Die Wahrheit: Das mit dem Alter ist irgendwie komisch
Mit 66 Jahren fängt das Leben an? Wirst du mich noch füttern, wenn ich 64 bin? Oder ist 81 3/4 das neue 64?
A us dem Alter für Topfschlagen bin ich raus. Meinen Geburtstag habe ich gesittet mit einem Essen begangen, und zwar nicht im Schnellfutterladen. Es gab genügend Stühle, sodass keine Notwendigkeit bestand für die „Reise nach Jerusalem“ – oder für musical chairs, wie es auf Englisch heißt.
Für einen Mietclown bin ich auch zu alt. Aber wann ist man eigentlich alt? Das hänge davon ab, wie alt man sei, denn mit zunehmendem Alter verschiebe sich diese Zahl nach oben, meint die Guardian-Kolumnistin Polly Toynbee: „Würde Paul McCartney, der mit einundachtzigdreiviertel Jahren noch fit ist, jetzt 64 Jahre als den Zeitpunkt wählen, an dem er gefüttert werden muss?“
Ich fühle mich aber manchmal wie Methusalix, wenn ich jungen Kolleginnen und Kollegen erzähle, dass ich Herbert Zimmermanns Radiojubel nach Helmut Rahns Siegtor im WM-Finale 1954 im Kinderwagen bei Tante Anna miterlebt habe. Und dass ich seit 40 Jahren bei der taz arbeite. Aber ich hatte nie ein Rationsbuch für Süßigkeiten, wie Toynbee es noch 1953 in England besaß.
Wenn ältere Menschen einem im Bus ihren Sitzplatz anbieten, gibt das jedoch zu denken. Und auch die angeblich altersgemäße Werbung in den sozialen Medien ist selten stimmungsfördernd. Ich habe noch alle Zähne und muss sie nicht mit Kukident festkleben. Außerdem sind Rentner einflussreiche Wähler. Immerhin haben nur 10 Prozent der über 70-Jährigen die Faschisten gewählt. Ihre Stimmen hat sich die AfD bei den 25- bis 45-Jährigen geholt.
Von Ratten und Vampiren
Also bitte erspart uns das Beispiel von Sina, der am längsten lebenden Laborratte der Geschichte. Was ist ihr dunkles Geheimnis? Das Blut der Jungtiere, das ihre Organe wiederbelebte. Wir hingegen vampirisieren keineswegs die Jungen, das machen sie schon selber.
Zum Geburtstag trug ich übrigens ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Es ist komisch, genauso alt zu sein wie alte Menschen“. Ist es Zeit für eine Bucketlist – eine Liste von Dingen, die man tun will, bevor man den Löffel abgibt? Das hat noch Zeit. Irland geht sehr sorgfältig mit seinen Alten um, damit sie noch lange leben. Sie bekommen zum Beispiel eine anständige Rente, auch wenn sie keine Beiträge einbezahlt haben; sie haben freie Fahrt mit Bus und Bahn im ganzen Land; sie zahlen keine Fernsehgebühren und bekommen Stromzuschüsse. Da wäre man ja schön blöd, frühzeitig abzutreten, auch wenn man am Topfschlagen keinen Spaß mehr hat.
Den haben Kleinkinder heutzutage auch nicht. Sie verlangen stattdessen private Kinovorführungen, professionelle Fotografen und Kletterwände. Pommes frites und Würstchen sind out, auf Kinderpartys müssen Sushiplatten serviert werden. Diesem letzten Punkt kann ich aus vollem Herzen zustimmen, womit bewiesen wäre, dass ich gar nicht so alt bin.
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