Die Wahrheit: Modemut mit Tonsur
Famose Haartrachten aka Zwirbelzöpfe – und dann auch noch die wunderbare Miniserie Shōgun: fast könnten die passenden Worte fehlen. Aber nur fast …
N eulich wollte ich einen Text über die Love Parade schreiben, scheiterte aber an der Beschreibung der Love-Parade-typischen Damenfrisur, jener verzwirbelten, rundlichen Zöpfe, die hoch oben am Kopf sitzen. Die Sängerin Blümchen – inzwischen wahrscheinlich Blume – trug so etwas zu Beginn ihrer Karriere.
Es gibt garantiert einen Begriff für diese Haartracht, aber wenn man „Zwirbelzopf“ in die Suchmaschine eingibt, macht die Autokorrektur „Zwiebelzopf“ daraus und es erscheinen Bilder von dekorativen Knollenzöpfen, mit deren kleinerer, geruchsintensiverer Knoblauch-Version sich auch Vampire abschrecken lassen. Die Eingabe von „Kugelzopf“ führt zum Rezept für Kuchenteilchen, „Zopfknoten“ ergibt den Hinweis auf ein „unentbehrliches Accessoire für einen Hauch von Eleganz und Raffinesse für den Schweif und die Mähne Ihres Pferdes“.
Der Love-Parade-Text war somit gestorben. Das Problem mit der Frisurenbeschreibung begleitete mich jedoch weiter, denn auch eine anstehende Rezension zur großartigen Serie „Shogun“ erforderte einiges an Kenntnisreichtum und Sensibilität. Recherchieren konnte ich, dass der traditionelle Männerhaarschnitt japanischer Daimyōs, also Fürsten aus dem 16. Jahrhundert, bestehend aus einem mit Öl eingeriebenen Pferdeschwänzchen, das oben auf den Kopf gelegt und wie ein Ginkgoblatt aufgefächert wird, „Chonmage“ genannt wird.
Blanker Hohn für kahle Herren
Zur besseren Beschreibung, wie elegant dieser Putz bei Lord Yoshii Toranaga, einem der Protagonisten, wirkt, fehlte mir jedoch die Vokabel für die modische Halbglatze, die Toranaga darunter trägt. Um dem pinselähnlichen Zopf mehr Halt zu geben, rasierten sich die Schwertadeligen der Edo-Periode extra einen Großteil ihres Haupthaares ab – eine modische Idee, die Männern, die unter altersbedingt schütter werdendem Kopfhaar leiden, vermutlich wie der blanke Hohn erscheint.
Doch auch andere Haartraditionen sind faszinierend: Während Menschen wie Donald Trump denken, mit einem „Comb Over“, dem Anordnen der restlichen wenigen Haare auf dem leeren Schädel, ihren lichten Schopf verstecken zu können, und dabei genau das Gegenteil erreichen, ist die Tonsur, eine ulkige, künstliche Kreisglatze, sowohl im Christentum als auch im Hinduismus und im Buddhismus verbreitet. Sie bildet sozusagen die Kontradiktion zum Toupet. Es gibt bei den Kapuzinern und den Zisterziensern sogar kleine, warme Mützchen, die nur den kahlen Teil des Kopfes bedecken, damit die Mönche beim Beten in kühlen Klostermauern nicht frösteln.
Neulich schenkte ich einem alternden Freund aus Spaß eine Mönchsperücke inklusive Tonsur, quasi als Ersatzglatze. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er den Spaß verstand – als Dankeschön schickte er mir retour ein Top, das aussieht wie ein Bikinioberteil aus langen, herunterhängenden Beuteln. Ich habe es selbstverständlich umgehend angezogen. Modemut darf keine Grenzen kennen.
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