Die Wahrheit: Aufgetankte Legende
Lebenslänglich Bayer: Was macht eigentlich der unvergessene Otto Wiesheu? Der ehemalige Generalsekretär der CSU feierte jetzt seinen 80. Geburtstag.
D er Ministerpräsident höchstselbst ist gekommen, um dem Mann zu gratulieren, der wie kaum ein Zweiter die goldene Ära der CSU in Bayern repräsentiert. Das hat Markus Söder ja dann auch genauso gesagt bei seiner Würdigung von Otto Wiesheu zu dessen 80. Geburtstag. Eine „goldene Ära“ sei die Zeit gewesen, in der der Jubilar zur Spitze der CSU gehört hat.
Und er ist ja wirklich ein besonderes Gewächs, dieser kleine Mann aus Zolling im Landkreis Freising. Einer aus jener Zeit, in der Männer wie Thomas Gottschalk ihre Kinder noch auf offener Straße durchwatschen durften, ohne dass sich jemand groß daran gestört hätte. In der es noch möglich war, den Gerichtssaal als freier Mann zu verlassen, obwohl man im Suff einen Unfall auf der Autobahn gebaut hat, der einem Menschen das Leben gekostet hat. Genau das hat jener unvergessene Otto Wiesheu zuwege gebracht, um den es hier gehen soll.
Generalsekretär der CSU ist Wiesheu gewesen, als er eines Oktobertags im Jahr 1983 gut aufgetankt in sein Auto gestiegen ist. Fahrtüchtig habe er sich gefühlt, hat er später vor Gericht ausgesagt, und dass er Alkohol gewohnt sei. Schließlich könne man in der Politik „nicht monatelang trocken herumlaufen“. So schilderten es Gerichtsreporter. Es ist eben viel getrunken worden in jener goldenen Ära, auch auf dem Treffen der CSU-Landesleitung in München, an dem Wiesheu teilgenommen hat, bevor er in den auf die Parteizeitung Bayernkurier zugelassenen Wagen gestiegen ist, mit dem er kurz darauf auf einen Fiat gedonnert ist, der wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war.
Am Ende seines Verfahrens konnte Wiesheu einen Gutachter präsentieren, der sicher war, jener Fiat sei gar nicht gefahren, sondern unbeleuchtet auf der mittleren Spur gestanden. Dass dieser Gutachter ein paar Jahre später mit über 2 Promille Alkohol im Blut selbst einen schweren Unfall verursacht hat, macht aus dem Fall erst so richtig eine jener für Bayern so typischen Skandalgeschichten, bei denen sich immer dann noch ein weiterer Handlungsstrang auftut, wenn man meint, nun sei es aber wirklich mal genug.
Dass Wiesheu nicht lange nach seiner Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe bayerischer Wirtschafts- und Verkehrsminister wurde, war dann selbst für CSU-Verhältnisse spektakulär. Natürlich hat sich der Name Wiesheu auch im Notizbuch des notorisch bestechenden Waffenhändlers Karlheinz Schreiber gefunden. Wie es sich für eine wahre CSU-Legende eben gehört. Dass Wiesheu direkt aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium in den Vorstand der Deutschen Bahn gewechselt ist, um als Lobbyist der Politik den Börsengang des Unternehmens schmackhaft zu machen, daran möge denken, wer heutzutage in einem verspäteten Zug sitzt, der nicht vorankommt, weil die Bahn sich in den Nullerjahren so schlank gespart hat, bis sie dysfunktional war. Er hat eben Spuren hinterlassen, der Wiesheu Otto. Vielen Dank dafür und alles Gute!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann