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Die WahrheitClub der Langweiler

Die Mitglieder des britischen „Dull Men's Club“ interessieren sich für öde Angelegenheiten – sogar für schlecht geföhnte Schokoriegel.

D ie Erben des Süßwarenthrons der Firma Mars lassen sich nicht lumpen. Sie haben einem Kunden zwei Pfund Schadenersatz für einen verhunzten Schokoriegel bezahlt. Die Familie kann es sich leisten, sie hat ein Milliardenvermögen angehäuft.

Harry Seager aus der englischen Grafschaft Oxfordshire war mit ein paar Freunden in einem Oldtimerbus auf dem Weg zu einer Oldtimerbus-Ausstellung in Birmingham. Unterwegs kaufte er an einer Autobahntankstelle einen Mars-Riegel und musste feststellen, dass die charakteristischen Rippel fehlten – der Riegel war glatt.

Mars-Riegel wurden erstmals 1932 in Slough, Berkshire, in Handarbeit hergestellt, sie sind die beliebtesten Schokoriegel in England. Saeger schrieb an das Unternehmen, um herauszufinden, wie es zu dem Unglück kommen konnte oder ob es sich um ein neues Riegel-Design handle. Statt einer Erklärung bot ihm das Unternehmen Schadenersatz an, obwohl er das gar nicht verlangt hatte. Das Geld reichte für anderthalb neue Riegel – mit Rippel. Seager glaubt aber, dass fehlerhafte Mars-Riegel eine Zukunft haben. Schließlich gebe es auch Bruchschokolade zum Sonderpreis.

Saeger machte ein Foto von dem glatten Riegel und stellte es auf seine Facebook-Seite. Im Handumdrehen wurde er zur Social-Media-Sensation. Er erregte sogar die Aufmerksamkeit des „Dull Men’s Club“, obwohl „Erregung“ eigentlich ein Fremdwort für die Mitglieder des Clubs der langweiligen Männer ist. Sie hatten eine Erklärung für Saeger: „Der Riegel ist durch die Überziehanlage, die Luft in den Riegel blasen soll, durchgerutscht.“

Im Club der Langweiler gibt es Experten für alles. Einer sammelt Ziegelsteine oder produziert Wandkalender mit Kreisverkehren, ein anderer leitet die Gesellschaft zum Schutz von Apostrophen, und manche Mitglieder beobachten einfach nur Farbe beim Trocknen.

Der Sitz der britischen Sektion ist Winchester, ein Ort, der sich wie ausgestorben anfühlt. Nur einmal sah man dort Menschen auf der Straße. Das war 2012, als die olympische Fackel auf dem Weg zu den Olympischen Spielen in London vorbeigetragen wurde. Die New Vaudeville Band beklagte schon 1966 in ihrem Lied „Winchester Cathedral“, Kaff und Kirche seien schuld daran, dass „mein Baby die Stadt verlassen hat“.

Das Clubhaus ist der Treffpunkt für langweilige Männer, die gern mit langweiligen Männern zusammen sind. In der Bibliothek steht ein einziges Buch: ein Wörterbuch, denn da sind die Wörter so schön geordnet.

Das Vereinsmotto lautet: „Wir sind Dullsters – das Gegenteil von Hipsters.“ In der Satzung heißt es: „Wir geben erstens zu, dass wir langweilig sind, und zweitens wollen wir, dass es so bleibt.“ Es gibt aber auch extrovertierte Langweiler. Ihr Merkmal ist, dass sie nicht auf ihre Schuhe schauen, wenn sie sich mit jemandem unterhalten. Sie schauen auf dessen Schuhe.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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1 Kommentar

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  • Der Club der Langweiler ist also ein Männergruppe, die sich zuerst selbst als Langweiler verstehen? Die begeistert Betätigungen nachgehen, welche von anderen als total öde angesehen werden. Von denen die Club-Männer anderen Menschen andauernd u. ausschließlich zu erzählen wissen, was ganz furchtbar langweilt? Ist mir widerfahren. Andererseits, sind das nicht auch echte Kerle, die zu sich selbst stehen u. überleben wollen in ihren sozialen Umfeldern? Wer weiß. Dann wieder können solche Typen als Dauererzähler mit zwanghafter Leidenschaft ganze „soziale Umfelder“ wie Studi-WG´s mental zertrümmern. Aber wer würde sich sonst um schutzlos dem Vergessen anheim gegebene Apostrophen kümmern?

    Only mad Dogs and Englischmen!

    Die hier einem kundigen Autoren den Stoff für eine lustige u. spannende Geschichte zum Thema „Very British“ liefern. Zum Beispiel:

    Winchester Cathedral

    www.youtube.com/watch?v=EmLqL6HlwNg

    The New Vaudeville Band / Wikipedia:

    de.wikipedia.org/w...ew_Vaudeville_Band

    „Sie stolzierten auf der Bühne nur in Original-Kleidung aus den 1920er- und 1930er-Jahren herum und benahmen sich wie gelangweilte, aristokratische Snobs.“

    Oh my goodness!