihrer ersten Wahl 1972 stimmte sie für Willy Brandt.
Meine erste Wahl war insofern historisch, als dass 1970 die Volljährigkeit geändert wurde von 21 auf 18 Jahre – und damit auch das Wahlalter. Darum konnte ich 1972 das erste Mal wählen. In der Zeit gab es das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt. Weil relativ viele Abgeordnete von der bestehenden sozialliberalen Koalition ihre Fraktionen verlassen hatten, gab es ein Patt. Willy Brandt stellte dann im September 1972 selbst einen Antrag auf eine Vertrauensabstimmung, mit dem Ziel zu verlieren und Neuwahlen zu starten. Und die gab es dann im November und da durfte ich mitwählen, nachdem ich im Oktober erst 18 geworden war.
Das war überhaupt ein aufregendes Jahr. Ich war stellvertretende Schulsprecherin, und wir haben das alles natürlich sehr stark verfolgt. Saßen immer vor dem Radio, haben heftig diskutiert, auch in der Schule. Natürlich sind wir zur Wahl gegangen, natürlich haben wir SPD gewählt. Weil die Ostpolitik von Brandt uns junge Leute so bewegt hat. Es gab eine richtige Aufbruchsstimmung. Also, das, was wohl die Grünen heute für die Jugendlichen sind, war damals die SPD für uns. Beide stehen für Ziele die unerreichbar schienen. Damals der Frieden, heute der Klimaschutz.
Schon vor der Bundestagswahl am 26. September 2021 blicken wir zurück: Bekannte Persönlichkeiten erzählen von der ersten Wahl, bei der sie abstimmen durften. Alle Texte hier.
Wobei die SPD ja damals auch schon durch ihre Umweltpolitik auf sich aufmerksam gemacht hat. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, Mülheim an der Ruhr, und Brandt hatte 1961 diesen Slogan ausgegeben: Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden. Und als er mal in der Stadt weilte, da war ich, glaube ich, 14 oder 15, bin ich in die Stadthalle gegangen, um ihn live zu sehen und er hat mich schon sehr beeindruckt. Am Ende gewann Willy Brandt die Wahl jedenfalls mit über 45 Prozent.
Wer übrigens sagt, dass Wählen bringe ja nichts, der irrt sich. Ich glaube, dass jede Aktivität ein Ergebnis bringt. Man sieht ja bei Fridays for Future und den jungen Leuten, dass die tatsächlich etwas bewegen.
Momentan habe ich zugegebenermaßen ein bisschen Angst um die Demokratie. Auch wenn man in einer Demokratie manchmal geduldig sein muss, halte ich sie immer noch für das beste Modell. Aber dann sehe ich in einer Zeit, in der wir angesichts der großen Herausforderungen mehr denn je den Dialog brauchen, dass ehrenamtliche Kommunalpolitiker angefeindet werden, weil sie mal was Unüberlegtes sagen – mit dem Effekt, dass immer weniger Menschen sich politisch engagieren wollen. Wir brauchen natürlich den Druck der Gesellschaft auf die Politik einerseits, aber eben auch Dialogfähigkeit andererseits. Nur so kann sich auch etwas verändern. Der Himmel über der Ruhr zum Beispiel, der wurde wieder blau.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wohnungslosigkeit im Winter
Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte