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Die drei Fragezeichen

Mit ihrer neuen Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht stößt die SPD auf Zustimmung der Unionsfraktion. Doch was heißt das schon?

Von Christian Rath, Berlin

Der Bau von Höchstspannungsfreileitungen und die Verlegung von Erdkabeln – mit solchen Themen hat sich Sigrid Emmenegger an ihrer bisherigen Arbeitsstelle beschäftigt. Die 48-jährige Richterin am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ist die neue SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht. Das wurde durch einen Brief der Fraktions-Geschäftsführer von SPD und Union an ihre Fraktionen bekannt, über den zuerst n-tv berichtete. Dort heißt es: „Die Fraktionsführungen haben jeweils in persönlichen Gesprächen ein sehr positives Bild von Frau Dr. Emmenegger gewinnen können und sind von ihrer persönlichen und fachlichen Geeignetheit für das Amt überzeugt.“

Zumindest die CDU/CSU-Fraktionsführung um Jens Spahn (CDU) und Alexander Hoffmann (CSU) haben Emmen­egger also abgenickt. Doch genügt das? Bei Frauke Brosius-Gersdorf, der ursprünglichen Kandidatin, hatte die Unions-Fraktionsspitze auch zugestimmt, bevor sich unter den Abgeordneten Widerstand regte. Brosius-Gersdorf vertrat zum Schwangerschaftsabbruch eine liberale verfassungsrechtliche Position, die der bisherigen Karlsruher Linie widersprach, nach der eine Abtreibung grundsätzlich als Unrecht eingestuft werden muss.

Von Emmenegger sind noch keine entsprechenden Äußerungen bekannt. Sie gilt indes als fachlich hervorragende Juristin, aber auch als politischer Mensch und steht der SPD nahe. Sigrid Emmenegger kennt auch das Bundesverfassungsgericht. Von 2009 bis 2013 war sie dort wissenschaftliche Mitarbeiterin im Dezernat des damaligen Präsidenten Andreas Voßkuhle. Er war auch Doktorvater Emmeneggers, deren Dissertation sich mit „Gesetzgebungskunst“ beschäftigte, eine eher abstrakte und teilweise historische Arbeit.

Insgesamt werden am 26. September drei neue Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen gewählt. Ann-Katrin Kaufhold, Rechtsprofessorin aus München, sowie der Bundesarbeitsrichter Günter Spinner standen bereits im Juli zur Wahl und haben das Plazet des Wahlausschusses.

Auch Ann-Katrin Kaufhold wurde von der SPD vorgeschlagen. Auch sie hat bei Andreas Voßkuhle promoviert und habilitiert. Fachlich bekannt wurde sie mit ihrer Arbeit „Systemaufsicht“, in der sie nach der Lehmann-Finanzkrise komplexe Modelle für eine effiziente Finanzmarktaufsicht entwickelte. Doch es gibt auch Vorbehalte gegen Kaufhold. Vorgeworfen wird ihr vor allem, dass sie sich auch mit Klimaschutzrecht beschäftigt und dabei Gerichten eine wichtige Rolle zubilligt. Rechte Kri­ti­ke­r:in­nen bezeichnen sie daher als Klimaaktivistin. Sie lassen dabei aber außer Acht, dass die Professorin im großen Klimaverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht aufseiten der klagenden Umweltverbände stand, sondern Bundestag und Bundesregierung vertrat.

„Die Fraktionsführungen haben ein sehr positives Bild von Frau Dr. Emmen­egger gewinnen können“

Brief an Fraktionen

Günter Spinner, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, wurde von der Union vorgeschlagen. Er gilt als fachlich versierter und menschlich umgänglicher Richter. Spinner stand auf einer Vorschlagsliste, die das Bundesverfassungsgericht Ende Mai beschlossen hatte, ganz oben. Die Union hoffte, dass die Linke einen Vorschlag, der indirekt vom BVerfG stammt, nicht ablehnen und dass sie deshalb offi­ziel­le Gespräche mit der Partei über die Wahl von Spinner vermeiden kann.

Alle drei Kan­di­da­t:in­nen brauchen im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit. Abgestimmt wird geheim und ohne Aussprache. Überraschende Denkzettel für die Fraktionsführungen sind bei diesem Verfahren nicht ausgeschlossen. Im Fall von Frauke Brosius-Gersdorf hatten jedoch am Morgen vor der geplanten Wahl Anfang Juli 50 bis 60 Unions-Abgeordnete in der Fraktion angekündigt, dass sie die Kandidatin nicht mitwählen wollen. Frak­tions­chef Spahn nahm damals windige urheberrechtliche Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorfs Dissertation zum Anlass, die Absetzung ihrer Wahl zu beantragten. SPD und Grüne sorgten dann dafür, dass auch die Wahl von Kaufhold und Spinner abgesetzt wurde.

Die 16 Rich­te­r:in­nen des Bundesverfassungsgerichts werden zur Hälfte im Bundestag und im Bundesrat gewählt. Dass diesmal alle drei Stellen im Bundestag besetzt werden, ist Zufall. Um die Wahl sicherzustellen, erhalten die Parteien, die für die Zweidrittelmehrheit erforderlich sind, Vorschlagsrechte. Seit 2018 gilt für die Vorschlagsrechte die Formel 3:3:1:1. Das heißt, dass CDU/CSU und SPD je drei Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen pro Senat vorschlagen können, Grüne und FDP haben je ein Vorschlagsrecht. Die Linke fordert eine Neuverteilung der Vorschlagsrechte. Die von der FDP vorgeschlagenen beiden Richter scheiden allerdings erst 2033 und 2035 aus.

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