Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
Hitler war V-Mann, ein Kolumnist ist kein Masthähnchen und Til Schweiger macht den Menschen Mut.
taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?
Friedrich Küppersbusch: Guttenberg beendet die kürzeste Schamfrist der Welt und spricht bei einer Sicherheitskonferenz.
Was wird besser in dieser?
Das ZDF bietet ihm "Wetten, dass ..?" an.
Eine Neonazigruppe hat fast ein Dutzend Migranten und eine Polizistin ermordet. Wie sind aus den freundlichen Rechtsradikalen von nebenan plötzlich brutale Gewalttäter geworden?
Nee. Nazis haben – nach derzeitigem Wissensstand – mindestens zehn MitbürgerInnen ermordet. Zehn von uns. Wir haben uns verleiten lassen – die Kripo etwa nannte sich "Soko Bosporus" –, diese und je nach Zählung über 100 rechte Morde als "nicht unsere Sache" zu verdrängen. Und wir haben mediale Sarrazin-Festwochen begangen, zu deren Titel "Deutschland schafft sich ab" die Mörder längst "Taten statt Worte" geliefert hatten.
ist Journalist und Fernsehproduzent. Jede Woche wird er von der taz zum Zustand der Welt befragt.
Wer ordentlich Islamistenparanoia hat, gilt als schick und bekommt Medienpräsenz und "Muss man ja wohl noch sagen dürfen"-Schulterklopfer. So gesehen ist es etwas Neues: Mitteextremismus.
Der Verfassungsschutz muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen, die Diskussion um ein NPD-Verbot ist wieder da. Bekommt Deutschland seine Sehkraft auf dem rechten Auge zurück?
Im September 1919 bespitzelte ein V-Mann der "Aufklärungs- und Propagandaabteilung Abt. Ib/P" der Reichswehr die Münchner Bierkellertreffen der rechten Sekte DAP. Er befand sie als harmlos "in ihrer lächerlichen Spießerhaftigkeit" und protokollierte "Vereinsmeierei der allerärgsten Art und Weise". Gleichwohl trat er bei, holte Kameraden aus seiner Kaserne nach, ließ bald ein "NS" vor den Parteinamen DAP rücken und sich "Führer Adolf Hitler" nennen.
2019 können wir also "100 Jahre Deutschlands bekanntester V-Mann" begehen. Nichts an der untergegangenen DDR wurde erbarmungsfreier verfolgt als deren V-Mann-System, mit dem die SED ihren Sozialismus desavouiert hat. Hier ging es nicht um die Charakterlosigkeit von "OibE" und "IM", sondern: um das Monopol der Bundesbehörden auf derlei Charakterlosigkeit.
In den USA wächst der Druck auf die Occupy-Bewegung, Camps werden gewaltsam aufgelöst. Ist der Abstieg der 99 Prozent noch zu stoppen?
"Occupy a desk" wedelten zwei kaschmirgehüllte Bankster in der Wall Street Plakate in die Kameras. Und die ganze Not und der ganze Neid zweier Hamster, die ins Rädchen bitten, blinzelte aus ihren angstwütenden Augen. Für dieses Pressefoto hats sich schon gelohnt. Wer Wall Street okkupieren will, will sie nicht abschaffen – der ganze Ansatz ist vergurkt und es fehlt ihm noch stets: die kleine grüne Tonne für Kreditkarten, der Ökoladen für moralisch vertretbare Zinsen, kurz: der tätige Protest des einfachen Mitbürgers.
99 Prozent mögen die Kritik teilen, doch 0 Prozent werden auf ihr Gehalt verzichten, nachdem es auch künftig vom Girokonto einer Dummbank kommt. Den Banken tut kein Zeltlager weh, sondern eine Kontokündigung. Wohin mit der Kohle?
Der Stromkonzern Eon klagt wegen der Laufzeitverkürzung für Atomkraftwerke auf Milliarden Schadensersatz. Wie wird man so unverschämt?
Entzugserscheinungen. Eon hatte gegen das Kartellamtsverbot, die "Ruhrgas" zu kaufen, einfach eine "Ministererlaubnis" bekommen. Von Wirtschaftsminister Werner Müller, der bei Eon war, als es noch Veba hieß. Und der anschließend sanft bei der Eon-Beteiligung Ruhrkohle landete. Es tut weh, es mag ungerecht sein, doch – wir müssen an dieser Stelle kritisch nachfragen, ob Norbert Röttgen und Philipp Rösler nicht korrupt genug sind.
Über 96 Prozent der Masthähnchen in NRW werden laut einer Studie mit Antibiotika behandelt. Schmeckt's Ihnen noch?
Unter uns: Ich bin kein Masthähnchen.
Sahra Wagenknecht und ihr politischer Ziehvater Oskar Lafontaine sind ein Liebespaar. Erregung öffentlichen Ärgernisses?
Ich möchte darüber so wenig wie möglich wissen.
Til Schweiger wird offenbar neuer "Tatort"-Kommissar. Lenkt ihn das wenigstens von anderen Kinoprojekten ab?
Er macht erfolgreiche harmlose Filme, ist dabei sein eigener Chef und macht vielen anderen Menschen Mut, die keine Stimme haben und einen Medienjob wollen. So what?
Und was machen die Borussen?
Marcel Reif tremolierte, mit Schweinsteiger sei das ja alles ganz anders gelaufen, und Cokommentator Jens Lehmann feierte schon "Tor!" für die Bayern, Sekunden bevor Weidenfeller den Ball locker pflückte. Bestimmte Kommentatoren sollte man mit dem Insert "V-Mann von Uli Hoeneß" kennzeichnen. Fragen: DRÖ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste