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Die WahrheitMein Leben als Jugendgasthof

Anlässlich post- und präpotenter Ausfälle auf der Frankfurter Buchmesse: Vielleicht sollten sich einige Menschen noch mal ihrer Anfänge entsinnen.

W arum sagen Menschen manchmal, dass sie sich ein Hotel nehmen? Am Ende nehmen sie sich doch nur ein Zimmer. Weil sie sich das ganze Hotel nicht leisten können. Denn ehrlich, wer kann das schon?

Wer sich zum Beispiel auch kein ganzes Hotel leisten kann, ist der Leipziger Autor Clemens Meyer („Als wir träumten“) – ha, das sind Übergänge! Der nämlich fiel neulich dadurch negativ auf, dass er sich lauthals über die Jury des Deutschen Buchpreises beschwerte. Er hätte, fand er, den Preis bekommen sollen! Wer soll sonst seine im Laufe der entbehrungsreichen Jahre angesammelten Schulden – kolportiert werden 35.000 Euro – und seine Scheidung bezahlen?

Tja, kann man sagen, hoch gewettet, leider verloren. Martina Hefters Roman war der Jury lieber, vermutlich, weil er dünner war und nicht so ein postpotenter Angeberschinken, wie ihn Meyer wohl geschrieben hat. Oder wie er selbst schreibt: „Aber erst mal werde ich mich Drehbuchprojekten widmen. Da ist planbar Geld zu erwarten. Das ist wichtig für mich. Da muss ich nicht darauf hoffen, dass eine Preisjury erkennt, was ich geschaffen habe.“ Genau, schaffen! Der Autor als Weltenbauer! Respekt!

Überspanntes Selbstbewusstsein

Lustigerweise stellte der von keinerlei Sensibilität, Fairness und Bescheidenheit angekränkelter Meyer damit noch eine andere Autorin in den Schatten, deren Name mir sogar vorläufig entfallen ist. Die hatte sich schon vor der Preisvergabe beschwert, dass sie es nicht auf die Short List geschafft hatte. Sie sei doch die Beste! Oder wolle es zumindest sein. Ah, danke, Caroline Wahl heißt die Dame, Trägerin einer auffälligen Frisur und eines ebenso überspannten Selbstbewusstseins. Den Preis jedenfalls hat sie.

In der Beilage des Spiegel, der sich ebenso bescheiden Spiegel Bestseller nennt, gab sie folgenden Satz zum Besten: „Eigentlich ist es auch geil, so thatgirl-mäßig früh aufzustehen, weil die Morgenstunden, wenn alles um einen herum noch schläft und allmählich wach wird, schon geil sind.“ Finden die unten in der Kantine meines Jugendgasthofs, aus dem ich gerade schreibe, übrigens auch. Die sind bestimmt schon seit vier wach, weil das so geil ist. Eine Aura hat die Frau!

Vielleicht sollten sich die Herr- und Damschaften so thisgirlthatgirl-mäßig noch mal ihrer Anfänge entsinnen. Statt einem Taxi den Bus nehmen, statt eines Hotels eben so einen Jugendgasthof. Hier gibt es nicht einmal Handtücher oder diese tollen Duschgelspender im Bad. Muss man sich alles selbst mitbringen.

Bei der Gelegenheit fällt mir auf, dass ich schon lange nicht mehr Anlass hatte zu denken: Nehmt euch doch ein Zimmer! Vielleicht liegt das am Alter. Oder aber, die Jugend von heute ist im Gegensatz zur schreibenden Zunft inzwischen von nahezu unsichtbarer Zurückhaltung. In der Öffentlichkeit in zäher Länge rumknutschen habe ich jedenfalls schon lange kein Paar mehr gesehen. Make love, not Worte!

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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