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Die WahrheitBeim Glockenschlag Jungfrauengeburt

Süßer die Glöckchen nie klingen, als im irischen Sommer: und das geschlagene 18 Mal. Der Hintergrund ist natürlich ein reaktionärer.

Z wölf Uhr mittags in Irland. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Raidió Teilifís Éireann (RTÉ) läutet eine Glocke, und zwar 18 Mal. Das veranlasste einen englischen Reporter einmal, die mathematische Kompetenz der Iren in Zweifel zu ziehen. Er wusste nicht, dass es sich um die Angelusglocke handelt.

Das Angelusgebet markiert den Tag, an dem Maria vom Engel Gabriel erfahren hat, dass „der Heilige Geist über sie kommen und sie den Sohn Gottes empfangen“ würde – die Ausrede der Jungfrauengeburt hat selbst in Irland nicht funktioniert, als die Insel noch erzkatholisch war. Stattdessen hat man die ledigen Mütter in Kloster weggesperrt, wo sie für die Nonnen schuften mussten.

Zum ersten Mal läutete die Angelusglocke im Radio am 15. August 1950, also nächsten Freitag vor 75 Jahren. Die Idee stammte vom Erzbischof von Dublin, dem reaktionären John Charles McQuaid. Der Grundstein wurde schon 1922 gelegt, als Irland zum Freistaat wurde. Die neue Regierung nutzte das Radio, um die Vision einer na­tio­nalen Identität zu verbreiten – mit einem Programm, das aus irischer Sprache und Musik, traditionellen Sportarten wie ­Gaelic Football und Hurling, katholischen Gebeten und wenig anderem bestand.

Anfangs wurden die Angelus­glockenschläge live aus der St Mary’s Pro Cathedral übertragen. Obwohl Irland mehrheitlich katholisch ist, hat Dublin lediglich zwei protestantische Kathedralen. Deshalb müssen sich die Katholiken mit einer Kathedrale zweiter Klasse begnügen.

Nugent reicht es nicht

Als RTÉ mehr als ein Jahrzehnt später mit dem Fernsehen begann, wurde die Angelusglocke von kurzen Clips begleitet, in denen Iren und Irinnen innehielten, um über Gott nachzudenken. Tatsächlich sahen sie aber aus, als ob ihnen ein übler Geruch in die Nase gefahren sei. Inzwischen hat man die Filmchen modernisiert, heutzutage zeigen sie Alltagsszenen.

Das reicht Michael Nugent aber nicht. Er ist Schriftsteller und Vorsitzender von ­Atheist Ireland. Er prangert das Angelusgeläute als weiteres Indiz für den Mangel an Säkularismus in der irischen Gesellschaft an. Um zum Beispiel Präsident oder Richter zu werden, muss man einen religiösen Eid ablegen, in dem man Gott bittet, einen bei der Arbeit zu leiten und zu unterstützen. Wenn man vor Gericht steht, muss man einen Eid auf die Bibel schwören. Nach all den Berichten über Hunderte von pädokriminellen Pfaffen erscheint es als grausame Ironie, innezuhalten und den Angelus zu beten.

RTÉ ist der einzige europäi­sche Sender, der die Angelusglocke überträgt. Die tägliche Andacht gehört zu den am längsten laufenden Sendungen Irlands, die folgenden Nachrichtensendungen müssen eine Minute warten. Einen Vorteil hat die Sache aber: Die Glocke erinnert einen daran, sich rechtzeitig mit Hochprozentigem zu versorgen, damit man die Horrornachrichten besser erträgt.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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9 Kommentare

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  • „rein tonn katolsch warrn!" (© @LOVANDO)



    15. August, Feiertag in Bavaria:



    de.wikipedia.org/w...ahme_in_den_Himmel



    Gabriel: de.wikipedia.org/w...Cndigung_des_Herrn

  • Angesichts der zunehmenden religiösen Einflussnahme weltweit in Medien scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis ähnliches auch bei uns passiert.

  • Wem das Gebetsgeläute stört, kann sich ausserhalb der Reichweite ein Haus bauen.

    Statt toleranz zu sein, versucht man die Mehrheit der Gläubigen zu beeinflussen.

    Ich freue mich immer auf das Abendgeläute, das mir das Ende der Arbeit und das bevorstehende Abendmahl ankündigt.

    • @Sascha Will:

      Ihrem guten Rat wäre ich nur zu gerne nachgekommen, solange ich in Deutschland lebte (Irland hab ich noch nicht ausprobiert).



      Aus finanziellen Gründen lag der Bau eines Hauses nicht im Bereich des Machbaren, aber umgezogen bin ich immerhin 25 Mal. Kein einziges Mal aber ist es mir gelungen, ausserhalb der Reichweite des Gebetsgeläuts ein Haus zu finden - ab-so-lut unmöglich.



      Probiern Sie's mal, es geht einfach nicht.



      Einmal wohnte ich in ca 5km Entfernung des nächsten Dorfes und war zunächst guter Hoffnung, dem Glockenterror zu entgehen. Jedoch - glauben Sie's oder nicht - hatte man wohl Verstärker im Glockenturm angebracht, damit ich auch oben auf meinem Berg in weiter Entfernung noch sonntags früh vor Schreck aus dem Bett fiel, statt gemütlich auszuschlafen. Die Inquisition ist halt überall.



      Aber ich freue mich für Sie, dass Sie ein in Ihren Ohren so wohlklingendes Abendgeläute zu hören bekommen, Könnte man auch zuhause als MP3 abspielen, ohne alle Welt damit zu belästigen, aber Kirche, tja, was soll man sagen, im geistigen Mittelalter kriegt man halt nicht mit, dass es sowas überhaupt gibt.

  • Innehalten ist eigentlich gar nicht so falsch und eindeutig unterbewertet in einer aufgeregten Impulsdauerfeuerung des realen Kapitalismus.

    Das mal zu diversifizieren wäre freilich auch etwas: Sonntag für den Katholizismus, Freitag der Muezzin, Samstag muss dann doch der Rabbi ans Werk, Pastafari, Protestanten & Co. teilen sich Dienstag bis Donnerstag und Montag kommt der Glaube an Wissenschaft.

  • Immhin dürfen im stockkonservativen Irland inzwischen auch Männer Männer und Frauen Frauen heiraten.

  • Sehen wir es doch mal positiv. Die Angelusglocke erinnert an einen der ersten dokumentierten #meetoo Fälle der Geschichte 😉

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Wäre es der erste Fall, wäre es kein metoo.



      Vergleichbares geschah aber angeblich manchen Griechinnen, Phönizierinnen, ...



      Mit Jungfrauengeburt hat nur bedingt etwas zu tun, denn Maria hätte unabhängig hiervon bereits zuvor verkehren können.

      • @Janix:

        Ich schrieb ja "... einer der ersten dokumentierten Fälle...". Nicht der erste.

        Und was die Jungfrauengeburt angeht. Sofern es so etwas wie Jungfräulichkeit überhaupt gibt, ließe sich diese nur per Kaiserschnitt erhalten. Davon wird in der Bibel nichts erwähnt.

        Das ganze Konstrukt der Jungfräulichkeit ist entstanden, damit Männer sich sagen können, daß sie die ersten sind. Im Christentum wurde das übernommen und über die Jahrhunderte immer mehr überhöht. Lustigerweise hauptsächlich von Männern, die sich offiziell nicht paaren dürfen 😁