Die Wahrheit: Bombe aus Beirut
Nach der Hamas ist vor der Hisbollah: Eine wiederentdeckte historische Anekdote über den deutschen Schriftsteller und Nahost-Kenner Martin Walser.
Wie eine Bombe ist die Nachricht in der Welt der Germanistik eingeschlagen. Ein sensationeller Fund im Deutschen Literaturarchiv zu Marbach wirft ein ganz neues Licht auf Martin Walser und sorgt unter Literaturwissenschaftlern für immensen Zündstoff, wie die International Revue of German Literature jüngst berichtete. Demnach geht aus Tagebuchaufzeichnungen und Briefen Walsers hervor, dass der deutsche Schriftsteller zu Beginn des 21. Jahrhunderts in engem Kontakt mit dem Führer der islamistisch-schiitischen Miliz Hisbollah im Libanon stand. Scheich Hassan Nasrallah wollte Martin Walser sogar zu seinem Nachfolger machen.
„Ich, Scheich Sajjed Hassan Nasrallah, Führer der gütigen Hisbollah“, beginnt ein handschriftlich am 12. August 2006 verfasstes Schreiben an Walser, „werde dem unendlich weisen Ratschlag Allahs folgen und Ihnen, lieber verehrter Martin Johannes Walser, einen Vorschlag unterbreiten, den Sie kaum ablehnen können. Für den Fall meiner Abberufung ins Paradies zu den 72 Jungfrauen, die der unendlich weise Allah für mich bereithält, sollen Sie, der wichtigste deutschsprachige Schriftsteller der Gegenwart, meine Nachfolge antreten und neuer Führer unserer geliebten Hisbollah werden.“
Martin Walser sollte neuer Hisbollah-Chef werden?! Gerade nach dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 und den globalen Folgeerscheinungen muss diese Korrespondenz, die Walser noch zu Lebzeiten im Jahr 2022 dem Literaturarchiv in Marbach als Nachlass übergeben hatte, ganz neu gelesen werden.
Öffentlich hüllte sich der in Überlingen am Bodensee lebende Schriftsteller, bevor er 2023 starb, in Schweigen. Nur einmal, im Jahr 2007, deutete Walser in einem Telefoninterview mit der Apotheken Umschau einen Karrieresprung in den Libanon an: „Was die Zukunft bringt? Vielleicht einen Lebensabend in der Schweiz des Orients“, raunte Walser. Aber die Redaktion des Pharmazeutenblatts ging nicht näher auf die Bemerkung ein.
Größter Feind Israels
Spätestens seit Walsers Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche, in der er von einer „Instrumentalisierung des Holocausts“ sprach, war der neben dem Iran und der Hamas größte Feind Israels auf Walser aufmerksam geworden. Nur wie war der Terror-Scheich ausgerechnet auf den Überlinger als seinen Nachfolger gekommen?
Walser hatte im Jahr 2006 gerade erst seinen neuen Roman „Angstblüte“ veröffentlicht. Ein Buch, das bei Lesern und Kritikern gleichermaßen durchgefallen war. Der autobiografisch angehauchte Roman über einen gealterten Fondsmanager, dem das Hirn in die Hoden rutscht, als er einer jüngeren Frau nachsteigt, verkaufte sich nur mühsam. „Ein unappetitliches Werk“, urteilte der Doyen der Literaturkritik Marcel Reich-Ranicki damals: „Alte Männer, insbesondere alte Schriftsteller, kennen nur ein Thema: Sex, Geschlechtsverkehr und Frauen. Die körperliche Liebe aber sollte in einem Roman nicht derart in den Schmutz gezogen werden.“
Das Buch lief nicht, die Hormone stauten sich und dann war auch noch die Karriereleiter abgesägt. Denn im Sommer 2006 wurde bekannt, dass der von Walser angestrebte Posten des „Praeceptor Germaniae“ so schnell nicht neu vergeben werden sollte. Seit dem Tod Heinrich Bölls hatte die Stelle des führenden deutschen Intellektuellen, der jeden offenen Brief ungefragt unterschreibt, Günter Grass inne. Doch der war unzerstörbar, sodass Walser resigniert in einem Privatbrief anmerkte, dass man den „Neu-Lübecker, der sich für einen zweiten Thomas Mann hält, eines Tages mit einer seiner hässlichen Skulpturen erschlagen muss“.
Zwar starb Grass drei Jahre später, aber mit seinem Tod platzte auch Walsers größter Traum: der Literatur-Nobelpreis. Einen SS-Mann hatten die Stockholmer bereits ausgezeichnet, einem Antisemiten würden sie den hohen Preis niemals überreichen. Nur ein Befreiungsschlag konnte Walser da noch helfen. Er würde alle Grenzen überschreiten müssen. Kein Problem für den mittelgaren Romancier und Halbdenker, der sich selbst schon immer als Tabubrecher sah. Was konnte ihm da näherliegen als die Hisbollah? Jenem Walser, der seit Jahren nur zu gern mit dem Antisemitismus-Verdacht spielte?
Für Walser erwies es sich als glückliche Fügung, dass sich der Hisbollah-Führer Nasrallah als Kenner der deutschen Literaturszene und glühender Fan seines Werkes outete, wie aus der Korrespondenz hervorgeht. Er kenne jedes Buch von Walser, besonders aber habe ihm „Das Einhorn“ und der putzige Protagonist Anselm Kristlein gefallen, schwärmt Nasrallah: „Allein der Name! Köstlich!“ Auch sei der Handlungsort Duisburg so etwas wie das „deutsche Beirut“, schmeichelt er Walser, dem er in weiteren Schreiben seinen Plan zu versüßen suchte. Die Hisbollah sei gar nicht so schlimm, wie alle Welt, gesteuert von den Amerikanern, behauptete.
Keine Vernichtung Israels
„Die Hisbollah ist überhaupt nicht antisemitisch eingestellt. Dass die Juden ihre Feinde sind, ist eher Zufall. Selbst wenn die Israelis Muslime wären, würde die Hisbollah gegen sie kämpfen“, hielt Walser in seinem Tagebuch fest und fuhr fort: „Die Hisbollah ist noch nicht einmal eine religiöse Partei. Deshalb tauchen die Wörter ‚Islam‘ und ‚Muslim‘ in ihren Programmen nur am Rande auf. Ich selbst bin ja nicht einmal Muslim. Als neuer Führer der Hisbollah werde ich als Erstes den Namen ‚Partei Gottes‘ abändern in ‚Partei Walsers‘. Eine Idee, die Scheich Nasrallah ausnehmend gut gefällt, dieser nette Mann, der nie die Vernichtung Israels planen würde. Im Gegenteil: Die Hisbollah hat den Friedensnobelpreis verdient.“
Was auf den ersten Blick wie die krasse Fehleinschätzung eines naiven alten Mannes wirkt, stellt sich bei genauerer Betrachtung als handfestes Geschäft heraus. Denn Walser sollte von Nasrallah auch das lukrative Souvenir-Business im Libanon übernehmen. Der geschäftige Schiit verdient bekanntermaßen, seit er im Amt ist, recht gut an der Produktion von Hisbollah-Fahnen, T-Shirts und Bildern mit seinem Konterfei. Experten sprechen von mindestens siebenstelligen Summen, die Walser nach der Amtsübernahme hätten zugutekommen können.
Ob sich Nasrallah mit seinem Anteil am Gewinn zur Ruhe setzen wollte und sich vom halbweltberühmten deutschen Dichter eine Aufwertung der Hisbollah in der westlichen Hemisphäre versprach, liegt im Dunkeln – wie die Gründe dafür, warum der Deal letztlich platzte. Der Briefverkehr zwischen Beirut und dem Bodensee bricht unvermittelt ab. Die Walser-Forscher vermuten, dass der Hisbollah-Scheich aus welchen Gründen auch immer vom Iran zurückgepfiffen wurde.
Aus dem Archivmaterial geht lediglich hervor, dass Martin Walser kurz davor war, Überlingen zu verlassen und nach Beirut zu reisen. Dort wollte er, so die letzten Aufzeichnungen zu dem Vorgang, ein großes Alterswerk verfassen. Den Titel des „politischen Tagebuchs“ hatte er bereits im Sprengkopf: „Vom Bodensee in den Bunker – eine deutsche Karriere“.
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